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Cannes: Jugend in Moll

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WER EIN SOLCHES FILMFESTIVAL, mag es sich nun an der Cote d’Azur, am Lido von Venedig oder am etwas rauheren Strand der Berliner Spree abspielen, nur nach dem äußeren Aufmarsch von Stars und dem ganzen hektischen Trubel um menschliche Eitelkeiten und ruhmverseuchte Sehnsüchte beurteilt, der muß zwangsläufig zu der Erkenntnis kommen, daß unter diesem Blickwinkel eigentlich eine Veranstaltung wie ein Ei dem anderen gleicht.

In den gerade aus dem Winterschlaf erwachten Luxushotels der Croisette in Cannes, das ja alljährlich den Auftakt im europäischen Filmfestspielkalender gibt, sucht ein Star den anderen durch Extravaganz in Kleidung und Gehaben zu übertrumpfen; selbst ernst zu nehmende Regisseure und Produzenten raufen sich um Einladungen für Parties und Empfänge, die entscheidend den Tagesablauf für viele Festspielbesucher bestimmen — nämlich vor allem für die mit dem schmaleren Geldbeutel, die sich irgendwo relativ bescheiden einmieten und sich darin vierzehn Tage lang überwiegend von meist gleichartigen Sandwiches und Käsegebäck nähren —, kurz, es scheint, als ob in diesen Tagen alle von dem „bacillus festivalis", einer Kreuzung von Hysterie und chronischem Zeitmangel mit einem Schuß Großmannssucht, infiziert sind. Aber, wie gesagt, es scheint nur so, denn hinter diesem augenfälligen Gehaben unter der Devise „Sehen und gesehen werden“, das die Attraktion für die große Masse bildet und in den Illustrierten seinen bildlichen Niederschlag findet, verbirgt sich doch eine gute Portion ernsthafter Arbeit und sogar ein ehrliches künstlerisches Ringen um und für die Materie „Film“. Schließlich wäre es ja auch ohne diesen meist wenig sichtbaren Kern kaum möglich, Jahrzehnte hindurch solche Treffen des internationalen Films immer wieder zu einem Anziehungspunkt zu machen. Eine Zeitlang schafft man es vielleicht schon mit massierten Staraufmärschen, aber sie allein genügen eben doch auf die Dauer nicht, wenn nicht dahinter ein geistiges und künstlerisches Konzept steht. Und gerade die jetzt in Cannes zu Ende gegangene Jubiläumsveranstaltung hat die Wahrheit dieser Behauptung erneut bewiesen. Noch im vergangenen Jahr hatten viele der ehrlich am Film interessierten Besucher den Eindruck, daß sich diese Zusammenkünfte an der französischen Riviera mehr oder minder zu einem Großmarkt filmischer Kommerzware mit Festspielverbrämung auswachsen. Das galt sowohl für die Riesenmenge des Angebotes — es standen mehr als 70 Filme auf der Liste — wie auch für die auf die Leinwand gebrachten Themen. Dabei war aber gerade Cannes seit seiner Entstehung nach dem zweiten Weltkrieg durch die Demonstration, ja die kompromißlose Durchpeitschung filmischer Experimente, die auf alles andere denn auf finanziell ertragreiche Transaktionen rechnen konnten, berühmt geworden.

DIE HEURIGEN FESTSPIELE IN CANNES aber haben vor allem in ihrer ersten Hälfte bewiesen, daß man sich wieder auf die Grundmotive des Festivals zu besinnen beginnt. Wobei zwar die Vorführung von mehr als 60 Spiel- und Kurzfilmen — die oft nicht minder interessanten Vorführungen außer Konkurrenz in irgendwelchen Kinos der Stadt gezeigten Streifen nicht eingerechnet —, die sich in knappen 14 Tagen über einen ergießen, noch immer als etwas zu hoch angesetzt erscheint. Eine solche Vielzahl stellt an die Urteilskraft und das Aufnahmevermögen der Jury wie der ernst zu nehmenden Kritiker derartige Anforderungen, daß sicher manche gezeigte Leistung dabei nicht ihrer wirklichen Bedeutung entsprechend gewertet wird. Das ist kein Vorwurf für die Entscheidung der Jury, sondern- nur ein Hinweis auf die Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit.

Das Jubiläumsfestival in Cannes ruhte auf zwei Eckpfeilern: auf der Jugend, die, vom Starkult noch nicht zu sehr beleckt, in der Mehrzahl der gezeigten Filme sowohl als Schauspieler wie als Regisseur zu Wort kam, und dem sehr auf Moll gestimmten Tenor der filmisch diskutierten Themen. Möglich, daß dies nur ein zufälliges Zusammentreffen düsterer, oft bedrückender Probleme war, aber man konnte auch den Eindruck gewinnen, daß gewisse junge Filmländer ebenso wie ihre Interpreten nur aus den trüben Erlebnissen der Vergangenheit zu einer filmischen Aussage gelangen können und wollen. Nur daraus erklärt es sich auch, daß nach über einem Dutzend Jahren das Erlebnis der Resistance mit geringen nationalen Abwandlungen eines der Hauptanliegen im künstlerisch zu wertenden Filmschaffen zu sein scheint. Diesmal waren es drei Nationen, die mit unzweifelhaft packenden und eindrucksvollen filmischen Mitteln dieses traurige Kapitel der Völkerbeziehungen zu neuerlich wuchtiger Anklage aufleben ließen. Sicher nicht zum Nutzen der so dringend notwendigen Völker-

Verständigung, zu der auch der Film seinen Beitrag leisten sollte.

ERFREULICH jedenfalls war die Bekanntschaft und der Kontakt mit einem zum Teil schon arrivierten Nachwuchs, dessen Leistungen einem die Gewißheit gab, daß es jenseits der verschiedenen Grenzen Kräfte und Persönlichkeiten gibt, die im Filmschaffen primär nicht die Abrechnung der Einspielerlöse sehen. Unter diesem Aspekt war also das Jubiläumsfestival von Cannes ein absoluter Erfolg, wenn auch kein Film mit einer besonders überragenden schauspielerischen oder regielichen Leistung zu finden war. Es waren Festspiele mit interessanten Darbietungen von erfreulichem künstlerischen Gesamtniveau, ohne einen jener Höhepunkte, die einen vor Begeisterung den Atem anhalten lassen.

Aus diesen Gedanken und Gefühlen heraus ist auch die Entscheidung der Jury zu werten, die ja von einem Teil der Oeffentlichkeit am Abend der Preisverteilung im Palais des Festivals angegriffen wurde. Es ist zwar verständlich, daß die Franzosen es aus nationalem Interesse gerne gesehen hätten, wenn Jules Dassin für seinen mit ernstem künstlerischen Wollen inszenierten Film „Einer muß sterben“ die Goldene Palme erhalten hätte, aber so makellos überragend war sein Werk nicht. Sicher aber wäre angesichts der Gleichwertigkeit der in Frage kommenden Filme die übrige Welt mit Vorwürfen über die Jury hergefallen, in der sieben Franzosen mit vier Ausländern zum Urteilsspruch vereint waren. Die Verleihung der Goldenen Palme an den amerikanischen Film „Friendly Peruasion", womit zugleich auch eine Ehrung für das Werk William Wylers verbunden war, kann man daher nur als gerechte Lösung begrüßen.

STARKE SYMPATHIEN FÜR ÖSTERREICH. Es ist nicht übertrieben, festzustellen, daß sich die beiden letzten Tage dieses Festivals von Cannes ausgesprochen im Zeichen Oesterreichs vollzogen haben. Schon die Zuteilung der Galavorstellung am Schlußtage der Veranstaltungen für die Vorführung des österreichischen Bei träges „Sissi — die junge Kaiserin" war eine Auszeichnung, mit der die Festspielleitung sicher auch dieses auf Moll gestimmte Festival in einer etwas freundlicheren Atmosphäre ausklingen lassen wollte. Für Oesterreich kam es dabei nicht so sehr darauf an, einen Preis zu gewinnen, als vielmehr vor diesem internationalen Forum augenfällig die österreichische Provenienz auch dieses zweiten Welterfolgsfilmes von Ernst Marischka mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm zu dokumentieren. Und diese Möglichkeit wurde mit stärkstem Widerhall in der internationalen Presse und Fachwelt hervorragend genützt. Auch der stimmungsvolle und beschwingte Empfang, den die österreichische Delegation im Freien auf dem alten Kastellplatz von Cannes, mit Blick über die herrliche Meeresbucht und Rivieralandschaft, gab — von den routinierten Festiväliers sogar als die bestgelun gene gesellschaftliche Veranstaltung der diesjährigen Festspiele bezeichnet —, half sicher mit, die Oesterreich, seinem Beitrag und seinen Stars entgegengebrachten Sympathien zu verstärken. Oesterreich hat neuerlich eine Visitenkarte abgegeben, die auch wirtschaftlich seinem Filmschaffen zugute kommen wird.

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