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Österreichischer Besuch in Rom

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Rom, 7. November

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Rom, 7. November

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Mit freundlicher Erwartung empfangen, ist heute der österreichische Außenminister in Rom eingetroffen. Als ersten Gruß der italienischen Regierung fand Dr. Gruber das in außerordentlicher Herzli cfh- gehaltene Willkommen vor, das Außenminister Carlo Sforza dem österreichischen Gast in der römischen Presse bot, ein Willkommen, das den Geist anzeigt, in dem die bevorstehenden Konferenzen geführt sein werden. Äußerer Anlaß des Wiener Besuches ist die Unterzeichnung der Derivatverträge aus dem Pariser Traktament, das unter dem Namen „Abkommen Gruber — Degasperi“ geschichtliche Bedeutung erlangt hat. Als einziger internationaler Traktat der Nachkriegszeit konnte es Lösungen finden, wo ringsum im wildwuchernden Gestrüpp der Nachkriegsprobleme neue Streitfragen entstanden. Das Abkommen inspirierte sich an den Grundsätzen der Billigkeit, der gegenseitigen Achtung und Anerkennung, der menschlichen Würde. Beide Vertragspartner fanden sich zu Opfern bereit.

Sobald jedoch das Abkommen von der weit- und vorausschauenden hohen Politik der Bürokratie überantwortet worden war, juristische Experten und Kommissionen die Vertragsklauseln ausdeuten und Vorteile ausklügeln durften und um je konkretere Dinge es zu gehen begann, desto weiter rückten die ursprünglichen Leitmotive in den Hintergrund.

Dr. Gruber ist zweifellos nach Rom gekommen, um den Geist seines Abkommens mit dem italienischen Ministerpräsidenten und die Grundlagen für eine zweckgebundene, dauernde, feste Freundschaft zu sichern, für die Österreich soviel aufrichtige Bereitschaft mitbringt. Seine Aufgabe ist nicht leicht und würde manchem mit weniger dynamischem Optimismus begabtem Politiker schwerfallen. -Parteigebundene Voreingenommenheit, unglückliche und unkontrollierte Äußerungen, vordrängelnde Parlamentarier und empfindliche Journalisten haben die Atmosphäre etwas abgekühlt.

Die „Südtiroler Frage" gehört zu jenen Problemen, die immer komplexer werden, je länger man sie umwälzt. Schon aus diesem Grunde ist sie den italienischen Journalisten, die der Problematik aus dem Wege gehen, reichlich unsympathisch, und sie beschäftigen sich gewöhnlich nur nach einer Aufmunterung mit ihr. Aber der Monat Oktober brachte eine Flut von Artikeln in der römischen Presse. Es entsprach dabei einer politischen Methode und leicht erkennbaren Motiven, daß der keineswegs evangelische Orfeo Vangelista in der kommunistischen „Repubblica“ Österreich der anriexionisti- schen Propaganda in Südtirol, auch nach der Unterzeichnung des Pariser Abkommens beschuldigte und die Südtiroler Volkspartei irredentistischer Bestrebungen bezichtigte. Kein verantwortlicher Südtiroler Politiker hat nach der Pariser Konferenz öffentlich oder geheim den Anschluß an Österreich propagiert. Südtirol hat ebenso wie Österreich das Abkommen Gruber — Degasperi akzeptiert. Mit schwerem Herzen, aber auch im Bewußtsein, Träger einer Mission und fortan Ver-mittler zwischen der Italianität und dem deutschen Kulturkreis zu sein.

Die heutigen Erwartungen der Südtiroler knüpfen sich an die D e r i v a t v e r t r ä g e, wobei naturgemäß der Durchgangsverkehr Innichen—Brenner, der bereits befriedigend gelöst ist, am wenigsten interessiert. Der bevorzugte Wirtschaftsverkehr zwischen Nord- und Südtirol ist ebenfalls an einem, guten Punkte. Schwierigkeiten stellen sich dem b e- bevorzugten Personenverkehr zwischen Nord- und Südtirol entgegen. Man besorgt offenbar auf italienischer Seite, daß die häufigen Besuche und Gegenbesuche der Tiroler die Brennergrenze allzusehr verwischen könnten.

Ähnliche Bedenken, auch wenn sie sich fachlich äußern, mögen bei der Behandlung einer gegenseitigen Anerkennung der akademischen Grade maßgebend sein, zugleich bereitet hier ein gewisser Formalismus von österreichischer Seite Hindernisse. Die Bedenken sind auf italienischer Seite so stark, daß die Behörden sogar die Errichtung einer juridischen und einer medizinischen Fakultät in Trient erwägen, um den wirtschaftlichen Einwänden der Südtiroler zu begegnen, die ihre Söhne an der nahen Innsbrucker Universität studieren lassen möchten.

Die große Sorge der Südtiroler gilt der Optantenfrage. Der 5. Februar 1949, Stichtag für die R ü c k o p t i o n, steht vor der Türe und immer noch fehlen sowohl auf österreichischer wie auf italienischer Seite die materiellen Vorbedingungen für eine Rückwanderung in größerem Maßstab. Was Südtirol allein tun konnte, ist geschehen: Arbeitsplätze und Notwohnungen für 1 5.0 00 Rückwanderer sind vorhanden, vor allem für Landwirte und Kleingewerbetreibende. Aber noch fehlt die Klärung von Fragen, wie die der Revalorisierung und Transferierung der Vermögen — rund 90 Millionen Schilling —, der Umsiedlungskosten und Begünstigungen, der Auszahlung von Pensionen und Renten, der Ansprüche an die Sozialversicherung, der Anstellungen usw. Es darf als ein Zeichen italienischen Entgegenkommens gelten, wenn sich das Konsulat in Innsbruck auf den Standpunkt gestellt hat, daß zunächst auf jeden Fall rückoptiert werden soll, mag auch die Übersiedlung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.

Der jetzige Staatsbesuch Dr. Grubers beim Qtiirinal wird keine Klärung aller Detailfragen bringen können, aber er wird von eminentem Nutzen sein, wenn er in die Atmosphäre der Pariser Verhandlungen mit De Gasperi und Caran- dini zurückführt. Bemerkenswert ist das wache Interesse Englands an einem glücklichen und befriedigenden Abschluß und neuerdings auch das der Amerikaner. In den letzten Wochen sind amerikanische Beobachter in Südtirol erschienen, um an Ort und Stelle die Lage zu überschauen. Man ist sich wohl auch in Amerika darüber klargeworden, daß die Zukunft Europas nicht bloß von den weltpolitischen Problemen, sondern auch von anscheinend eng begrenzten Streitfragen beeinflußt werden kann. So kann es auch nicht anders sein, als daß die römischen Besprechungen dieser Tage umgeben und überschattet sind von der großen internationalen Szenerie und ihren aktuellen Problemen. Sie werden aber durchwirkt von dem redlichen guten Willen der beiden Verhandlungspartner, die in sympathischer Weise bekundet haben und noch deutlicher in diesen Tagen bekunden werden, wie nahe verbunden sie die Lebensinteressen der beiden Nachbarländer auch aus der Sicht der internationalen Lage sehen.

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