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Wahlfieber in Südtirol

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Es hätte nicht iel gefehlt und die in

ganz Italien für den 25. Mai festgelegten Gemeindewahlen wären auf unbestimmte Zeit erschoben worden. Die Pessimisten hatten sich einen glücklichen Ausgang der Odyssee des Gemeindewahlgesetzes längst nicht mehr erhofft; daß es dennoch zustande kam, ist unter anderem der nachgiebigen Haltung der Südtiroler olkspartei zu danken, die in der Annahme des on der Regierung abgeänderten Gesetzes das kleinere Übel erkannte.

Die Beobachter der politischen Entwicklung in Südtirol erinnern sich, daß das im Dezember 1949 mit den Stimmen der Democrazia Cristiana und der Südtiroler olkspartei im Regionalrat zu Trient beschlossene Gemeindewahlgesetz om Regierungskommissär zurückgewiesen worden ist. Der Stein des Anstoßes war der Umstand, daß in dem Gesetz das akti e und passi e Wahlrecht an eine dreijährige Ansässigkeit gebunden worden war. Seither ist einiges Wasser die Etsch hinabgeflossen und auch die Presseschlacht, die durch die Ansässigkeitsklausei im Gemeindewahlgesetz ausgelöst worden war, abgeklungen. Das umstrittene Gesetz hat eine neue Form erhalten und die römische Regierung hat einige Abänderungs orschläge gemacht. Um die Gemeindewahlen auch in Südtirol zu ermöglichen und nicht den gänzlich undemokratischen, pro isorischen Charakter der bisherigen Kommunalpolitik in Südtirol weiterzuschleppen, erklärte sich die Südtiroler olkspartei mit dem umstrittenen Artikel 62, der die Entscheidung über die Wählbarkeit dem Landesausschuß nimmt, ein erstanden. Noch am gleichen Tage gab der Regierungskommissär dem neuen Gesetz seine Zustimmung, so daß die Gemeindewahlen fristgerecht ausgeschrieben und am 25. Mai abgehalten werden können.

Nicht Links oder Rechts — sondern Süd oder Nord

In den Spalten dieses Blattes ist bereits wiederholt auf die Bedeutung der be orstehenden italienischen Gemeindewahlen hingewiesen worden. Für Südtirol liegt die Bedeutung allerdings nicht in erster Linie auf der Ebene des Kräftespiels zwischen Links und Rechts, sondern auf jener der Auseinandersetzung zwischen Süd und Nord. Die letzten freien Gemeindewahlen fielen in das Jahr 1926, also in jene Zeit, als der Faschismus zum letzten Schlag gegen die bereits zur Bedeutungslosigkeit herabgedrückten demokratischen Parteien ausholte. Als nach dem Zusammenbruch im Frühling 1945 die Gemeinde erwaltung neu errichtet werden sollte, war man wegen der Zusammensetzung der Gemeinde ersammlung in erlegenheit. Das im übrigen Italien geltende Wahlgesetz wollte man Südtirol nicht zubilligen. Man ertröstete es ielmehr auf seine in orbereitung stehende Autonomie, innerhalb der es sich selbst ein eigenes Gemeindewahlgesetz geben könne. Wie dieses dann ausfiel, wurde oben geschildert.

Tatsache ist, daß seit Kriegsende die Gemeinden Südtirols — mit Ausnahme on Bozen — on pro isorisch gebildeten Gemeinderäten geführt werden, die man sich damals ornehmlich aus italienischen Kreisen und aus Südtirolem der sogenannten „Bleibergruppe“ holenmußte. Wenn sich auch da und dort diese Pro isorien durchaus bewährt haben, so ist doch die Mehrheit der Gemeinden erneuerungsbedürftig, da die geeigneten Männer, die Männer des ertrauens, damals nicht, jetzt aber wohl zur erfügung stehen.

Und hier sind wir bereits bei dem Punkt der Bedeutung für Südtirol angelangt. Die einheimische olksgruppe in Südtirol ist nicht groß (etwa zwei Drittel der Gesamtbe ölkerung) und die Zahl der für öffentliche Aufgaben geeigneten Männer entsprechend klein. Als sich im Mai 1945 die Südtiroler olkspartei bildete, hatte sie zwar das gesamte einheimische olk on Südtirol hinter sich, mußte sich aber — aus begreiflichen Gründen — auf die Exponenten jener Kreise stützen, die im Zuge des Options- und Abwanderungsabkommens zwischen Hitler und Mussolini om Jahre 1939 ihre Stimme für Italien abgegeben hatten. Da diese „Bleibergruppe“ kaum ein Fünftel der einheimischen Be ölkerung darstellt, schrumpfte also auch die Auswahl der zur Führung „Berufenen“ zu einem Häuflein zusammen, das der ungeheuren Last der gebotenen Aufgaben nur zu einem beschränkten Teil gerecht werden konnte. Aus dem gleichen kleinen Häuflein mußte man auch die Parlamentsabgeordneten und Senatoren wählen und hatte wenigstens hier das Glück, auf Männer zu stoßen, die sich in der Folge kraft ihrer Eignung und Geschicklichkeit durchsetzen und behaupten konnten. Erst gelegentlich der Wahlen in den Regional- beziehungsweise Pro inzialrat konnte man nach dem teilweisen Abschluß der Reoption der seinerzeitigen Deutschlandoptanten auch auf das in dieser Gruppe enthaltene Kräftereser oir greifen.

Der italienische Teil der Be ölkerung, in der Region in der Mehrheit, in der Pro inz Bozen jedoch in der Minderheit, sieht sich durch den die ganze einheimische Be ölkerung umfassenden Block der Südtiroler olkspartei nicht nur in seiner ormachtstellung bedroht, sondern in seiner wirtschaftlichen und ethnischen Entfaltungspolitik gehemmt. Daher war er on Anfang an bestrebt, in die Front der Südtiroler einen Keil zu treiben. Diesem ersuch widerstand das Südtiroler olk in der richtigen Erkenntnis, daß es nur in der Einigkeit die Kraft zur erfolgreichen erteidigung seiner ethnischen, wirtschaftlichen und politischen Rechte finden könne. Um sich nun selbst mehr zu stärken, sannen italienische Politiker darauf, auch ihrerseits on der parteilichen Zersplitterung abzugehen und sich wenigstens in Südtirol zu einem Block zusammenzufinden. Zu diesem Zweck wurde die „Unione Alto Atesina gegründet, zu deren ornehmsten Mitarbeitern Dr. F a c c h i n, der christlichdemokratische Parlamentsabgeordnete Südtirols, und Angelo D o n a t i, der Leiter derselben Partei on Gries, gehören. Dieser erband hat sich nicht durchzusetzen ermocht, er wurde ielmehr on den ertretern anderer italienischer Parteien angegriffen und als ein „ erband weniger Irregeführter“ (L’Adige) lächerlich gemacht. Heute ist man auf italienischer Seite der Ansicht, daß es nicht nötig sei, sich selbst zu einer Front zu einen, da man trotz anfänglicher Enttäuschungen nunmehr mit einer Aufspaltung der Südtiroler olkspartei rechnen zu können glaube.

Tatsache ist, daß in einer Reihe on Gemeinden, wie besonders in Meran, Lana, Schönna, Natures, Kastelruth und Graun neben den Listen der Südtiroler olkspartei auch Listen unabhängiger Kandidaten für die Gemeindewahlen eingereicht worden sind. In anderen Gemeinden, wie Brixen und Bruneck, kamen zwar Einheitslisten zustande, jedoch sah sich die Südtiroler olkspartei genötigt, in ihre Listen auch unabhängige Kandidaten aufzunehmen. In einigen anderen, orwiegend bäuerlichen Gemeinden, wie besonders in Deutschnofen, konnte die Südtiroler olkspartei den Einfluß der Unzufriedenen überwinden und ihren orrang durch geheim durchgeführte orwahlen bestätigen.

Keine Aufspaltung der Südtiroler olkspartei

Es würde zu weit führen, wollte man in diesen Erscheinungen or den Gemeindewahlen schon eine Aufspaltung der Südtiroler olkspartei erblicken. Das Blatt „Der Südtiroler“, ein offenbar stark links orientiertes Organ, bemüht sich zwar sehr, den Einfluß der „Einparteiendiktatur“ der Südtiroler olkspartei zu untergraben. Die in den unabhängigen Listen erscheinenden Kandidaten jedoch wollen — wie sie selbst sagen — nichts anderes, als aufmerksam machen, daß der deutsche Be ölkerungsteil noch über ein Kräftereser oir erfügt, das — wenn auch dem Führungsstab der Südtiroler olkspartei femestehend — genügend geeignete Männer enthält, öffentliche Aufgaben zu erfüllen, und es liegt nicht in ihrer Absicht, sich in der großen Südtiroler Politik on der Haltung der Südtiroler olkspartei zu distanzieren. Was sie damit meinen beziehungsweise wie sie sich das orstellen, ist allerdings schon deshalb unklar, weil über die sogenannte „große Südtiroler Politik“ auch innerhalb der Südtiroler olkspartei erschiedene Auffassungen bestehen, die zwar nicht in offenbarem Gegensatz zueinander stehen, aber doch um den geltenden Einfluß innerhalb der Partei ringen.

Da ist or allem der liberale, mehr wirtschaftlich orientierte und daher dem italienischen Einfluß naturgemäß leichter zugängliche Kreis der Kaufmannschaft, dem seit jeher in Südtirol eine bestimmende Kraft eignete. Neben ihm steht die christlich sozialpolitisch ausgerichtete Gruppe um den Parlamentsabgeordneten Dr. Friedrich o 1 g g e r und den Regionalassessor Dr. Beiedikter. Den wirtschaftlichen und sozialen Problemen fremder steht die starke, ielleicht stärkste Gruppe der Tiroler alten, christlichen Schlages mit dem Parlamentsabgeordneten Dr. Toni Ebner gegenüber, die auf eine stärkere Zusammenarbeit mit dem P. P. T. T. (Partito del Popolo Trentino Tirolese) hinarbeitet und ihren Bemühungen durch die Herausgabe des italienisch gedruckten Blattes „La oce della Montagna nach außen Nachdruck erleiht. Dieser Gruppe gegenüber steht jene der Intelligenz um den Regionalratspräsidenten Dr. Sil ius Mag- nago, einem Exponenten der seinerzeitigen Deutschlandoptanten und Kriegs ersehrten des zweiten Weltkrieges, welche für die Aufrechterhaltung des Ein ernehmens mit der Democrazia Cristiana eintritt, da man nach ihrer Meinung nur mit dieser stärksten Partei Italiens in Rom Südtirols Interessen erfolgreich ertreten, ja nur mit dieser die Autonomie Trentino — Südtirols auf die Dauer legitimieren könne.

Das Südtiroler olk weiß on diesen auseinanderstrebenden Auffassungen wenig, spürt jedoch ihre Auswirkungen. Die wirtschaftlich Starken empfinden die erpflichtung zur Wiederseßhaftmachung der Rückgewanderten als Belästigung, als Störung, zumal diese als wirtschaftlich Schwache zu gewissen Radikalismen neigen. Die wirtschaftlich Schwachen fühlen sich abgestoßen, da die Südtiroler olkspartei nach ihrer Meinung sich mit sozialpolitischen Sorgen überhaupt nicht belaste und darüber hinaus den sozialpolitisch interessierten Abgeordneten Dr. olgger gerne in den üblen Geruch der Hinneigung zu kommunistischen Ideen setze. Die besonders tirolisch orientierten Kreise werden durch die in nationalen Belangen immer wieder an den Tag gelegte Nachgiebigkeit der Südtiroler olkspartei in Harnisch gebracht. Ein Teil der Intelligenz wieder lehnt die „Halsstarrigkeit“ der Südtiroler olkspartei in nationalen Dingen ab und empfiehlt ein stärkeres Zusammengehen mit den Italienern, selbst wenn dies unter empfindlichen Opfern an hergebrachtem Tirolertum zu erkaufen wäre.

Die geschilderte Mißstimmung erkennend, haben italienische Linkskreise ersucht, eine billige Ernte hereinzubringen. Das seit einem halben Jahr erscheinende, deutsch gedruckte und on Einheimischen redigierte Blatt „Der Südtiroler“ hätte es gewiß erreicht, die wirtschaftlich Schwachen, besonders die enttäuschten Rücksiedler zu gewinnen, wäre nicht die Friedenstaube allzu früh aus dem Käfig entlassen worden. Eine deutsch-italienische erbrüdenmgsgmppe scheiterte schon daran, daß man glaubte, auf den Werbeschild den Namen des sozialistischen Regionalrats Caminiti setzen zu müssen.

Der 25. Mai wird zeigen, wie weit und in welchen Gemeinden der Wunsch nach

Erneuerung der Südtiroler Front lebendig ist. Er wird daher in der Geschichte Südtirols unter Italien nicht nur als Tag der ersten Kommunal wählen seit 1926, sondern auch als Tag innerlicher Umgestaltung und neuer Kräftigung des Südtiroler olkes genannt werden.

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