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Das Luftschloß vom Freistaat"
Obwohl die Südtiroler den Regierungswechsel in Rom mit gemischten Gefühlen beurteilen, hoffen sie auf eine Überraschung, für die Amintore Fanfani immer gut ist.
Obwohl die Südtiroler den Regierungswechsel in Rom mit gemischten Gefühlen beurteilen, hoffen sie auf eine Überraschung, für die Amintore Fanfani immer gut ist.
Das Wiederauftauchen des alten christdemokratischen Schlacht-rosses Amintore Fanfani im römischen Krisenkarussell wird in Sfldtirol mit gemischten Gefühlen betrachtet. Man hat ihn von den sechziger Jahren her als einen unnachgiebigen Verfechter der Zentralgewalt in Erinnerung. Aber die Lebenserwartung seines fünften Kabinetts wird nicht hoch eingeschätzt.
Mit Blick auf das Damoklesschwert vorgezogener Parlamentswahlen wird Fanfani wenig Gelegenheit haben, die großen gesamtstaatlichen Probleme zu lösen. Immerhin hätte er die Möglichkeit, als der Ministerpräsident Italiens in die Geschichte einzugehen, der wenigstens die letzten Durchführungsbestimmungen zum Autonomiepaket für Südtirol erläßt.
Fanfani gilt als ein Politiker, der für jede Überraschung gut ist. Warum nicht auch für eine solche?
Die Vorarbeiten sind unter seinem Vorgänger Giovanni Spado-lini weit gediehen. Ausgerechnet beim ersten nicht christdemokratischen Regierungschef seit Kriegsende hat das urkatholische Südtirol ein offenes Ohr für seine Belange gefunden. Ein Maß für Spadolinis Minderheitenfreundlichkeit war der Argwohn, den seine Südtirol-Dynamik bei vielen italienischen Lokalpolitikern erregte; sie sind über den Regierungswechsel ebenso erleichtert wie die Südtiroler darüber besorgt sind.
Eine wichtige Streitfrage schien von den Experten Spadolinis und Silvius Magnagos bereits zu 90 Prozent geklärt: Sie betrifft die Befugnisse der in Bozen zu errichtenden autonomen Sektion des regionalen Verwaltungsgerichtshofes. Auch zur Zweisprachigkeit bei Gericht und Polizei gibt es inzwischen recht klare Vorstellungen. Eine Rangfolge der weiteren Diskussionsthemen mit Rom wurde Anfang Dezember bei der Landesversammlungder Südtiroler Volkspartei (SVP) aufgestellt.
Für die Südtiroler Bevölkerung ist die langjährige Forderung nach der „unverzüglichen Genehmigung der noch ausstehenden Durchführungsbestimmungen" heute nicht mehr sonderlich zugkräftig. Diese wichtigen, aber trockenen Einzelheiten sind das tägliche Brot solider Autonomiepolitik.
Als Vorlage für politische Glaubensbekenntnisse und grundsätzliche Kampfprogramme sind sie wenig geeignet. Das Bedürfnis nach solchen besteht jedoch nach wie vor bei einem Großteil der politisch aktiven Südtiroler.
Das Bedürfnis, in irgendeiner Form „Bekennermut" zu demonstrieren, prägte die politische Diskussion in diesem Jahr. Bekenntnischarakter trugen unter anderem die Äußerungen der Neuen Linken, des SVP-Nachwuchses oder des Bergsteigers Reinhold Messner. Aber den Löwenanteil der Aufmerksamkeit beanspruchte das Bekenntnis zum Selbstbestimmungsrecht der Südtiroler, vorgetragen und gefordert vom Heimatbund, einer kleinen, aber entschlossenen Organisation.
Sie hat sich gehörig Gehör verschafft: mit dem beharrlichen Idealismus dessen, der sich den Paket-Pragmatikern moralisch überlegen glaubt, mit der zündenden Forderung nach sofortiger Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes — und mit dem Traum von einem Tiroler Freistaat.
Illusionen über die Möglichkeit von Grenzveränderungen im heutigen Europa als Alternative zum mühseligen autonomistischen Alltag? Als endgültige Lösung für alle Probleme einer sauberen Verwaltung des Südtiroler Gemeinwesens?
Nicht nur das: Die Heimatbünd-ler empfehlen die Eigenstaatlichkeit Tirols sogar als Rezept gegen Identitätsverlust und Konsummaterialismus — gegen Probleme also, die nicht nur in Südtirol, Italien oder Österreich weit über die Kräfte von Politikern hinausgehen.
Das nationale Luftschloß fasziniert. Die Südtiroler Volkspartei und die Medien haben ein Jahr unverhältnismäßig viel Zeit und Energie für die Selbstbestim-mungs- beziehungsweise Separatismus-Debatte aufgewendet.
Aber so unselbständig und so problemlos ist Südtirol nun auch wieder nicht, daß es sich auf Dauer" solch utopische Ablenkung von der Wirklichkeit leisten könnte: Am Schluß der heurigen SVP-Landesversammlung ließen sich wie im Jahr zuvor erneut über 90 Prozent der Partei davon überzeugen, daß es Erfolgsverspre-chenderes zu tun gibt als sich ewig klagend im Kreis zu drehen.
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