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An den Rand geschliber

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FRÜHJAHRSTAGUNG — EIN RÜCKBLICK. Die Frühjahrstagung 1964 des Nationalrates begann am 22. April. Ein Rückblick auf die seither vergangenen drei Monate am Schlufj der Tagung ergibt, daß in dieser Zeit der österreichische Nationalrat zwar nicht ganz untätig war, dafj aber das Ergebnis als bescheio’en genannt werden kann. Unter den beschlossenen Gesetzen befinden sich nur einige, deren Wichtigkeit auch dem „nicht eingeweihfen" Staatsbürger einleuch- tef: die Neuordnung der Beamtengehälter, Vertrag über die neue Diözese Tirol, einige Steuergesetze, Exportlörderungsgesetz, Ärzlegesetz, Antikorrupjionsgesetz. Die Liste ist Öewifj nicht vollständig, aber sie könnte, auch wenn sie vollständig wäre, nicht zufriedenstellend sein, weil man schon zuviel von verschleppten Verhandlungen, versäumten Endterminen weifj; es gehört seif jeher zu den Methoden der Koalition, daß der eine Partner den anderen mit oder ohne Grund der Verschleppungstaktik und der Obstruktion bezichtigt, um auf ihn auf solche Weise einen Druck auszuüben. Letzteres gelingt allerdings höchst selten. Und so blieben auch diesmal viele Fragen offen: die Wahlrechtsreform zum Beispiel — ob man sie braucht oder nicht, ist eine andere Frage —, der Komplex der Kapitalmarkfgesetze, die Frage des Staatsfeierfages. Ein neues Haushaltsrecht. Und vieles andere mehr. Der Präsident des Nationalrates richtete in seiner Schlußrede am Ende der Frühjahrssession eine Mahnung nichf zuletzt auch an die Presse, nicht durch Pauschalkritik das parlamentarische Regierungssysfem zu untergraben. Da er zugleich auch selbst Kritik an der gegenwärtigen Praxis der Innenpolitik in Österreich übte, bewies er, daß er sich nichf gegen die Kritik schlechthin, sondern nur gegen gewisse Ausartungen der Kritik wandte. Trotzdem könnte man hier einwenden, daß ein Zuviel an Kritik seltener schädlich sein kann als ein Zuwenig an Kritik. Vielleicht müßten die Mdndatare ihre Arbeit und ihre Verantwortung doch noch etwas ernster nehmen. Aber wer macht den Anfang?

BUDGET UND BUDGETHOHEIT. Das neue Bundeshaushaltsrecht muß bekanntlich bis Fncfedlösei!’Jahres beschlossen sein, und zwar soweit rechtzeitig, daß auch noch die entsprechenden Verordnungen bis zu diesem Termin wirksam werden können. Das Budget 1965 muß schon diesen Bestimmungen entsprechend beschlossen werden. Es ist daher verständlich, daß, während Parlament und Regierung in Urlaub gehen, die Parfeienverhandlungen über das neue Budgefrecht noch vor diesem Wochenende beginnen. Finanzminister Dr. Schmitz erläuterte am letzten Montag seinen Entwurf für ein neues Haushaltsrechf, der dem Entscheid des Verfassungsgerichtshofes vom 19. Dezember 1962, mit dem dieser einige Bestimmungen des früheren Haushaltsrechtes für verfassungswidrig erklärt und aufgehoben hat, Rechnung trägt. Umstritten waren und sind jene Bestimmungen, die, nach Ansicht der Sozialisten, die der Verfassungsgerichtshof bestätigte, der Budgethoheit des Nationalrates zuwiderliefen. Als interessanteste Neuerung sieht der Entwurf die Schaffung eines Eventualbudgets für den Fall vor, wenn der Staat Konjunkturabschwächungen mit kurzfristigen Investitionen beikommen soll. Dieses Detail sieht schon sehr darnach aus, als ob der Finanzminister Budget und Konjunkturpolitik wieder miteinander in nähere Verbindung bringen wollte. Daß er das will, kann man getrost annehmen, obwohl ihm gerade jetzt beide Hände gebunden werden sollen — wenn die sozialistische Forderung nach uneingeschränkter Budgethoheit des Parlamentes und so gut wie völliqer Entmachtung des „bösen" Finanzminisfers nicht noch den realen Möglichkeiten und den Bedürfnissen der einzelnen Ressorts einigermaßen angepaßt wird.

DIE LANGSAMKEIT DER MAGISTRATE. Es ist eigenartig und eigentlich sehr erfreulich: die Einsendungen für die Aktion Volksbegehren dauern an, der Stoß der Stimmrechtsscheine wächst weiter, die Zahl 160.000 wurde schon bei weitem überschritten, das gemeinsame Organisationsbüro der Zeitungen arbeitet auf Hochtouren. Leider kann man dasselbe von den einzelnen Magistraten, wo die Stimmrechtsscheine, wie dies das Volksbegehrengesetz vorschreibt, zur Bestätigung eingesandt werden, nicht sagen. Sie arbeiten, laut letzter Informationen, besonders in Wien so langsam — das Gesetz verpflichtet die Gemeinden etwas vage, solche Bestätigungen „unverzüglich" auszu- sfellen —, daß damit der Plan der Zeitungen, die Sfimmrechtsseheine beim Innenministerium noch Anfang August einzureichen, gefährdet er scheint. Es ist freilich Urlaubszeit, und so etwas wie ein Volksbegehren hat es noch nie gegeben. Man kann sich vorstellen, wie wenig sich manche Büros und Ämter über die sommerliche Ruhestörung freuen. Aber was steht höher: das Recht auf verlangsamte Amtshandlung in der Hitze oder das Recht auf Volksbegehren, wie das Gesetz es eben sichert? Die Ämter sind für die Staatsbürger da und — „bis dal, qui cito dat", versichert uns der lateinische Spruch...

WAS IST EXTREMISMUS! „Extremismus zur Verteidigung der Freiheit ist keine Schande”, erklärte Barry Gold- water, als er seine Nominierung zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten annahm, „und Mäßigung zur Erlangung der Gerechtigkeit ist keine Tugend." Man konnte erwarten, daß ein solcher Satz Sturm ernten wird. Nicht nur Präsident Johnson und nicht nur die Vertreter des geschlagenen liberalen Flügels der Republikanischen Partei protestierten leidenschaftlich gegen diese zynische Äußerung, die zumindest mehrdeutig, manipulierbar und damit äußerst gefährlich ist. Eine solche Herausforderung konnte selbst Expräsidenf Eisen- hower nicht gelassen, wie schon vieles andere, hinnehmen. Er machte sich alsbald auf die Reise zu Gold- water, nach dessen Urlaubsort Phönix in Arizona, um ihn zu befragen: Wie ist es also mit diesem Extremismus? Goldwater erläuterte seinen Spruch — nicht unklug — wie folgt. Er habe keineswegs an rechtsextremistische Organisationen (die ihn bekanntlich voll unterstützen) gedacht, sondern vielmehr an den Krieg als „extremste Maßnahme". „Als Sie die Truppen über den Kanal in die Normandie führten, waren Sie auch ein Extremist, General", verkündete er. Das war freilich Musik für die Ohren des alten Generals, dessen Qualitäten als Feldherr von den britischen Kollegen von einst immer wieder öffentlich bezweifelt werden. Ja, wenn Goldwater das meint, dann ist das ganz etwas anderes! So nickte Eisen- hower zufrieden und ermunterte den schlauen Senator, er möge das, was er jetzt sagte, noch recht oft in der Öffentlichkeit wiederholen. Denn das sei freilich ganz etwas anderes und sehr vernünftig!

MOROS ZWEITER ANLAUF. Aldo Moro hat also däs Kunststück fertiggebracht, ein zweites Mal einen Kompromiß mit den Parteien der „linken Mitte", Sozialisten, Sozialdemokraten und Republikanern, auszuhandeln und damit eine Basis für seine zweite Regierung zu schaffen. Nenni und seine Anhänger haben, wie es scheint, etwas nachgegeben. Die Democrazia Cristiana hat jetzt ein Jahr Zeit, die Subventionierung konfessioneller Schulen durchzusefzen, sie hat auch noch immer die Möglichkeit, dem drohenden Kollektivismus in der Wirtschaft entgegenzuwirken. Aber der linke Flügel und die Lom- bardi-Gruppe bei den Sozialisten ziehen nicht mit, der bisherige Budgetminister, Giolitti, fehlt auf der Kabinetfslisfe, und Lombardi legt die Chefredakfion des „Avanti" zurück. Die Freunde der Regierung Moro werden ober auch in der Partei der Democristiani weniger. Im neuen Koalitionspakt verweist die Mahnung, der „Auflösung der demokratischen Institutionen" Italiens und der wachsenden Radikalisierung rechtzeitig entgegenzufreten, auf den tatsächlichen Ernst der Lage. In der Democrazia Cristiana selbst gewinnen die Gemäßigten mit Generalsekretär Rumor an der Spitze immer mehr an Gewicht. Und in der neuen Regierung hat nunmehr die Bekämpfung der Wirtschaftskrise den Vorrang. Trotzdem scheinen der Fünfjahrplan der Linkssozialisfen und die Forderung nach „echter Marktwirtschaft" im Reqierungsprogrqmm nebeneinander auf. Man wird sehen ,..

UNO UND AUTORITÄT. Die Regierungen Schwedens und Dänemarks haben eine Art Ultimatum an den Generalsekretär der Vereinten Nationen gerichtet, dieser möge auf Zypern endlich nach dem Rechten sehen. Da nach Ansicht nicht nur dieser skandinavischen Länder Athen und Makarios den Anschluß Zyperns an Griechenland mit allen Mitteln vorbereiten, ist die Aktion der UNO so gut wie gescheitert. U Thant ist tatsächlich die ganze Zeit völlig passiv geblieben. Seine schwachen Appelle werden von den Adressaten meistens gar nicht beantwortet. Er degradiert sich damit zu einem Statisten auf einer Bühne, auf der übelste Demagogie und nackte Gewalt den Ton angeben. Ohne ein Mindestmaß an Autorität ist auch eine noch so ehrlich gemeinte Ver- mittlungstäfigkeit zum Scheitern verurteilt. Die völlige „moralische Abrüstung" der Vereinten Nationen ist kein guter Dienst am Frieden der Welt.

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