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Straßen zur Sonne

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In der Sitzung des italienischen Ministerrates vom 15. Dezember wurde das bisher größte Straßenbauprojekt Europas beschlossen. In den nächsten neun Jahren sollen 9000 Kilometer an Autobahnen, Superautostraßen und Anschlußbahnen mit einem Gesamtbetrag von eineinhalb Billionen Lire fertiggestellt werden, und zwar sind für dieses riesige Programm drei Stufen vorgesehen:

Die erste Stufe, die 59 Prozent des ganzen Bauvorhabens umfaßt und einen Aufwand von 600 bis 650 Milliarden Lire beansprucht, soll bis Ende 1963 fertig sein; die zweite Stufe erfordert einen Spesenaufwand von 300 bis 350 Milliarden Lire und die dritte Stufe von 1967 bis 1969 umfaßt die restlichen 12 Prozent (die zweite Stufe umfaßt 29 Prozent) und beansprucht einen Aufwand von 100 bis 120 Milliarden Lire.

Man kann heute natürlich noch nicht genau voraussagen, ob sich das Riesenprogramm in der vorgesehenen Zeit voll wird verwirklichen lassen. In erster Linie wird es darauf ankommen, die nötige Anzahl der Spezialarbeiter aufzutreiben. Weiter ist fraglich, ob die nötigen Enteignungen und Ablösen innerhalb der vorgeschriebenen Frist durchgeführt werden können, die Vergebung der einzelnen Arbeitsabschnitte und vor allem, ob die Finanzierung eines so großen Bauprogrammes durchgeführt werden kann.

Die erste Baustufe umfaßt sechs Zehntel des ganzen Bauprogrammes und ist daher als die schwierigste anzusehen. Allerdings ist das Ergebnis der durchgeführten Bauarbeiten dann auch dementsprechend.

Ein Schulbeispiel für die Entwicklung der Autobahn bietet wohl die neue „Sonnenbah n“, die von Florenz nach Bologna in weniger als einer Stunde den bisherigen Weg fast um zwei Drittel abkürzt.

Allerdings darf nicht vergessen werden, daß diese Superautobahn pro Kilometer 800 Millionen Lire ( = 33 Millionen Schilling) gekostet hat.

Natürlich ist die Frage der Kosten nicht bei jeder Autobahn gleich. So ist zum Beispiel auf der Autobahn Salerno—Reggio-Calabria, die ungefähr 420 Kilometer lang ist und auf der keine Maut eingehoben wird, ein Spesenvoranschlag von 420 bis 430 Millionen Lire pro Kilometer, was für die gesamte Autobahn einen Kostenbetrag von rund 180 Milliarden Lire ausmacht.

Wenn man insgesamt für das ganze Bauprojekt innerhalb neun Jahren 1500 Milliarden Lire veranschlagt, so kommt der Durchschnittskilometer auf 250 bis 275 Millionen Lire. Diese Ziffern sind allerdings vorläufig theoretisch — man kann in der Praxis nie genau berechnen, wie hoch die Bausumme tatsächlich kommt.

Wenn man darangehen wird, die Autobahn Genua—Ventimiglia zu erbauen, wird den Verhältnissen entsprechend ein Kostenvoranschlag von eineinhalb Milliarden Lire pro Kilometer berechnet, und zwar deswegen, weil in diesem Gebiet die Grundablösesummen außerordentliche Kosten verursachen werden. Die Grundpreise auf der Strecke Genua—Ventimiglia, also an der Levante-Küste, sind natürlich hoch. Auch andere Umstände, wie Materialtransport usw., erhöhen die Kosten.

Sorgenkind Süden

40 Prozent der geplanten Autobahnen sind für den Süden des Landes vorgesehen, und zwar aus rein sozialen Gründen. Bekanntlich ist die Arbeitslosigkeit in Süditalien der Hauptgrund, daß sich die arme Bevölkerung Süditaliens immer mehr und mehr nach dem Norden absetzt, und zwar nicht nur nach dem deutschen Südtirol, obwohl dies ein sehr beliebtes Reiseziel der Italiener ist und die Italiener gerade in Südtirol seitens der italienischen Regierung alle Unterstützung erhalten, sondern auch nach den anderen Gegenden Norditaliens, vor allem nach Turin mit seinen Fiat-Werken, nach Mailand mit den großen Industrien und nach den anderen norditalienischen Zentren. Die Bürgermeister der großen norditalienischen Städte, denen sich auch der Bürgermeister von Rom anschloß, haben bekanntlich vor einiger Zeit bei der

Regierung eine Einschränkung der Zuwanderung aus dem Süden beantragt.

Die Planung der neuen Autostraßen ist noch nicht beendet, und auch die Zubringerstraßen sind noch im Werden. Auch schon bestehende Autostraßen, wie zum Beispiel die Straßen von Salerno nach Reggio-Calabria, sollen

isgebaut werden, aber man ist siel ?ch nicht über die einzelnen Punkt :s Ausbaues und auch nicht über di i errichtenden Zufahrtsstraßen einig Insgesamt sollen auf dieser Streck ind 400 Kilometer neu errichte erden.

Um die Errichtung der Zubringet raßen ist bereits jetzt zwischen de: teressierten Städten begreiflicher eise ein Streit entstanden, denn jed adt möchte ein Vorrecht haben.

Es ist selbstverständlich, daß de usbau der Autostraßen für Italie

eine Lebensfrage ist, denn Italiens Fremdenverkehr ist seine Haupteinnahmequelle, und der Fremdenverkehr geht zu mindestens 90 Prozent auf den Autostraßen vor sich.

Die italienische Regierung hofft, durch dieses Riesenbauprojekt zwei Fliegen mit einem Schlage treffen zu können, und zwar: einmal die Lösung der immer dringender werdenden sozialen Frage in Süditalien durch die Beseitigung der Arbeitslosigkeit und die Hebung des Lebensstandards der armen Bevölkerung (und im weiteren Sinne auch dadurch die Herabminderung der immer größer werdenden Gefahr des sich ausweitenden Kommunismus unter den Arbeitern) und in zweiter Linie die Hebung des Fremdenverkehrs durch den Ausbau und Neubau der Autostraßen, Superautostraßen und der Zubringerstraßen dazu, weil Italien dadurch noch mehr wie bisher zum führenden Fremdenverkehrsland Europas werden soll.

Der italienische Arbeitsminister hat auf alle die Fragen nach dem Wo, wieviel Kilometer, mit welcher Finanzierung — keine richtige Antwort gefunden und will sich wohl auch wahrscheinlich noch nicht fest binden.

Auf alle Fälle versichert der Minister, daß jährlich durchschnittlich eineinhalb Millionen Arbeiter durch den Straßenbau Beschäftigung finden werden.

Interessant wäre es natürlich auch zu erfahren, ob in Südtirol die dringendsten Bauprojekte durchgeführt werden können, so die Verbreiterung der Brennerstraße, die im Prinzip schon seit Jahren beschlossen ist, und der Anschluß an die Timmeljochstraße, die von österreichischer Seite ja fast schon zur Gänze fertiggestellt ist.

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