6659602-1959_50_06.jpg
Digital In Arbeit

„Deutscher Schwund“ in Südtirol

Werbung
Werbung
Werbung

Unabhängig von allen politischen ‘Aufundab- bewegungen schreitet die italienische Uebef- fremdung der einheimischen Bevölkerung in Südtirol fort. Allerdings muß gesagt werden, daß auch die deutschsprachige Bevölkerung selbst in einem Geburtenrückgang begriffen ist, was natürlich zum Anwachsen der italienischen Bevölkerung bedeutend beiträgt.

Im Durchschnitt der Jahre 1947 bis 1954 war die Geburtenzahl der italienischen Bevölkerung 17,8° oo, während die Tiroler Bevölkerung nur 15,6%o erreichte. Die Sterbefälle der italienischen Bevölkerung waren dagegen weitaus geringer. Sie betrugen 4,6,1 oo, die der Tiroler 8,76 oo.

Ausschlaggebend für diese betrübliche Entwicklung ist in erster Linie die städtische Bevölkerung. Das ergibt sich auch aus dem Anteil der deutschen Schulkinder in Bozen. Die Anzahl der Tiroler Schulkinder betrug im selben Zeitraum im Ueberetsch 85,5%, im Bozner Unterland 51,3%, im mittleren Etschtal 77,5%, im unteren Eisacktal 94%, im unteren Pustertal 98%.

Daraus ist zu ersehen, daß die Landbevölkerung zum größten Teil deutsch ist.

Dies ergibt sich auch aus den Besitzverhältnissen. Von den rund 4500 ha, die bei der Umsiedlung in den Jahren 1939 bis 1942 von der italienischen Vereinigung der Kriegsteilnehmer übernommen wurden, sind in deutschen Besitz wieder 2330 ha oder 53% zurückgelangt. In Händen italienischer Privatbesitzer blieben lediglich 19% oder 910 ha, während im Besitze der EMTE noch 1260 ha oder 28% sind, von denen wahrscheinlich auch noch der Großteil in deutschen Besitz zurückkehren wird. Tatsache ist, daß das Südtiroler Deutschtum im wesentlichen seit 1945 über die Hälfte des verlorenen Bodens wieder zurückgewinnen konnte. Kaum zwei Fünftel blieben in italienischem Besitz, während drei Fünftel von Siidtirolern erworben wurden. Im Vintschgau. Passeier und im größten Teil des Pustertales verblieben keine 10% des Bodens in italienischen Händen; zwischen Bozen und Meran schon 20 bis 40%, und im Unterland verschiebt sich die Besitzgrenze noch mehr zugunsten der italienischen Bevölkerung. Der italienische Besitz betrug im Jahre 1945 knapp 3,7%. während 96,3% in deutschem Besitz verblieben.

Kraß wirkt sich die Anzahl der Beschäftigten in der Industrie aus. Der Anteil der Deutschen und Ladiner in der Provinz Bozen ohne Hauptstadt und ohne Industriezone betrug 1954 in der Holzindustrie 58,5%, in der Kartonagen- industrie 65,3%. in der mechanischen Industrie 61,6%, in der Textilindustrie 57,8% und in der Nahrungsmittelindustrie 67,4%. Der Anteil der deutschen Arbeiter in Bozen ist schon bedeutend niederer, und zwar in der Holzverarbeitung 38,6% - in der Industriezone nur 3,2% ; in der mechanischen Industrie 16,6% — in der-Industriezone 2.6%; in der chemischen Industrie in Bozen 50%; in der Textil- und Lederindustrie 26,6% - in der Industriezone

0,6%. Je größer der Betrieb ist, desto mehr steigt auch der Anteil der italienischen Beschäftigten. ‘

Diese Zahlen machen die Zurückdrängung der deutschen Bevölkerung überdeutlich. In die Waage fällt auch, daß in verschiedenen Teilen Südtirols die bäuerliche Bevölkerung gezwungen ist, auszuwandern, weil für die Deutschen keine Beschäftigung mehr vorhanden ist. und zwar in erster Linie deswegen, weil sich die deutsche Bevölkerung zum großen Teile aus Bergbauern zusammensetzt, wo die weichenden Geschwister einen Arbeitsplatz suchen müssen.

Eine der Hauptforderungen der Süd tiroler ist die quotenmäßige Beteiligung der Südtiroler Bevölkerung an den staatlichen Dienststellen, ln der Regionsverwaltung sitzen derzeit 102 Deutsche und 620 Italiener, somit nur 14,5% Deutsche, in der Provinzialverwaltung 106 Deutsche und 147 Italiener — 42% Deutsche; Gemeindesekretäre sind 33 Deutsche und 46 Italiener; in der Stadtverwaltung sitzen 45 Deutsche und 312 Italiener — 12,6%

Deutsche; im Unterrichtswesen sind 10 Deutsche und 26 Italiener — 35% Deutsche; in der Justizverwaltung 17 Deutsche und 122 Italie ner — 12,2% Deutsche; in der Finanzverwaltung 4 Deutsche und 275 Italiener — 1,2% Deutsche; im Verkehrswesen 203 Deutsche und 2548 Italiener — 11,5% Deutsche, und in der Quästur 1 Deutscher und 111 Italiener — nur noch 0,9% Deutsche.

Aehnlich ist das Verhältnis beim Lehrkörper in Volks- und Höheren Schulen, Mittelschulen. Definitive Lehrer an Höheren Schulen sind 21 Deutsche und 150 Italiener — 12,3%

Deutsche, während Hilfslehrer kein einziger Italiener, wohl aber 3 8 Deutsche sind.

Definitive Lehrer an Volksschulen sind

796 Deutsche und 980 Italiener — sohin 44% Deutsche, während 3 84 Hilfslehrer ohne Pensionsberechtigung angestellt sind, aber kein einziger Italiener sich als Hilfslehrer beworben hat.

Auch bei kaufmännischen Kräften außerhalb des Lehrerberufes ist der Anteil der italienischen Bevölkerung, mit Ausnahme der Agrar- und Forstwirtschaft, der Tierärzte und der Aerzte, überall unter der Hälfte der Deutschen. Aerzte wurden gezählt (nach Angaben der Berufskammer im Oktober 1956): 221 Deutsche, 196 Italiener — 52,9% Deutsche; Apotheker: 45 Deutsche, 62 Italiener — 41,7% Deutsche; Rechtsanwälte: 74 Deutsche, 89 Italiener - - 45,4% Deutsche; Volkswirtschaft: 50 Deutsche, 5 5 Italiener — 21.4% Deutsche; Agrar- und Forstwirtschaft: 41 Deutsche, 27 Italiener — 60% Deutsche; Tierärzte: 32 Deutsche, 29 Italiener — 54,1% Deutsche; Ingenieure und

Architekten: 37 De"tsche, 139 Italiener — 21% Deutsche.

Erschwerend für die Laufbahn im öffentlichen Dienst ist für die Deutschen in erster Linie die geringe Bezahlung und der rein provisorische Charakter des Angestelltenverhältnisses. Bei den akademischen Berufen war bisher und ist zum Teil ja auch noch heute der Zwang italienischer Nachprüfungen zur Anerkennung der an auswärtigen Universitäten erlangten akademischen Grade maßgebend. Die österreichisch-italienische Vereinbarung vom April 1956 über die gegenseitige Anerkennung von Studientiteln hat sich zwar für die Deutschen günstig ausgewirkt, aber nicht in dem Maße, wie man es sich erhofft hat.

Es ist mehr als begreiflich, daß sich die Tiroler Bevölkerung gegen diese Ueberfrem- dung mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln wehrt und die Errichtung der autonomen Provinz Bozen anstrebt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung