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Jenen, die - dem Zeitgeist folgend - die Autonomie als überholt und revisionsbedürftig hinstellen, ist eine strikte Absage zu erteilen.

Der Streitbeilegung zwischen Österreich und Italien, die sich dieser Tage zum zehnten Mal jährt, war die Erfüllung des Südtirol-Pakets vorausgegangen, jenes Maßnahmenbündels, über das die damaligen Außenminister Kurt Waldheim und Aldo Moro im Jahre 1969 in Kopenhagen Einvernehmen erzielt hatten. 23 Jahre zäher Verhandlungen und ständiger Kontakte zwischen Rom, Bozen und Wien lagen zwischen diesen beiden Eckdaten.

Die Entwicklungen seit der Streitbeilegung bestätigen die Richtigkeit der damaligen Vorgangsweise: Österreich traf sie im Vertrauen darauf, dass Italien auch nach diesem Schritt die Südtirol-Autonomie schützen und fördern würde. Diese Erwartung hat sich erfüllt. Südtirol konnte in den letzten Jahren seine Kompetenzen erheblich erweitern und die Autonomie zusätzlich festigen. Darüber hinaus erfuhr der soziale Friede eine weitere Stärkung, und das Zusammenleben der verschiedenen Sprachgruppen im Land entwickelte sich gedeihlich. Die wirtschaftliche Situation ist heute wie vor zehn Jahren eine im europäischen Vergleich überaus günstige.

Wenn die Entwicklung bislang so positiv verlaufen ist, so hängt dies sicherlich mit dem politischen Geschick der Südtiroler selbst zusammen. Eine wichtige Rolle spielt aber auch Österreichs effiziente Wahrnehmung seiner Schutzfunktion. Österreichs Beitritt zur Europäischen Union war für Südtirol ebenso ein bedeutsames Ereignis: Von da an nahmen die Tiroler-Landesteile gleichberechtigt am europäischen Binnenmarkt teil und entwickelten sich in Richtung immer dichterer Integration. Eine besondere Dynamik entstand dabei durch das Schengen-Abkommen, welches dazu führte, dass die Grenzkontrollen an Brenner seit 1998 der Vergangenheit angehören Durch die Teilnahme Österreichs und Italiens am Euro-Projekt, konnte schließlich auch das Entstehen neuer wirtschaftlicher Barrieren verhindert werden. Alles dies sind denkbar günstige Voraussetzungen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit Tirols, Südtirols, und des Trentino in der gleichnamigen Europaregion.

Grundkonsens der Parteien

Mit Genugtuung kann heute festgestellt werden, dass in Sachen Südtirol ein Grundkonsens aller politischen Parteien Österreichs besteht. Dadurch gewinnt die Schutzfunktion Österreichs für Südtirol auf der Grundlage des Pariser Abkommens natürlich an Glaubwürdigkeit. Es war übrigens kein Geringerer als Romano Prodi, der einmal erklärte, dass die Autonomie Südtirols wahrscheinlich nicht die heutige Qualität erreicht hätte, wenn die deutsch-sprachige Minderheit nicht in Österreich ihren "Garanten" gehabt hätte.

lnterethnisch orientierte Kreise in Südtirol haben in den letzten Jahren bisweilen argumentiert, die gesellschaftlichen Umwälzungen, die in Europa und der Welt seit der Einigung über das Paket vor 33 Jahren stattgefunden haben, würden die Südtirol-Autonomie überholt und revisionsbedürftig erscheinen lassen. Dieser These ist mit Entschiedenheit entgegenzutreten. Außer Zweifel steht, dass sich im sozialen Gefüge und im Bewusstsein der Menschen Europas sehr vieles gewandelt hat. Völlig unzutreffend wäre aber, daraus den Schluss zu ziehen, die kulturelle Identität - mit dem wesentlichen Kriterium der Sprache - sei dem heutigen Menschen kein Anliegen mehr. Mit gutem Grund betont Europa in seinem Diskurs über Minderheiten nachdrücklich die Notwendigkeit des Schutzes dieser Identität. Die Grundpfeiler der Südtirol-Autonomie - muttersprachliche Schule, Gebrauch der Sprache vor Gericht und Verwaltungsbehörden, aber auch an eine gerechte Verteilung der öffentlichen Ämter unter den verschiedenen Sprachgruppen - verfolgen genau dieses Ziel: sie haben sich als friedensstiftende Instrumente bewährt, sind heute aktueller denn je und müssen weiterhin rechtlich abgesichert bleiben.

Das heißt aber nicht, dass es verboten wäre, über mögliche Anpassungen der Anwendungsmodalitäten der Autonomie nachzudenken. Jede solche Diskussion muss aber im Bewusstsein um den Wert und das politische Gewicht des Pakets sowie mit Verantwortungsbewusstsein und Behutsamkeit geführt werden. Mit Berufung auf den Zeitgeist die Substanz der Südtirol-Autonomie anzutasten, wäre eine unverzeihliche Leichtfertigkeit.

Aus meiner Sicht besteht kein Zweifel daran, dass die Südtirol-Autonomie Vorbildwirkung für andere Minderheitenkonflikte entfalten kann, und dementsprechend lebhaft ist auch das Interesse von Regierungen und Sprachminderheiten in Mittel- und Osteuropa für die Südtirollösung. Dabei kann eine bestimmte Regelung nicht als Patentrezept auf andere Situationen übertragen werden, aber über die Grundprinzipien der Südtirol-Autonomie kann heute kein Politiker, der Verantwortung für Sprachminderheiten trägt, hinwegsehen.

Jugoslawien-Schock

Im Rahmen dieser Überlegungen drängt sich eine gewisse Analogie zwischen der Situation des Jahres 1992 und der heutigen auf: Als Österreich damals die Streitbeilegungserklärung abgab, standen wir unter dem Eindruck der dramatischen Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien, wo Minderheitenkonflikte mit nackter Gewalt ausgetragen wurden. Gleichzeitig waren wir in der Erwartung entscheidender Fortschritte beim europäischen Integrationsprozess, die Österreich innerhalb weniger Jahre zur Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft führen sollten.

Die Staaten Mittel- und Osteuropas befinden sich heute in einer ähnlichen Situation. Ich stelle daher die Frage, ob sie sich nicht ebenfalls zu einer Kultur der Vergangenheitsbewältigung und Streitbeilegung durchringen sollten. An der Antwort kann aus meiner Sicht kein Zweifel bestehen. Österreich, das die europäische Erweiterung mit Nachdruck unterstützt, ist jedenfalls der festen Überzeugung, dass dieser historische Schritt zum Anlass genommen werden sollte, um auch mit schwierigen Etappen der Geschichte ins Reine zu kommen und so unbelastet in das gemeinsame Europa von morgen, in ein Europa der ungeteilten Menschenrechte, zu gehen.

Die Autorin ist Außenministerin der Republik Österreich.

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