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Die ungleichen Zwillinge
Am 11. November finden die Regionalratswahlen in Südtirol und im Trentino statt. In der „Region“ also.
Faßt man die verwaltungstechnische Struktur dieser „Region“ näher ins Auge, drängt sich wie von selbst der Verdacht auf, daß mit dieser Region „Südtirol-Trentino“ nur ein Potem-kinsches Dorf für das Ausland errichtet werden sollte.
Der Regionalrat, der die beiden Provinzen Bozen und Trient umfaßt, besteht derzeit aus 32 Italienern, wovon 2 der „Trentiner Tiroler Volkspartei“ angehören, während die Deutschen nur 15 Vertreter im Regionalrate haben. (In der ersten Legislaturperiode 1948 bis 1952 waren sogar nur 13 Südtiroler gegenüber 32 Italienern.) In den gesetzgebenden Kommissionen des Regionalrates ist das Verhältnis zwischen den beiden Nationen 5 Italiener und 2 Deutsche, und zwar in den Kommissionen: Allgemeine Verwaltungsangelegenheiten, Oef-fentliche Arbeiten, Land- und Forstwirtschaft, Industrie, Handel, Fremdenverkehr und Verkehrswesen, Bestätigung, Sozialfürsorge und Gesundheitswesen, Finanz und Vermögen, während in der Kommission für innere Geschäftsordnung 3 Italiener und 2 deutsche Vertreter sitzen. Außerdem ist ja das Autonomiestatut zum größten Teile noch nicht anwendbar, weil zu den meisten Artikeln die Durchführungsverordnungen fehlen. Es ist daher kein Wunder, wenn das 'italienische Element, das ja von 44 Millionen Italienern gestützt wird, in der Zentralregierung in Rom einen derartigen Hinterhalt hat, daß das deutsche Element kaum noch praktisch für sich allein etwas entscheiden kann.
Nun soll am 11. November gewählt werden. Vielleicht ist es aus diesem Grunde nicht uninteressant, aus den amtlichen Statistiken der Wahlen vom 16. November 1952 ein Bild von der fortschreitenden Italianisierung in den Städten zu geben.
Bei den letzten Wahlen zum Regionalrate zählte man in der Provinz Trient 394.625 Einwohner, hiervon wahlberechtigt 257.974, das sind 65,4% der Einwohner, während man in Bozen zählte: Einwohner 333.934, davon wahlberechtigt 200.102, das sind 60%. Hiervon wählten in Trient 215.437 oder 83,5%, und in Bozen 176.128 oder 87,9%. Die Stimmen der Provinz Bozen teilten sich auf 10 Parteien auf, und zwar 2 deutsche Parteien (Südtiroler Volkspartei und unabhängige Südtiroler) und 8 italienische Parteien, und zwar: Christliche Demokraten, Neufaschisten, Monarchisten, Republikaner und Liberale, Linkssozialisten (Nenni-Partei), Unabhängige Italiener, Sozialisten (Saragat) und Kommunisten. Die Südtiroler Volkspartei konnte auf sich 112.602 Stimmen vereinigen, die unabhängigen Südtiroler 609, also zusammen 113.211 deutsche Stimmen. Von den 60.633 italienischen Stimmen entfielen auf: Christliche Demokraten 23.864, Neufaschisten 8317, Monarchisten 3277, Republikaner und Liberale 3455, Linkssozialisten (Nenni-Partei) 9996, Unabhängige Italiener 756, Sozialisten 6013 und Kommunisten 5335.
Eine Aufschlüsselung dieser Ziffern, getrennt nach Stadt und Land, ergibt, daß in den fünf Städten Bozen, Brixen, Bruneck, Meran und Sterzing 40.724 italienische Stimmen und nur 22.399 deutsche Stimmen abgegeben wurden, wovon allein auf die Stadt Bozen 30.147 italienische (gegen 9186 deutsche) Stimmen und auf die Stadt Meran 8602 italienische (gegen 5729 deutsche) Stimmen fielen. Nur in diesen beiden Städten sind also die Italiener in der Mehrzahl; in den 94 Landgemeinden Südtirols wurden dagegen 90.812 deutsche und nur 19.939 italienische Stimmen abgegeben. Auf den ersten Blick scheint es, als ob die Zersplitterung der italienischen Stimmen auf 8 Parteien (die drei linksgerichteten, Sozialisten, Linkssozialisten und Kommunisten, erhielten insgesamt 21.344 Stimmen, die Christlichen Demokraten allein 23.864 und die mehr rechtsgerichteten Parteien, Neufaschisten, Monarchisten, Republikaner und Liberale, sowie die unabhängigen Italiener, 15.45 5 Stimmen) für die Deutschen von Vorteil wäre, wie dies auch des öfteren von italienischer Seite behauptet wurde (Sitzung des Regionalrates vom 3. August 1956 sowie die Sitzung des Meraner Gemeinderates vom Juni 1956). In Wahrheit aber bilden alle italienischen Stimmen, von der äußersten Linken über die Mitte bis zur äußersten Rechten, ohne Rücksicht auf die Weltanschauung und die politische Richtung, eine Mauer, wenn es gilt, einen Schritt gegen die Deutschen zu unternehmen.
Man mag also hundertmal auf italienischer Seite behaupten, daß es keine Südtiroler Frage gebe, die amtlichen statistischen Daten sprechen eine andere
Sprache und erweisen überdeutlich die Italianisierungspolitik in den Städten Südtirols.
Wenn es Italien wirklich mit den deutschen Südtirolern ernst meinte, so gäbe es nur einen Weg, diesen guten Willen zu beweisen, nämlich die Gewährung einer eigenen Autonomie für die Provinz Bozen ohne Trienter Anhängsel. Erst damit wäre die Erhaltung und Vertretung der deutschen Minderheit echt gesichert und aufrichtig verbürgt.
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