"Lederhosen-Uni" oder Eliteschmiede?

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In Bozen steht man kurz vor der Eröffnung der neuen Universität. Doch im Vorfeld überlagerten ethnische Debatten auch dieses Thema und führten an den Rand einer politischen Zerreißprobe.

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In Bozen steht man kurz vor der Eröffnung der neuen Universität. Doch im Vorfeld überlagerten ethnische Debatten auch dieses Thema und führten an den Rand einer politischen Zerreißprobe.

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Jahrzehntelang war sie in der Südtiroler Politik das Tabuthema schlechthin. Schon allein von ihr zu reden kam fast einem volkstumspolitischen Verrate gleich. Und nun, einen Monat bevor sie ihren Betrieb aufnimmt, scheint man im ganzen Lande noch nicht recht begriffen zu haben, wie einem geschehen ist: die "Freie Universität Bozen" öffnet Mitte Oktober ihre Pforten. Daß schon das entfernte Hindeuten auf die Gründung einer Universität stets ein mittleres politisches Erdbeben auslöste wird klar, wenn man weiß, daß Landeshauptmann Luis Durnwalder das Thema noch vor knapp zehn Jahren kurz und prägnant mit einem "Nur über meine Leiche" vom Tische fegte.

Er drückte damit aus, was bislang in der Südtiroler Volkspartei (SVP) als eherne Übereinkunft feststand: Die Landesuniversität der Südtiroler steht in der Landeshauptstadt Tirols und die heiße nun einmal Innsbruck und nicht Bozen. Punkt. Allen voran war es kein geringerer als Altlandeshauptmann Silvius Magnago, der in solchen Fragen warnend den Finger hob. Die Gründung einer Uni in Südtirol käme der Gründung eines eigenen kulturellen Zentrums gleich, und dies führe dazu, daß "unser kulturelles Zentrum, nämlich Innsbruck, sich dadurch entfernt". Eine "Abnabelung" von Nordtirol also, die der Südtiroler Minderheit alles andere als zuträglich wäre. Da half es auch nichts, daß die wenigen Unibefürworter befürchteten, daß in diesem ewigen "Volkstumstrara" eine unabhängigere Kulturentfaltung für alle Zeiten unmöglich gemacht würde. In die Kerbe Magnagos haute nämlich, mehr oder minder heftig, der große Teil seiner Parteigefolgschaft. Gar von der Gefahr der Zuwanderung durch eine Uni war zu hören.

Kehrtwendung Die Südtiroler Hochschülerschaft, traditionsgemäß parteikritisch, ließ angesichts solcher Weltoffenheit gleich alle Hoffnungen auf eine eigene Hochschule fallen, weil es etwas anderes als eine "Lederhosen-Uni" in Südtirol ohnehin nie geben würde. Daß das Parteiprogramm der SVP zudem festlegt, daß Südtiroler Hochschulen auf keinen Fall in Konkurrenz mit den Universitäten in Innsbruck und Trient treten dürfen, verkam angesichts solcher Diskussionsführung schon fast zur Nebensächlichkeit. Ja, man tat schier so, als würde mit der Gründung einer Uni die deutsche Minderheit südlich der Alpen den Bach hinuntergehen.

Doch so verhärtet die Ansichten waren, so schnell und überraschend kam die Universität jetzt doch. Verantwortlich dafür zeichnete just Luis Durnwalder, der im Hinblick auf eine Uni eine scharfe Kehrtwendung vollzog. Mag sein, daß die sogenannten Akademikergespräche 1991 in Brixen beim Landeshauptmann Spuren hinterlassen haben, wo die Unibefürworter zum letzten Sturmangriff bliesen, und wo selbst der Prorektor der Landesuniversität Innsbruck, Hans Moser, vom Podium rief: "Ein autonomes Territorium ohne Hochschulstrukturen bleibt auf Zeit ein Krüppel".

Viel eher waren es aber pragmatische Argumente, die Durnwalder umstimmten. In Italien wurde 1990 ein Gesetz verabschiedet, das für Grundschullehrer in Hinkunft ein Universitätsstudium vorsieht. Zudem wurden durch dieses Gesetz auch Geometer, Betriebswirtschaftler und Sanitätspersonal zu Kurzstudien verpflichtet, die nur im Rahmen einer Universität abgehalten werden dürfen. In Südtirol aber gab es solche Universitätsstrukturen nicht und auch Österreich bot nichts gleichwertiges, sodaß man Gefahr lief, die Leute an italienische Hochschulen zu verlieren. In Anbetracht dieser Reform, so Durnwalder, wäre "der Verzicht auf eine Universität ein unverzeihlicher Fehler."

Von düsteren Aussichten restlos überzeugt, begann Durnwalder nun gemeinsam mit seiner rechten Hand in Sachen Uni, Friedrich Schmidl, unermüdlich Überzeugungsarbeit zu leisten und Vorstudien zu starten, was zu Beginn wenig fruchtete, aber zumindest die Diskussion neu belebte. Dabei ließ sich Durnwalder auch von Querschlägen nicht beirren, wie sie von österreichischer Seite kamen.

Vor allem ÖVP-Südtirolsprecher Andreas Khol wetterte gegen das Uniprojekt. Es sei ein "Luftprojekt ohne Geld, Kompetenz und Notwendigkeit", ein "trojanisches Pferd aus Rom zur Unterwanderung der Südtiroler Minderheit", ganz zu schweigen davon, daß die Südtiroler Elite den Kontakt zum deutschsprachigen Ausland verliere." Damit sprach Khol vielen SVPlern mitten aus der Seele.

Doch diese Einwände tat Durnwalder scharf ab. "Die Uni muß her!" posaunte der Landesfürst im November 1996 bei der jährlichen Parteiversammlung der SVP in den Saal, sodaß es die anwesende Parteiriege etwas tiefer in die Sessel drückte. Den Applaus konnte man sich an dieser Stelle der Rede gerade noch verkneifen, aber spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde aus dem einstigen Tabu ein stillschweigender Konsens für die Uni. Durnwalder trieb das Projekt nun mit einer Vehemenz voran, wie kaum ein anderes seiner Vorhaben.

Schon weniger als ein Jahr darauf, am 31. Oktober 1997, unterzeichnete ein Gründungskomitee offiziell die Universitätsstatuten und hob die rechtlich private "Freie Universität Bozen" aus der Taufe. Der italienische Wissenschaftsminister Luigi Berlinguer segnete im Februar das ganze ab, und der siebenköpfige provisorische Verwaltungsrat unter dem Vorsitz des Landeshauptmannes selbst bestellte Professoren und Rektor von höchst internationalem Range. Auch die notwendigen Gelder (umgerechnet 70 Millionen Schilling für das erste Jahr und weitere 1,5 Milliarden für Neubauten in den nächsten sechs bis acht Jahren) wurden eingeplant. Die Universitätseröffnung rückte unaufhaltbar näher. "Bis vor kurzem", so Friedrich Schmidl, inzwischen Vizepräsident des Verwaltungsrates, "wußten wir noch gar nicht, daß wir schon diesen Herbst in den Startlöchern stehen."

Doch nunmehr ist es fix: Südtirol wird das dritte Jahrtausend akademisch begehen. Zwei Fakultäten sollen es vorerst werden. Die Wirtschaftsfakultät als Herzstück mitten in Bozen mit den beiden Vollstudien "Internationale Wirtschaft" und "Betriebswirtschaft". Unterricht und Prüfungen werden hier zu gleichen Teilen in drei Sprachen stattfinden und zwar in Englisch, Italienisch und Deutsch. Das zweite Standbein der Freien Universität ist Brixen mit einer Humanwissenschaftlichen Fakultät, die ein "Vollstudium zur Ausbildung von KindergärtnerInnen und GrundschullehrerInnen" anbietet. Der Unterricht findet hier getrennt nach Sprachgruppen in Italienisch und Deutsch statt.

Großer Andrang Die Vorinskriptionen sind inzwischen abgeschlossen und übertreffen die Erwartungen bei weitem, besonders was die auswärtigen Inskribenten betrifft, "weil", wie Pressesprecher Günther Matha bemerkt, "wir ja dieses Jahr nicht einmal Zeit hatten, ordentlich Werbung zu machen." 385 Studienbewerber haben sich vorinskribiert, was bedeutet, daß heuer schon Aufnahmeprüfungen stattfinden müssen, da die Studentenzahl auf 275 festgelegt ist.

An dieser Beschränkung wird auch klar, was man mit der "Freien Universität Bozen" im Schilde führt. Klein aber fein soll sie werden, fernab jeder Massenuniversität, mit einem Verhältnis von Professoren zu Studenten von eins zu dreißig. "Mir schwebt das amerikanische Modell vor, mit einer Zahl von 1.000 bis 2.000 Studierenden", macht der künftige Rektor Alfred Steinherr, bislang Generaldirektor der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg, keinen Hehl daraus, daß man eine Eliteuniversität im Kopf hat.

Der Werbeprospekt der neuen Uni verdeutlicht darüber hinaus das Gesamtkonzept: "Als mitteleuropäische Bildungsstätte soll sie eine wichtige Brückenfunktion zwischen dem deutschen und italienischen Kultur- und Wirtschaftsraum ausüben." Man setzt auf "Internationalität, Mehrsprachigkeit und Weltoffenheit." Auf die Frage, ob er nicht glaube, daß ein solches Grundkonzept früher oder später mit der Südtiroler Volkstumspolitik kollidieren würde, meint Uni-Projektleiter Schmidl nur: "Wir müssen sehr auf der Hut sein." Er weiß - nach einem steinigen Weg - wovon er spricht.

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