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Sdtiroler Gewerksdiaftssorgen

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Im Juli 1966 erschien die Arbeit „Die Entwicklung des Gewerkschaftswesens in Südtirol“ von Klaus Kassner. Diese Arbeit entstand auf Anregung des Südtiroler Wirtschafts- und Sozialinstituts und wurde als Dissertation an der Universität Innsbruck mit dem Prädikat „sehr gut“ ausgezeichet. In jahrelanger, mühevoller Kleinarbeit hat der Verfasser umfangreiches Mat-terial zusammengetragen und schließt nun mit seinem grundlegenden Werk eine große Lücke in der Soizialgeschichte Südtirrols. Die nachfolgenden Ausführungen greifen einige Gesichtspunkte aus der Arbeit heraus.

Zum Unterschied von Deutschland und Österreich, wo alle Fachgewerkschaften in einer einzigen Dachorganisation zusammengeschlossen sind, gibt es in Italien eine Vielzahl von Gewerkschaftsverbänden, die sich nach weltanschaulicher und politischer Ausrichtung unterscheiden. Die wichtigsten davon sind: CGIL = Confederazione Generale

Sindacati Lavoratori UIL = Unione Italiana Lavoratori

Mitte 1948 zählte die CGIL etwa 6 Millionen Mitglieder, die sich folgendermaßen verteilten: 60 Prozent stellten die Kommunisten, 20 Prozent die Nenni-Sozialisten, 15 Prozent die Christlichdemokraten, den Rest die Saragat-Sozialisten und die Republikaner. Diese Zusammensetzung kam auch in der Verteilung der führenden Posten zum Ausdruck.

Noch im Jahre 1948, also vier Jahre nach der Gründung, kam es dann zum Bruch: Die Christlichdemokraten gründeten die „Confederazione Italiana Sindacati Lavoratori“ (CISL), die Kommunisten und Nenni-Sozialisten verblieben in der CGIL — und behielten das bis dahin angesammelte Gewerkschaftsvermögen!

Ähnlich wie im nationalen Raum verlief auch die Entwicklung in Südtirol. Hier gab es seit 1945 den allgemeinen Gewerkschaftsbund CGIL, der in der Arbeiterkammer sein ausführendes Organ besaß.

Die Beschlüsse wurden im Mehrheitsverhältnis gefaßt. Durch das enge Zusammengehen zwischen Kommunisten und Sozialisten wurden die anderen politischen Richtungen an die Wand gespielt, und so kam es auch in Südtirol zum Bruch. Von den katholischen Arbeiterbewegungen ACLI und KVW wurde ein Pakt geschlossen, aus dem noch 1948 der „Südtiroler Gewerkschaftsbund“ (SGB) hervorging. An seiner Spitze standen zwei Sekretäre, und zwar Sandro Panizza für die Italiener und Dr. Alfons Benedikter für die Deutschsprachigen.

Um der kommunistisch gelenkten Arbeiterkammer ein Äquivalent entgegensetzen zu können, erkannte man die Mitgliedschaft beim KVW auch als Mitgliedschaft beim Südtiroler Gewerksühaftsbund an. Dadurch hatte der SGB eine Stärke, die dprjenigen der CGIL nicht nachstand. Vor allem war der deutschsprachige Anteil im SGB so groß, daß man auf dem nächsten Landeskongreß diesem Umstand durch die Wahl von Dr. Walter Mayer zum Präsidenten Rechnung trug.

Im Jahr 1950 schloß sich der SGB der auf nationaler Ebene konstituierten CISL an. Von diesem Zeitpunkt ian führt der Südtiroler Gewerkschaftsbund die Bezeichnung SGB/CISL und stellt keinen autonomen Gewerksdhaftsbund mehr dar. sondern ist mit der Provinzialorga-nisation der CISL in Südtirol identisch. Wegen der Aushöhlung des deutschsprachigen Elementes wurde 1964 der „Autonome Südtiroler Gewerkschaftsbund“ (ASGB) gegründet.

Die zur Zeit wichtigsten Gewerkschaften in Südtirol sind die CGIL, der SGB/CISL, die UIL, die CISNAL und der ASGB. Dazu kommen noch Splittergewerkschaften.

In der CGIL sind die Kommunisten und Nenni-Sozialisten gewerkschaftlich organisiert. Zieht man den ÖGB zum Vergleich heran, so fällt auf, daß die CGIL keine Streik-und Unterstüzungskassen führt und keine Mittel für den Rechtsschutz aufwendet.

Die UIL (Unione Italiana Lavoratori) entstand im gleichen Jahr wie der SGB/CISL, ebenfalls durch Abspaltung von der CGIL. In ihr sind in der Regel Sozialdemokraten und größtenteils Gleichgesinnte (Republikaner) eingeschrieben. Streik-und Rechtschiutzkassen werden von der UIL ebenfalls nicht geführt.

Schon sechs Jahre nach dem Zusammenbruch der mussolinischen Ära hat sich in Südtirol die CISNAL Confederazione Italiana Sindacati Nazionali Lavoratori) etabliert, deren politischer Hintergrund der Faschismus ist und die sieh auch ständig zu den Prinzipien und Idealen des italienischen Nationalismus bekennt. Sie rekrutiert ihre Mitglieder hauptsächlich unter den Metallarbeitern (Industriezone Bozen) und den staatlichen Gebietskörperschaften.

Wie schon erwähnt, wurde der Autonome Südtiroler Gewerkschaftsbund (ASGB) aus dem Bedürfnis nach echter Vertretung der Interessen der deutschsprachigen Arbeiter in Südtirol im Jahre 1964 gegründet. Aber auch für den ASGB war eine Anlehnung auf nationaler Ebene nicht unerläßlich. Eine Verbindung mit der Dachorganisation der CISL, der Führung aller freiheitlichen gewerkschaftlichen Kräfte, war naheliegend. Doch die schroffe Abweisung dieses Verbandes ließ den ASGB nach anderen Verbindungen suchen. Bereitwillige Aufnahme fand er bei der Commissione Sindacale Cristiana (CSC) der christlichen Gewerkschaft in Rom.

Die Mitgliederanzahl der einzelnen Gewerkschaften in Südtirol ist nicht ohne Schwierigkeiten zu ermitteln.

Die Stärke einer Gewerkschaft bemißt sich jedoch letzten Endes nach der Zahl der stetig zahlenden Werktätigen, auf welche die Funktionäre bei Aktionen rechnen können. Danach sind von den italienischen Werktätigen in Südtirol rund 40 Prozent und von der deutschsprachigen Arbeiterschaft gut 10 Prozent gewerkschaftlich organisiert. 1965 betrug die Zahl der „wirklichen“ Gewerkschaftsmitglieder für ganz Südtirol 26.500 und zwar: CGIL 12.000, SGB/CISL 5650, ASGB 5500, UIL 1950, CISNAL 650, Splittergewerkschaften 750.

Politisch gesehen ergibt sich durch diesen Mitgliederstand folgendes Kräfteverhältnis: Linksradikale. 12.000; Block der freien Kräfte: 13.850; Rechiteextreme: 650. Damit wäre die Vorherrschaft der Sozialkommunisten gebrochen, und es bedürfte nur einer Zusammenarbeit der freien Kräfte, um dieses Verhältnis auch in der Praxis zu realisieren.

Die Stärke einer Gewerkschaft zeigt sich nun nicht allein in der Anzahl der Mitglieder, sondern ist vor allem auch meßbar an der Zahl der Sitze in den Internen Kommissionen. Aus der Entwicklung der Zusammensetzung der Betriebsräte in Südtirol von 1955 bis 1965 geht hervor, daß die CGIL nur in den Großbetrieben, und hier vor allem bei den Arbeitern, eine führende Rolle spielt, während der SGB/CISL bis 1963 bei den Klein- und Mittelbetrieben federführend war, wo auch die Unabhängigen stark vertreten waren. Diese Fübrungsposition mußte er jedoch 1965 an den ASGB abtreten, der sich zunächst nur in dieser Betriebsgrößenordnung um Kandidaten bemühte. In den Großbetrieben konnte sich die CISL als zweitstärkste Fraktion nach der CGIL behaupten. Den Verbänden UIL und CISNAL kommt nur in gewissen Kategorien eine Bedeutung zu.

Für die Südtiroler Arbeitnehmer-schaft in ihrer Gesamtheit ist dieses Fünfteüung der Kräfte (CGIL, SGB/ CISL, ASGB, UIL, CISNAL) recht ungünstig, denn die fünf rivalisierenden Interessengruppen stehen jeweils einem geschlossenen Arbeitgeberverband gegenüber. Solange sich die einzelnen Gruppen bekämpfen und dieser Kampf auch im Lager der freien und christlichen Organisationen stattfindet, ist der eigentliche Leidtragende die Arbeiterschaft.

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