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Reden wir einmal konkret

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Zehntausend Besucher kamen heuer zur Buchmesse nach Bozen; eine schöne Demonstration sprachlicher und kultureller Verbundenheit Südtirols mit dem deutschsprachigen Raum. Wichtiger als alle Reden und Kundgebungen — so eindrucksvoll sie sein mögen — scheint uns diese stille Art der Demonstration, die nicht nur die wesenhafte Bindung des Südtiroler Volkstums an Oesterreich unterstreicht, sondern ihm zugleich auch aktive Hilfe bringt. Was über gemeinsame Veranstaltungen hinaus von österreichischer Seite an Unterstützung geschehen könnte, soll im folgenden angedeutet werden.

Die Südtiroler nützen ihre gewonnene kulturelle Freiheit, so gut es nach seiner fast dreißigjährigen Unterbrechung auf kulturellem Gebiete geht. Aus einem völligen Nichts heraus mußte die deutsche Schule aufgebaut werden, bildeten sich fast in allen Orten Musikkapellen, wurden Volkshochschulen, Kulturvereinigungen und Heimatschutzvereine gegründet. Heute bestehen in Südtirol 150 Musikkapellen, 14 Heimatschutzvereine, 16 Volkshochschulen und Kulturvereine, 41 Laienspielbühnen, 11 Gesangvereine und 5 Brauchtumsgruppen. Nicht unerwähnt darf die im Jahre 1953 erfolgte Gründung des Südtiroler Kulturinstituts bleiben, das vorige Jahr die Meraner Hochschulwochen durchführte; nicht vergessen darf man den Aufbau der Freiwilligen Feuerwehren, des Alpenvereins Südtirol, des Südtiroler Sportvereins, den Wiederaufbau der einst so zahlreichen karitativen Einrichtungen.

Wenn man nun bedenkt, daß dieses kulturelle Aufbauwerk fast ohne öffentliche Mittel, sondern durch private Initiative und aus privaten Geldmitteln geleistet werden mußte, wenn man vor allem auch.in Betracht zieht, daß die Südtiroler Volksgruppe nur 220.000 Seelen zählt, dann versteht man erst die großartige Leistung unserer Tiroler südlich des Brenners zu würdigen. Es muß einmal eindeutig und klar festgestellt werden, daß die Opfcrwilligkeit der Südtiroler Volksgruppe groß ist. Man übersieht meist, daß sich der Hauptteil der Südtiroler aus Bergbauern zusammensetzt, die wie alle Bergbauern bargeldarm sind. Die Südtiroler Volksgruppe bringt jährlich 35 Mill. Lire (1,400.000 Schilling) aus privaten Sammlungen auf. Die Deutsche Schulhilfe allein kann auf ein Spendenergebnis seit dem Jahre 1945 von 70 Mill. Lite hinweisen.

Trotz dieser großen Anstrengungen der Südtiroler im kulturellen Aufbau sind noch gewaltige Lücken vorhanden, die zu schließen Südtirol allein unter keinen Umständen imstande ist. Es sollen nur einige von vielen aufgezeigt werden.

Der Nachwuchs für die höheren und qualifizierten Berufe stellt eine der Hauptsorgen des Südtiroler Volkes dar. In der Zeit des Faschismus konnte für den Nachwuchs nicht gesorgt werden. Die Umsiedlung, der gewaltigste Aderlaß des Südtiroler Volkstums, entzog Südtirol viele Kräfte, die es heute dringend braucht. Zu diesem Nachholbedarf gesellt sich noch eine Ausgangslage für diese Nachwuchsförderung, die sich äußerst beunruhigend darstellt. Von den deutschen Schülern besuchen nur 10 Prozent über die Volksschule hinaus eine Schule, von der italienischen Schuljugend dagegen 33 Prozent. Wo liegt hier die Ursache?

Die italienische Bevölkerung gruppiert sich vorwiegend in den Städten, die einen Besuch der höheren Schulen sehr erleichtern und verbilligen. Die deutsche Bevölkerung ist eine vorwiegend ländliche, von der der Besuch einer höheren Schule ungleich mehr Opfer und finanzielle Belastung abfordert. Diesem ungünstigen Umstand könnten Schülerheime abhelfen. Die Südtüoler Volksgruppe besitzt, aber kein einziges Schülerheim, während der italienische Bevölkerungsteil in Bozen ein großes, modernst eingerichtetes Heim hat. Für die Mittel zum Bau eines dringend notwendigen Schülerheimes in Bozen mit rund 500 Plätzen sind aber durch die Südtiroler Volksgruppe nur höchstens ein Viertel der Baukosten (115 Mill. Lire) aufzubringen. Und doch muß das Schülerheim gebaut werden, denn nur so kann das auf die Dauer nicht tragbare Mißverhältnis im höheren Schulbesuch (10 : 35 Prozent) beseitigt werden. Gelänge dies nicht, würden die Südtiroler zu einem Kolonialvolk absinken.

Im Zusammenhang damit steht eine andere, wichtige Frage. Jede Volksgruppe braucht zur Erhaltung ihres Volkstums einen kulturellen Mittelpunkt, der das Herz der gesamten Kultur und Volkstumsarbeit darstellt. Dieser Mittelpunkt wäre ein Kulturhaus, in dem alle kulturellen Vereinigungen und Einrichtungen der Volksgruppe ihren Sitz haben. Von hier aus soll das kulturelle Leben immer wieder neue Impulse empfangen, hier sollen alle kulturellen Bestrebungen zusammenlaufen. Der Wille zum Bau dieses Kulturhauses wäre vorhanden. Nicht vorhanden sind aber die Mittel.

Eine ernste Frage sind auch die deutschen Kindergärten. Südtirol hat 421 deutsche Schulorte in 102 Großgemeinden, aber nur achtzehn deutsche Kindergärten. Die italienische Volksgruppe dagegen besitzt 65 Kindergärten, die vom Nationalen Hilfswerk für befreite Gebiete (ONAIR) erhalten werden, wobei aber der Staat namhafte Zuwendungen tätigt. Die Kinder in diesen Kindergärten Werden im nationalitalienischem Geiste erzogen, wie schon der Name sagt. Daher muß die Südtiroler Volksgruppe ihre eigenen Kindergärten haben. Der Südtiroler Landesregierung wurde durch die zweimalige Ablehnung des Kindergartengesetzes (gerade jetzt soll dieses Gesetz das dritte Mal vorgelegt werden) die Errichtung von Kindergärten fast unmöglich gemacht und die Gemeinden verfügen meist nicht über die nötigen Mittel.

Die größte Sorge ist die Heranbildung der Mittelschullehrer. Es ist keine Frage: die Lehrkräfte an den deutschen höheren Schulen brauchen eine Ausbildung an deutschsprachigen Universitäten, um den Erfordernissen ihres Berufes voll und ganz gerecht werden zu können. In manchen Fächern, wie Germanistik, Geschichte und Geographie, ist es geradezu ein Unding, wenn diese auf italienischen Hochschulen gehört werden müssen. Die in Betracht zu ziehenden volkspolitischen Gesichtspunkte brauchen wir gar nicht eigens zu erwähnen. Nun ist aber für Südtiroler Studenten der Besuch österreichischer Hochschulen äußerst erschwert. Im Ausland abgelegte Semester werden nicht anerkannt, ebenso die im Ausland erworbenen akademischen Grade. Dies ganz im Widerspruch zu den Bestimmungen des Pariser Vertrages. Die dadurch notwendige Nostrifizierung erfordert ein weiteres Jahr an einer italienischen Universität, bringt nicht nur Zeitverlust, sondern auch hohe finanzielle Belastungen. Dabei ist das Auslandsstudium schon an sich teuer. Der Nachwuchs für die Mittelschullehrer aber kommt vorwiegend aus der bargeldarmen Landbevölkerung. — Heute fehlen noch immer S7 Mittelschulprofessoren. Hier ist dringend Abhilfe nötig. Die Südtiroler Landesregierung darf aber keine Auslandsstipendien erteilen. Dafür müßten wiederum private Geldmittel aufgebracht werden.

Noch viele andere Lücken, wie das Fehlen von Volks-, Pfarr- und Jugendbüchereien, Jugendherbergen, brauchen nicht eigens erwähnt zu werden. Tatsache ist nun, daß Südtirol diese Lücken aus eigener Kraft nicht zu schließen vermag. Südtirol braucht Hilfe von auswärts. Ungefähr 1 Mill. Schilling jährlich sind für die dringendsten kulturellen Erfordernisse als Ergänzung zur Eigenaufbringung der Südtiroler Volksgruppe notwendig. Der dänische Staat wendet für die dänischen Schulen in Schleswig-Holstein jährlich 60 Mill. Schilling auf. (Die Genossenschaftsschlächtereien in Dänemark liefern automatisch 25 Oere je geschlachtetes Schwein dem Grenzverein, der das Dänentum in Schleswig-Holstein unterstützt, ab.) Oesterreich muß hier seine Aufgabe erfüllen, denn Südtirol braucht dringend Hilfe.

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