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Festival des guten Durchschnitts

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Die Filmfestspiele von Cannes konnten heuer bereits auf ihr erstes Dezennium zurückblicken. Man konnte dieses Jubiläum wohl in der Weise begehen, daß man eine Festivaljury mit großen Namen (u. a. die vier bedeutenden französischen Dichter Jean Cocteau, Marcel Pagnol, Andrė Maurois und Jules Romains) einberief, man konnte aber natürlich nicht das- Gesamtniveau des Festivals bestimmen. Denn dafür ist die Filmproduktion der 33 Länder verantwortlich, die ihre Spiel- und Kulturfilme heuer zum großen Weltpanorama an die Croisette sandten. Bei einem solchen Massenangebot wird sich immer die skeptische Frage ergeben, wie weit hier die Qualität mit der Quantität Schritt halten kann.

Bei den meisten abendfüllenden Streifen machten sich eine schleppende Exposition und flicht unbeträchtliche Längen in der Durchführung bemerkbar, ln manchen Spielfilmen lag der Hauptwert in den dokumentarischen Teilen, während die Handlung oft eine Belastung darstellte. (Erstaunlich, daß daneben die Kurzkulturfilme nur wenig befriedigen konnten.) Bei der thematischen Auswahl zeigte sich, daß die Ostblockländer nach wie vor in Kriegsdramen schwelgen, wobei allerdings nicht verschwiegen werden darf, daß sich diesmal die großen Westmächte auch nicht gerade friedlich gebärdeten. Weiter fielen noch in der Gesamtschau die fast durchweg gute Kameraarbeit und die ausgezeichneten Leistungen der Kinder und der — Tiere unter den Darstellern auf.

In der stofflichen Bedeutung der Filme stand unbedingt das Gastgeberland an erster Stelle. Das Festival erfuhr seinen machtvollen offiziellen Auftakt durch den Streifen „Celui qui doit mourir“, der einen Roman des an- der Cote d'Azur lebenden griechischen Dichters Niko Kazantzakis („Der wiedergekreuzigte Christus“) zum.Inhalt hat und interessanterweise vom „Rififi“-Regisseur Jules Dassin gestaltet wurde. Dieses Passionsdrama, in Beziehung zum modernen Menschen und zu aktuellen Zeitfragen gesetzt, .ist in seiner kühnen Entwicklung von heikler, aber erregender Problematik. Einen klaren Gegenpol zu der effektvollen Inszenierung Dassins stellt der Streifen „Un condamne ä mort s’est ėchappė" dar, in dem Robert Bresson, der Regisseur von „Das Tagebuch eines Landpfarrers“, das Schicksal eines französischen Resistance-Leutnants, der 1943 in Lyonkaus der Todeszelle der Gestapo entkam, in verhaltener Konzentration auf das Wesentliche des menschlichen Leidens und des psychologischen Erlebnisses äußerst eindringlich zeichnet.

Mit besonderer Spannung sah man begreiflicherweise dem neuen Fellini-Film „Le notti di Cabiria“ entgegen, in dem der Schöpfer von „La strada“ wieder eine jsoesieyolle Dufchlejichtung , der menschr liehen Fįliė.cįejung und, 'ihrer. Ueberwinduiig gibt. Zwei- , fellos wird dieser Film wegen seines betont nationalen Charakters und der oft indirekten und konstruierten Aussageweise Fellinis falschen Interpretationen oder absolutem Unverständnis begegnen; unbestritten bleibt aber die Meisterschaft des Regisseurs und die hinreißende Darstellung seiner Frau Giulietta Masina. Die Jury verlieh ihr einstimmig den Preis für die beste weibliche Darstellung — übrigens ihre einzige Entscheidung, der man hundertprozentig beipflichten muß. Der zweite italienische Beitrag war Alberto Lattuadas Komödie „Guendalina", die außer der flotten Abwicklung und der reizenden Neuentdeckung Jacqueline Sassard keine besonderen Meriten für sich buchen kann. Pointierter und geistvoller zeigte sich die spanische Komödie „Faustina“, eine moderne, und ins Weibliche transponierte Fassung des „Faust"- Stoffes mit Maria Felix in der Titelrolle.

Enttäuscht haben diesmal die USA, die als einziges Land mit drei Filmen vertreten waren. William Wylers Streifen. „Friendly Persuasion“ ist eine breit angelegte,. komisch gefärbte Idylle aus dem Sezessionskrieg, die das Problem der aus religiöser Ueberzeu- gung jede Gewaltanwendung ablehnenden Quäcker nur recht peripher streift. „Bachelor Party“ vereinigt wieder Produzenten, Regisseur und Drehbuchautor von „Marty“ zu einem ambitionierten Team, erreicht aber in einem verwandten Milieu nicht die gleiche beglückende Substanz des Unpathetisch-Menschlichen. Am schwächsten wirkte „Funny Face“, worin nicht einmal Fred Ästaire und Audrey Hepburn sowie einige Regieeinfälle die nichtssagende Story retten konnten.

England bot mit „Yangtse Incident" einen soliden Kriegsfilm von gewohnt sauberer Humanität und starken Bildwirkungen, in „High tide at noon“ jedoch nur eine schleppende, durchsichtige Konfektionsgeschichte.

Die Deutsche Bundesrepublik konnte mit „Rose Bernd“ nur auf Grund der besonderen Popularität von Maria Schell einen Achtungserfolg erzielen, während unsere „Sissi, die junge Kaiserin“ auch hier seine große Publikumswirkung nicht verfehlte.

Von den Ostblockstaaten muß diesmal Polen an erster Stelle genannt werden, das in „Kanal“ eine aufwühlende .Bildvision von den letzten Tagen des Warschauer Aufstandes im Jahre 1944 gab, sich aber dabei zu sehr in der Ausmalung menschlicher Unter- gangsstimmung verlor. Der russische Film „Der 41." gefiel vor allem durch seine prächtigen farbigen Landschaftsbilder und durch manche echte, menschliche und darstellerische Züge, weniger durch seinen Konflikt zwischen politischer Ideologie und Liebe. Als achtbare, aber in keiner Hinsicht neuartige Arbeiten sind der ungarische Jugendproblemfilm „Zwei Bekenntnisse" sowie das durch seine wunderbaren Kinderdarsteller mitunter ergreifende jugoslawische Kriegsdrama „Das Tal des Briedens“ zu verbuchen. Was daneben aus Bulgarien, Ostdeutschland, Rumä nien und der Tschechoslowakei kam, verdient kaum Erwähnung.

Von den nordischen Ländern schnitt am besten Schweden mit „Das siebente Siegel“ von Ingmar Bergman ab, einer gegenwartsbezogenen Allegorie in mittelalterlichem Kostüm, mehr mit Intellekt als mit Herz und Poesie gestaltet, doch durch starke Bildeindrücke fesselnd. Absolut erfreulich war auch der norwegische Dokumentarfilm „Sami Jakke“, der dem Leben der Lappen dieses Landes gewidmet ist, während der dänische Grönlandfilm „Quivitok“ unter einer läppischen Spielhandlung zu leiden und der finnische Streifen „Erntemonat“ außer ein paar schönen Stimmungsbildern keinerlei Qualitäten aufzuweisen hatte.

Bei den Exoten sieht man heute naturgemäß den Japanern mit dem größten Interesse entgegen. Sie erhielten für „Das Dach Japans", einem Tier- und Naturfilm aus ihrem Alpengebiet, mit Recht den Preis für den besten abendfüllenden Dokumentarfilm, mußten ihn allerdings' ünverständlicherweise mit „Quivitok" teilen; Walt Disney hat hier offensichtlich Pate gestanden, aber zu keinen Effekthaschereien verführt. Nicht befriedigt hat hingegen der japanische Spielfilm „Leute vom Reisfeld", der sich allzusehr schlechten europäischen und amerikanischen Einflüssen geöffnet hat. Dem Beitrag Ceylons „Die Linie des Schicksals" sowie dem libanesischen Strei-

fen „Ins Unbekannte" sieht man für ihre unverbildete nationale Ursprünglichkeit gerne ihre braven Lesebuchgeschichten und deren bescheidene Gestaltung nach. Indien versuchte mit mittelmäßigem Erfolg, das Leben Buddhas an Hand asiatischer Kunstwerke zu gestalten, während Südamerika diesmal einzig — und überflüssigerweise — durch den argentinischen Film „Das Haus des Engels“ vertreten war. Bei den Kurzfilmen erhielt überraschenderweise der rumänische Streifen „Kurze Geschichte“ den ersten Preis, während die beiden originellsten Beiträge „History of the cinema" (England) und „Der kleine Regenschirm" (CSR) sowie der ausgezeichnete holländische Rembrandt-Film leer ausgingen.

Die größte Enttäuschung bildete aber die Verleihung des großen Spielfilmpreises an den Hollywood-Film „Friendly Persuasion“. Die Jury des Internationalen Katholischen Filmbüros, der auch der Schreiber dieser Zeilen angehörte, sah sich in der erfreulichen Lage, wenigstens ihrerseits die Filme von Dassin und Fellini mit besonderen Anerkennungen ausgezeichnet zu haben.

Jedenfalls machten sich bei den gesamten Preis- zuerkennungen der Jury weniger absolute Wertungen als Konzessionen nach allen möglichen Seiten hin bemerkbar. So wurde auch das Gesamtniveau der Spiele in Frage gestellt und in Richtung auf eine luxuriös umrahmte Filmverkaufsmesse hin verschoben. Nur etwa 20 Prozent von festspielreifen Filmen scheint uns für ein Festival doch zu wenig.

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