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Unter den Dächern von Bozen

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Der Präsident des Südtiroler Landtages, Dr. Silvio M a g n a g o, hat in einer Kundgebung in Innsbruck das Problem des Volkswohnbaues als das derzeit wichtigste Problem des Deutschtums in Südtirol bezeichnet und diese Behauptung auch mit Zahlen belegt; aus ihnen geht mit aller Deutlichkeit hervor, daß man auf italienischer Seite derzeit gerade im Volkswohnbau das geeignete Mittel zur Fortsetzung der unglücklichen Deutsch-Entvölkerungspolitik zu erblicken scheint.

Die Reaktion auf die Erklärung des Südtiroler Landtagspräsidenten ist auch nicht lange ausgeblieben. Im Regionalrat in Trient war die Debatte äußerst erregt, da die italienische Mehrheit in der Region (Trient zu Bozen ist im Regionalrat im Verhältnis 5:2 vertreten) die Kompetenz über die Entscheidungen im Volkswohnbau absolut nicht an die Provinzen abtreten wollte.

Wäre die Erlassung der Durchführungsbestimmungen zum Autonomiegesetz von den Italienern nicht jahrelang verschleppt worden, wäre das freilich nicht mehr möglich. Im Artikel 11 des Sonderstatutes für die Region Südtirol-Trentino (Verfassungsgesetz der italienischen Republik vom 26. Februar 1948, Nr. 5) heißt es nämlich wörtlich:

„Die Provinzen haben die Vollmacht, innerhalb der im Artikel 4 bezeichneten Grenzen Gesetzesbestimmungen über folgende Sachgebiete zu erlassen: Punkt 11: Volkswohnhäuser.“

Es ist also gesetzlich geregelt und vorgesehen, daß die Gesetzgebung für Volkswohnhäuser in die Kompetenz der Provinz und nicht in die Kompetenz der Region fällt. Wenn nun trotzdem mit allen Mitteln gegen diese klare Gesetzesbestimmung angekämpft wird und die Erlassung der Durchführungsbestimmungen mit allen Mitteln verzögert, wenn nicht gar verhindert werden soll, so hat dies seine besonderen Gründe, die durch die folgenden statistischen Daten, sofern es dessen noch bedarf, erhellt werden.

In der ersten Periode von elf Jahren, in der Zeit vom Kriegsende 1945 bis Dezember 1956 wurden für den Bau von Volkswohnhäusern in der Provinz Bozen 2310 Millionen Lire aufgewendet. Mit diesem Betrage wurden insgesamt 4100 Wohnungen mit rund 20.000 Räumen erbaut. Von diesen 4100 Wohnungen erhielt der deutsche Teil der Bevölkerung nur rund sechs Prozent zugewiesen, obwohl in diesen Jahren die Zahl der Italiener noch verhältnismäßig gering war. Diese Zahl stieg erst mit der Zuweisung dieser Wohnungen in den neugebauten Volkswohnhäusern.

In der zweiten Bauperiode vom 1. April 1956 bis 31. März 1963 sind 2545 Millionen für den Bau von Volkswohnhäusern vorgesehen. In dieser Periode wird sich natürlich, wenn die Gesetzgebung für die Volkswohnhäuser nicht auf die Provinz übergeht, die Zuweisung an die italienischen Zuwanderer aus den südlichen Teilen der Republik noch gewaltig erhöhen.

Besonders deutlich ist die Ten-nz aus den Ziffern der Stadt Bozen abzulesen. Am 31. Dezember 1945 hatte die Stadt Bozen 61.788 Einwohner, die in 12.327 Wohnungen mit zusammen 41.209 Wohnräumen lebten; am 31. Dezember 1956 waren es bereits 80.233 Einwohner, die in 19.115 Wohnungen mit insgesamt 66.993 Wohnräumen lebten. Von diesen Wohnungen, die neu erbaut wurden, gingen nur mehr rund drei bis fünf Prozent an die deutsche Bevölkerung. Während des Krieges wurden in der Stadt Bozen 1500 Wohnungen zerstört, in der Stadt Trient 2490. Trotz der gewaltigen Bautätigkeit und obwohl bis Ende 1956 6788 Wohnungen mit 25.784 Räumen gebaut wurden, konnte die Wohnungsnot in der Boze-ner1 Altstadt nicht behoben werden,' ja man findet heute noch in der Stadt diesseits der Talfer Ruinen, während im neuen Stadtteil über der Talfer und jenseits der Drususbrücke der italienische Bevölkerungsanteil weit besser abgeschnitten hat. „

In Bozen wurden in den elf. Jahren von 1945 bis 1956 6788 Wohnungen neu erbaut, in Trient hingegen nur 1466 Wohnungen, also trotz der viel größeren Bevölkerungszahl um 5 322 Wohnungen weniger. Es liegt auf der Hand, daß dieser fpreierte Wohnungsbau in Bozen nur dem Zwecke diente, möglichst viele Wohnräume für die italienischen Zuwanderer aus den südlichen Provinzen zu schaffen. Immerhin gibt es in Bozen infolge der allzu großen und von niemandem gestoppten Zuwanderung aus dem Süden Ende 1956 noch 3 31 Familien mit 1381 Personen, die in Notunterkünften und sogar in den berüchtigten Erdhöhlen unter dem Virgl hausen. Natürlich rangieren die Bewohner dieser Notunterkünfte, die die erste Stufe der Zuwanderung bilden, an erster Stelle bei der Wohnungszuteilung. Hat eine italienische Familie dann die zweite Stufe erreicht, das heißt, ist sie aus der Notwohnung in eine ordentliche Volkswohnhaus-Wohnung übergesiedelt, dann rückt sofort eine andere italienische Zuwandererfamilie an deren Stelle, und so rangieren die italienischen Zuwanderer immer vor der deutschen einheimischen Bevölkerung. Und nicht nur das. Sobald nämlich die italienische Zuwandererfamilie die ordentliche Aufenthaltsbewilligung seitens -der Stadtgemeiride Bozen erhält, ist sie dorthin auch zuständig und zählt als „bolzanino“, zu deutsch „ordentlicher Bozener Einwohner“, mit Stimmrecht und Recht auf Unterstützung.

Ein Bericht des italienischen Institutes für Volkswohnbau aus dem Jahre 1956 sagt über diese Praktiken selber:

„Es ist tatsächlich vorgekommen, daß bei der Zuweisung von Inca-Wohnungen (Wohnungen in den Volkswohnhäusern) Hunderte von Kellern von Familien besetzt wurden, die auf diese Weise eine Wohnungsnot vortäuschten, in der Erwartung, eine Wohnung zu bekommen.“

Offener kann es nicht mehr zugegeben werden, was da gespielt wird!

Aus dem erst vor kurzem veröffentlichten Berichte des Volkswohnbauinstitutes ist zu ersehen, daß im Jahre 1957 148 Wohnungen für den Betrag von 316 Millionen Lire gebaut wurden, im Jaiire 1958 aber bereits 727 Wohnungen um einen Gesamtbetrag von 1943 Millionen Lire geplant sind, wovon natürlich wieder 90 bis 95 PiOzent den italienischen Zuwanderern zugedacht sind.

In Italien gibt es ein Gesetz über die Verstädterung, und zwar vom 6. Juli 1939, das in allen italienischen Städte: zur Anwendung kommt. Nur in der Provinz Bozen wurde durch den Erlaß des Vizekommissärs vom 4. Juni 1951 die Anwendung des Gesetzes mit der überdeutlichen Begründung „in Anbetracht des besonderen Aspektes, den das Problem in Südtirol hat“ eingeschränkt. So beträgt eben auch der Bevölkerungszuwachs der Stadt Bozen von 1921 bis 1951 nicht weniger als 115 Prozent, in der fast doppelt so großen Stadt Trient in demselben Zeitraum aber nur 23 Prozent! Der Zuwachs Bozens beträgt also das Fünffache von Trient und sogar das Fünfzehnfache gegenüber der nächsten italienischen Provinzhauptstadt Belluno ... Ministerpräsident Fanfani hat in seiner Regierungserklärung versprochen, die Durchführungsbestimmungen zum Sonderstatut zu erlassen, allerdings erst nach Anhörung einer eigenen Kommission. Seither ist wieder nichts geschehen, und Fanfani scheint augenblicklich andere Sorgen zu haben.

Die Südtiroler werden aber nicht aufhören, auf ihrem Recht zu bestehen. Sie hoffen nicht zuletzt, daß die Verhandlungen mit der österreichischen Regierung diesem ihrem Verlangen nach Recht und Gerechtigkeit, das in einem Verfassungsgesetz verankert ist, zum Siege verhelfen werden.

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