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... wer sind die Steigbugelhalter?

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Südtirol war von alten her ein landwirtschaftlich hochentwickeltes Land, das seine Bodenschätze an Wein, Obst, Holz und Vieh durch Jahrhunderte in der einstigen Monarchie pflegen und vermehren konnte. Trotz der Industrialisierung und der damit verbundenen Umschichtung der Bevölkerung besteht diese Vorherrschaft der Landwirtschaft noch heute.

Von der Gesamtfläche des Landes ohne die Hauptstadt Bozen, 135.461,6000 Hektar, entfallen auf den deutschen Privatbesitz 99.828,4208 Hektar oder 73,7 Prozent, worin auch der Staatsbesitz mit 4750,7580 Hektar, der Gemeindebesitz mit 25.538,4208 Hektar und der Kirchenbesitz mit 1459,8420 Hektar oder 23,4 Prozent inbegriffen ist. Von dem reinen Privatbesitz entfallen auf die bodenständige Südtiroler Bevölkerung 96,3 Prozent, auf die italienische lediglich 3,7 Prozent.

Das Sozialprodukt der Provinz Bozen wurde in einem italienischen Bericht mit 71 Milliarden, im Bericht der Provinz Bozen annähernd mit 73 Milliarden für das Jahr 1953 angegeben. Rund 15 Prozent des Bodens sind unproduktiv. Das Land weist eine Bevölkerungsdichte von 46 Menschen pro Quadratkilometer auf. Das ergibt pro Kopf der Bevölkerung ein Sozialprodukt von 210.779 Lire. Zum Vergleich sei die stärkste Provinz, Mailand, mit einer Bevölkerungsdichte von 906 pro Quadratkilometer und einem Sozialprodukt von 376.632 Lire pro Kopf, und die wirtschaftlich auf der niedersten Stufe stehende Provinz Lecce (Süditalien) mit einer Bevölkerungsdichte von 222 Menschen und einem Sozialprodukt von 56.632 Lire angeführt. Die Provinz Trient, also die zweite Provinz der Region, ist bei fast 13 Prozent unproduktiven Bodens mit einer Bevölkerungsdichte von 64 und einem Sozialprodukt von 170.590 Lire fast als Notstandsgebiet zu bezeichnen; jedenfalls wird sie auch in einem staatlichen Bericht zum „besonders förderungsbedürftigen Gebiet“ erklärt.

Der wichtigste Teil der Landwirtschaft ist der Viehbestand. Nach dem Berichte der Bozener Sparkasse in der Generalversammlung vom September 1954 waren zu dieser Zeit in Südtirol: 40.000 Stück Braunvieh, 31.000 Stück Grauvieh, 15.000 Stück Rassengemisch, 30.000 Stück Pinzgauer Fleckvieh und 6000 Stück Ultner- und Etschtaler Rasse, also zusammen 122.000 Stück Rindvieh, ferner rund 6000 Pferde, davon ungefähr 800 Stammbuchtiere der Haflinger Rasse. Die Einfuhr an Tieren fällt kaum in die Waage;, ebenso das Kleinvieh, wie Schweine, Ziegen, Schafe. Der Zuchterfolg, namentlich beim Pinzgauer Fleckvieh, ist sehr gut und gilt als einer der besten Europas.

An zweiter Stelle liegt der Obstbau. (Bei den folgenden Daten ist die verminderte Produktion durch die Frostschäden vom Mai 1953 tu berücksichtigen.) Der Obstbau umfaßt rund 12.000 Hektar hochkultivierten Bodens und eine Menge von rund 2,5 Millionen Pflanzen. Rund 14.000 Besitzer befassen sich mit dem Obstbau. Der Bruttoertrag kann auf rund 6,5 Milliarden Lire geschätzt werden. Die Obstausfuhr ging hauptsächlich in die alten Absatzländer, an erster Stelle in die westdeutsche Bundesrepublik mit fast 3000 Waggons; ihr folgen Schweden, Schweiz, England, Oesterreich mit Je 400 bis 800 Waggons, sodann die Tschechoslowakei und Uebersee. Im Inlande betrug der Absatz auf dem Markte und für

Marmelade- und Fruchtsafterzeugung rund 4000 Waggons. Besonders erfolgreich war die Marillenproduktion im Vintschgau mit rund 250 Waggons. Das Verhältnis zwischen Aepfeln und Birnen beträgt ungefähr 4:1.

Das dritte landwirtschaftliche Produkt ist der Weinbau. Ein Durchschnittserträgnis von rund 550.000 Hektoliter Maische ist normal. Der Weinbau umfaßt eine Fläche von rund 7800 Hektar, die sich auf 10.500 Besitzer verteilt. Rund 70 Prozent der Ernte ging als „Lagebezeichnung“ in den Handel und 30 Prozent als „Spezialsorten“. Das Verhältnis zwischen Weißweinen und Rotweinen beträgt 4 (rot) und 1 (weiß). Von der Weinausfuhr gingen 33 Hektoliter nach Oesterreich, 80.000 Hektoliter nach Deutschland und 188.000 Hektoliter nach der Schweiz. Südtirol ist mit 43,3 Prozent an der gesamten italienischen Weinausfuhr nach Oesterreich beteiligt, mit 89 Prozent nach Deutschland und mit 55,2 Prozent nach der Schweiz. Ein sehr wichtiger wirtschaftlicher Faktor in der Weinwirtschaft sind die 19 Kellereigenossenschaften, die rund 200.000 Hektoliter der Gesamtproduktion übernehmen. Mit einem Gesamtfassungsvermögen von 246.000 Hektoliter sind die Kellereigenossenschaften in der Lage, den Handel zu regulieren, und die einzelnen Mitglieder sind nicht gezwungen, die Auslieferungen zu forcieren. Der Gesamtertrag der Weinernte kann mit 3 Milliarden Lire angenommen werden, wovon rund ein Viertel auf Gesamtspesen, einschließlich der Arbeitskosten, entfallen.

Weniger ins Gewicht fällt der (übrigens wieder stark zurückgehende) Kartoffelbau im Pustertal und im Gebiete von Brixen. Von den rund 560.000 Doppelzentner konnten trotz schärfster Konkurrenz rund 15 Prozent als ausgezeichnetes Saatgut ins Ausland, besonders nach Holland, verkauft werden.

Bedeutender wieder ist die H o I z w i r t-schaft. Von der Gesamtfläche Südtirols sind rund 40 Prozent mit Wald bedeckt, davon rund 275.000 Hektar mit Nadelwald und nur rund 21.000 Hektar mit Laub- und Mischwald. Geschlagen wurden 1953 563.000 Raummeter, und zwar rund 400.000 Raummeter Nutzholz, rund 26.000 Raummeter Schleifholz und 137.000 Raummeter Brennholz. Bruttoertrag: rund 7 Milliarden Lire. Im Holzhandel hat genau so wie im übrigen Handel die Einzelinitiative den Vorrang. Eine genossenschaftliche Holzwirtschaft kommt kaum in Frage, da Ausfuhr, Preisniveau, Arbeitsbeschaffung und Beschäftigung der Sägewerke (die leider in Südtirol nur zu 70 Prozent beschäftigt sind), Einzelentscheidungen erfordern und namentlich die Preisfrage eine Sache der einzelnen Holzhändler und Holzbewirtschafter ist.

Nicht vergessen darf der Fremdenverkehr werden, der mit einem Durchschnittsertrag von 6,5 Milliarden Lire einer der maßgebendsten Faktoren von Südtirols Wirtschaft ist.

Ist die Landwirtschaft also — wie aus diesen amtlichen statistischen Daten zu ersehen ist — durchaus aktiv und zum größten Teile in deutichen Händen, so wechselt das Bild völlig, wenn wir auf die Industrie sehen.

Bekanntlich ist durch die Initiative Mussolinis die Industriezone in Bozen gebildet worden, die von Anfang an von der Regierung großzügige Subventionen empfing. Spe-zialtarife für die Zubringung von Rohmaterial und den Abtransport der Fertigwaren, weitgehende Erleichterungen auf dem Gebiete der Steuerpolitik und Wohnsiedlung sicherten den Ausbau der Industrie und damit die beabsichtigte Italianisierung des Gebietes. In Bozen gelang dies, im übrigen Gebiet konnte der oben angeführte deutsche Besitz der Landwirtschaft beachtenswerten Widerstand leisten.

Aber auch die Bozener Industriezone, die nahe an der „sonst so gefährdeten Brennergrenze“ angelegt wurde, hatte lediglich während des zweiten Weltkrieges ein richtiges aktives Dasein geführt, da die Kriegslieferungen auf Hochtouren liefen. Schon vor dem Kriege wollten jedoch die Lancia-Werke ihre Bozener Niederlassungen als durchaus unrentabel wieder auflassen. Nach dem Kriege, unmittelbar nach dem Mai 1945, wollte die Zentrale in Turin die Montageabteilung, die in der Bozener Industriezone wieder ein kümmerliches Dasein führen mußte, nach Turin zurückverlegen. Aber dieser Plan wurde sowohl vom Staate als auch von der Bozener Arbeiterkammer, die fast durchweg nur aus Kommunisten besteht, hintertrieben. Die Kommunistische Partei in Südtirol hat ihre treuesten und fanatischesten Anhänger unter den 2000 Arbeitern der Lancia-Werke, die mit ihren Familien rund 10.000 bis 15.000 Personen ausmachen und damit neben dem Militär und den Beamten der wichtigste Faktor der neuen italienischen Mehrheit in Bozen sind. Sie bilden auch die Avantgarde der Kommunisten in Südtirol überhaupt. Daß die Zahl der kommunistischen Stimmen in Bozen von Wahl zu Wahl ansteigt, und zwar nicht auf Kosten der Stimmen der deutschen Südtiroler Volkspartei, sondern nur auf Kosten der italienischen bürgerlichen und auch sozialistischen Stimmen, scheinen weder die Regierung noch die anderen italienischen Parteien zu sehen. Weder die Ingenieure, noch die Stammarbeiter der Lancia-Werke wollen aber in Bozen bleiben, sondern streben nach Turin zurück, denn die Arbeitszeitkürzung auf eine Arbeitswoche von rund 25 Arbeitsstunden bedeutet die Herabsetzung der ohnedies schon geringen Lebenshaltungskosten. Und trotz aller staatlichen Stützungsaktionen wäre es tatsächlich zu einem Abzug der italienischen Industrien gekommen, wenn nicht die Amerikaner im Zusatzabkommen vom 26. Februar 1951 zum Freundschafts-, Handels- und Industrieabkommen vom 2. Februar 1948 (Artikel 5) sich herbeigelassen hätten, die durch die besonderen Begünstigungen in Form von Steuer-, Zoll- und Transporterleichterungen für die Bozener Industriezone (neben den Gebieten von Görz, Livorno, Verona und Porto Maghera) entstehenden Ausfälle aus eigener Tasche — also mit dem Gelde der amerikanischen Steuerträger — zu bezahlen ... .' Wie viele Millionen die amerikanischen Steuerträger auf diese Weise zur Unterstützung des Kommunismus in Italien bezahlen müssen, hat man bis heute wohlweislich verschwiegen ...

Eine zweite „Geheimwaffe“ der Italianisie-rung ist die W o h n p o 1 i t i k.

Im Zeitraum von 1937 bis 1940 wurden in Bozen allein aus staatlichen Mitteln 6988 Wohnungen für rund 12.000 Personen gebaut. Zu 99,95 Prozent sind diese Wohnungen mit Zuzüglern aus den alten Provinzen besetzt. In der Region Südtirol-Trient wurden bis 31. März 1955 1716 Wohnungen mit 9238 Wohnräumen für einen Gesamtbetrag von 4.117,100.000 Lire gebaut, die ebenfalls zum allergrößten Teile den italienischen Neusiedlern zukamen, während man für die deutschen Rflclcsiedler lediglich einige kleinere Häuser erbaute: die Mittel hierzu stammten zu 85 Prozent aus dem Lande und zum kleinsten Teile aus staatlichen oder regionalen Zuschüssen.

Dies ist die nüchterne Sprache der Zahlen. Sie verrät die ganze Arglosigkeit und Kurzsichtigkeit der italienischen staatlichen Stellen und bürgerlichen Parteien: In Frankreich, wo die Kommunisten mit ihren 151 Mandaten als stärkste Partei hervorgingen, und in Jugoslawien, das trotz aller westlichen Freundlichkeiten des Staatschefs Tito doch ein kommunistisches Land ist und bleibt — in Ost und West also ziehen Wolken auf, vor denen Italien, mindestens, was Südtirol betrifft, die Augen zu schließen scheint.

Wir haben letzthin von Besprechungen der Südtiroler Abgeordneten mit dem Ministerpräsidenten Segni geschrieben. Aber mit Besprechungen allein wird die akute Gefahr nicht aus der Welt geschafft. Es ist ein Treppenwitz der Weltgeschichte, daß die USA in Südtirol ihrem Todfeind die Steigbügel halten.

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