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Gotterdammerung . . .

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„Die Krise des italienischen Films“ gehört zu den stehenden Zeitungstiteln; die Setzer legen ihn gar nicht erst in ihren Letternkasten ab, denn der Titel wird ohnedies immer wieder gebraucht. Die italienische Filmproduktion ist in Schwierigkeiten. Bis vor wenigen Wochen noch hat sie den Staat zum Sündenbock machen wollen. Ihre Polemik gegen die staatliche Filmzensur ist jetzt verstummt, denn der Staat ist im Begriffe, dem Parlament ein neues Filmgesetz vorzulegen, und da erscheint es wenig opportun, ihn zu verstimmen, Es geht jetzt um andere Dinge als die Zensur, um solche, die wirklich dem italienischen Film ans Leben greifen: um Zuschüsse, Prämien, Pflichtspieltage für die nationalen Erzeugnisse. Man wünscht für die kostbaren Pflanzen — kostbar weil teuer — einen fetten, mit Subventionen gedüngten Humus und ein gegen die rauhen Winde der Konkurrenz schützendes Treibhaus.

Vielleicht wäre der Staat wirklich bereit, diese Wünsche zu erfüllen, wenn das Budget nicht seine eigenen, ehernen Gesetze diktierte. Er ist also nicht geneigt, der Produktion auf dem vorgeschlagenen Wege zu folgen, und wehrt sich gegen alle Vorwürfe mit einigen peinlichen Feststellungen. Zunächst stellt er fest, daß die Qualität der meisten Streifen so gesunken ist, daß sie in Italien nicht einmal mehr hundert Millionen Lire einspielen; im Gegensatz dazu leidet die Filmindustrie an einer Art Größenwahn: dem Wahn zum Großen, zu Filmkolossen, wie sie auch Amerika nicht alle Jahre herstellt. „Krieg und Frieden“ zum Beispiel hat 3 Milliarden Lire (120 Millionen Schilling) verschlungen. „Römische Erzählungen“ (nach dem Buch von Alberto Moravia), also ein Film ohne besondere materielle Anforderungen, hat immerhin eine halbe Milliarde gekostet. Letzte und peinlichste Feststellung: die Produzenten haben selbst ein gerütteltes Maß von Schuld daran, daß die Stargagen heute in Italien bereits über den in Amerika üblichen liegen.

Damit ist ein Stichwort gefallen. Die Produzenten machen die Schauspieler dafür verantwortlich, daß die sieben fetten Jahre der italienischen Filmindustrie, von 1947 bis 1954, unweigerlich zu Ende sind und die sieben mageren beginnen. 1955 brachte bereits die Wende. Mit einer Produktion von 157 Spielfilmen stand Italien im Jahre 1954 in Europa an erster Stelle, übertroffen nur noch von Amerika mit 232 Filmen. Aber 1955 waren es nicht mehr als 120 und in diesem Jahre werden es bestenfalls 90 sein. Die hohen Produktionskosten haben Italiens Filmindustrie den Boden unter den Füßen weggezogen. „Die Stars haben uns ruiniert“, heißt es.

Die Ausgaben für die Stargagen sind der Stein am Hals der Filmproduktion Italiens geworden. Gina Lollobrigida hat für einen Film („Brot, Liebe, Eifersucht“) 80 Millionen Lire erhalten, Sophia Loren begnügte sich mit „nur“ 55 Millionen, Alberto Sordi, Italiens beliebtester Komiker, betrachtete sich als weggeworfen, weil er sich mit 35 Millionen für eine zweiwöchige Drehzeit begnügen mußte. Der Schauspieler-Regisseur Vittorio de Sica lächelt auf der Leinwand erst für 100 Millionen Lire. Der Aufwand der italienischen Filmgrößen steht dem der amerikanischen in nichts nach, es sei denn, daß ihr Luxus noch raffinierter ist. Ihre Villen stehen nicht einfach am Meer, dort wo es schön ist. Sie ziehen die archäologischen Zonen der Via Appia vor, denn Ruinen sind ein besonders schicker Hintergrund. In diesen Villen, bei schimmerndem Kerzenlicht, beim Knallen der Champagnerpfropfen, beim diskreten Klirren des Porzellans in den Händen livrierter Diener, fallen die heftigsten Worte gegen den Staat, der mit seinen Zuschüssen knausert. So hat es der bekannte Journalist Indro Montanelli in einem Artikel im „Corriere della Sera“ ausgeplaudert und damit in ein Wespennest gestochen.

Der Staatssekretär für Film und Schauspielwesen, Brusasca, hat den Produzenten einen wohlmeinenden Rat geben: sie mögen Stopppreise für Stargagen einführen, die unter keinen Umständen überschritten werden sollen. Die Schauspieler würden in Kategorien eingeteilt und ebenso die Regisseure. In der höchsten Kategorie, Extra A, sollen die Stars bei Gesamtproduktionskosten bis zu 300 Millionen Lire 100.000 Lire Gage erhalten. Liegen die Produktionskosten darüber, bekommen sie eine prozentuelle Beteiligung. In der Extraklasse würden Vittorio de Sica, Gina Lollobrigida, Sophia Loren und Alberto Sordi aufscheinen, bei den Regisseuren Luchino Visconti, Vittorio de Sica, Renato Castellani und Federico Fellini. Silvana Mangano, Ingrid Berg-man und Anna Magnani liegen etwas darunter. Der Vorschlag wurde von den Produzenten zunächst mit Begeisterung aufgenommen, aber dann gab es Bedenken. Die Einreihung in Kategorien würde in der Filmstadt Cinecittä zu einem Aufruhr führen. Dann werde die Rechnung ohne den Wirt, also ohne die Schauspieler gemacht: würden sie sich zufriedengeben oder würden sie vielleicht den Weg ins Ausland suchen? Sophia Loren ist bereits über den großen Ozean.

Der Vergleich mit den höheren Stargagen Amerikas ist jedoch nicht stichhältig. Es ist zwar richtig, daß ein Frank Sinatra für einen einzigen Film 150.000 Dollar erhält. Aber es wird vergessen, daß ihm der Fiskus davon unbarmherzig 102.000 Dollar wegsteuert. Wer in Amerika (angenommen) 200.000 Dollar im Jahr verdient, muß dem Steueramt davon 156.820 Dollar abführen. In Italien ist der Fiskus weit milder. Die von den „Großen“ des italienischen Films erklärten Einkommen haben viel Kopfschütteln hervorgerufen, auch bei der Steuerbehörde, die eine strengere Untersuchung der Einkommensverhältnisse in der Filmwelt angeordnet hat.

Die italienischen Produzenten neigen heute eher dazu, einen anderen Ausweg zu suchen, wie er schon in Amerika erprobt wurde: die prozentuelle Beteiligung am Reingewinn. Ein faires Geschäft: gleicher Verdienst, gleiches Risiko.

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