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Der häßliche Österreicher

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„Österreich ist ein Land, das mir überhaupt nicht sympathisch ist." — „Österreicher sind roh und unfreundlich, arrogant und eigenartig.“

Etwa 150 Buben aus Abschlußklassen von Mittelschulen in Südtirol wurden in einer Untersuchung des Soziologischen Institutes der Universität München, die sich eigentlich um Berufswünsche und Berufsvorstellungen drehte, auch mit ihrem Verhältnis zu Österreich konfrontiert. Das Ergebnis war überraschend: Nur vier von

143 deutschsprachigen Schülern drückten deutliche Sympathien für Österreich aus. 15 Schüler lehnten Österreich kompromißlos ab. 83 hatten eine bedingt ablehnende Haltung gegenüber Österreich,

Damit lag das Österreichbild dieser jungen Südtiroler ungefähr gleich schlecht wie das Italiens, Die Identifikation mit Österreich, die bei den Älteren immer noch vermutet wird, ist bei der jungen Generation also eindeutig verschwunden. Anderseits drängt die Gewohnheit der offiziellen Stellen Italiens, die Südtiroler als „Deutsche“ zu bezeichnen, viele junge

Südtiroler zu dieser Selbstidentifikation — ein Vorgang, der zumindest dem Soziologen nicht neu ist. Sicherlich: Es geht , dabei keineswegs um Pangermanismus und Neonazismus, auch wenn in der (positiven) Wertung kein Unterschied zwischen dem ehemaligen Deutschen Reich, der deutschen Bundesrepublik oder der „Deutschen Demokratischen Republik“ gemacht wird. Doch das politische Ziel einer möglichen Einheit aller Deutschsprachigen ist nirgends zu entdecken. Während eine Minderheit der befragten Schüler für die totale Integration Südtirols in den italienischen Staat und in die italienische Gesellschaft eintritt, träumt die Mehrheit von einer Autonomie. Unter den Befürwortern einer solchen Lösung lassen sich im wesentlichen zwei Richtungen unterscheiden: Ihre gemeinsame Grundansicht ist, daß die deutschsprachige Südtiroler Bevölkerung sich grundsätzlich von der übrigen Bevölkerung Italiens unterscheidet, daß sich auch Südtiroler Tradition und Kultur von der Italiens unterscheiden; eine Vermischung wird abgelehnt. Gemeinsam ist freilich die Ablehnung eines Anschlusses an Österreich!

Während sich aber die eine der beiden Gruppen gemäßigter gibt und eine Autonomie in der Art der Siziliens (oder der eines österreichischen Bundeslandes) innerhalb des italienischen Staatsverbandes anstrebt, wünscht die andere Gruppe die völlige Loslösung von Italien und ein eigenes Staatsgebilde nach Schweizer Muster.

Abgesehen von den verschiedenen Zielen sind auch die Ausgangspositionen radikal voneinander getrennt: Die erste — gemäßigtere — Gruppe scheint bei ihrer Forderung nach der gewünschten spezifischen Form einer Autonomie Gesamteuropa im Auge zu behalten. Probleme des europäischen Zusammenschlusses und der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft werden durchaus realistisch gesehen und diskutiert. Die andere Gruppe dagegen scheint sowohl radikalen als auch überholten Gedankengängen verjiaftet.

Politische Leitbilder der Jugendlichen dieser zweiten Gruppe sind de Gaulle, Nasser, Castro und Mao Tse-tung, kurz, die starken Männer, die „es den anderen zeigen“. So wird bei einer Entscheidung für Nasser besonders hervorgehoben, daß er „gegen den Kapitalismus und gegen den Kommunismus zu bestehen vermag“. Und gerade in dieser Antwort schwingt eine Grundhaltung mit, die für Südtirol typisch ist: Die Ablehnung der städtischen Industriegesellschaft. Der Südtiroler, auch der junge studierende Südtiroler, fühlt sich als Bergbauer, für den Treue zur Heimat der höchste Wertbegriff zu sein hat. Bei der Frage: „Würden Sie lieber auf dem Lande oder in der Stadt wohnen?“ entschieden sich mehr als zwei Drittel der Befragten gegen die Stadt, obwohl ungefähr derselbe Prozentsatz der Schüler selbst aus der Stadt stammt.

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