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Weg von den Moden
Was, vor 14 Jahren von einer guten Idee des Verbandes der österreichischen Filmjournalisten ausgehend, sich weiter entwickelnd, zwischendurch aber auch durch spießbürgerliche und filmsachverständige Beschränkungen (wie unter ein kleinliches Motto — z. B. „Festival der Heiterkeit“ — gepreßt) hinsiechend, sich fortsetzte, ist heute zu einem bereits internationalen Begriff geworden, der aus Wiens Film-Kulturleben nicht mehr fortzudenken ist: die Wiener alljährliche Filmwoche, kurz VIENNALE genannt. Und sie hat sich unter neuer Leitung bereits so stabilisiert, so an filmischer Bedeutung und wahrhaft künstlerischer Intention gewonnen, daß man die diesjährige Veranstaltung — die heuer vom 14. bis 22. Marz (wieder im Gartenbaukino) stattfindet — nicht ohne Stolz als ähnlichen internationalen Veranstaltungen durchaus gleichwertig bezeichnen kann — und das ohne jede falsche lokalpatriotische Überheblichkeit!
Die neuen verantwortlichen Organisationen — und da Ehre, wem Ehre gebührt, auch namentlich zugestanden sein soll, sei als Leiter Edwin Zbonek genannt — haben sich weise von jeder thematischen Festlegung wie auch kompromißlos von jeder sogenannten „progressiv“ -pseudopolitischen Modeströmung ferngehalten und ein wahres „Filmfestival“ arrangiert, das eigentlich auf die ursprünglichen Absichten der Veranstaltung zurückgeht: nämlich interessante und wertvolle (in jeder Beziehung, filmkünstlerisch, ästhetisch, experimentell usw.) Filme nach Wien zu bringen, „Filme, die uns nicht erreichten“, also Filme, die Österreichs kommerziell orientierte Verleiher von unseren Kinos fernhalten oder bisher ferngehalten haben. Man mag nun sagen, daß also die Auswahl relativ leicht gefallen sein muß, denn es gibt ja genügend solcher Exempel — was vielleicht stimmen mag; dennoch beweist die diesjährige Auswahl nicht nur soviel filmischen „guten Geschmack“, sondern auch so sinnvolle Verschiedenheit (der Genres, Probleme, Themen usw.), daß man einen Gedanken, eine bewußte Absicht dahinter bemerkt, die dieses Gegenargument abschwächt und zurückweist. Und man mag weiter sagen, daß diese Auswahl vollkommen ist, nämlich in der Beziehung, daß das eine oder andere Land fehlt, der eine oder andere wichtige Beitrag nicht da ist — doch ist jede Auswahl in gewisser Weise subjektiv (und hat als solche ihre vollkommene Berechtigung), und abgesehen davon ist aus allen möglichen und unmöglichen Gründen der eine oder andere (selbst vorgesehene) Film einfach nicht erreichbar, trotz aller Bemühungen, und auch tatsächlich nicht erreichbar gewesen (wie die Veranstalter selbst zugeben und was den Wert der Woche in keiner Weise mindert!).
Und so präsentiert sich also im Lauf dieser neun Tage in Wien eine filmische Schau, die das Herz jedes Cineasten und Filmfreundes begeistern und das Interesse eines großen Publikums wachrufen müßte. Leider fehlt hier der Platz, wirklich und wahrhaftig leider, um auf alle die einzelnen Sehenswürdigkeiten (im wahren Sinn des Wortes) so detailliert eingehen zu können, wie 0s viele dieser Filme verdienen würden — unter den verschiedensten Gesichtspunkten. Unsere Leser müssen entschuldigend sich damit begnügen, in knappsten Stichworten hier ein Generalprogramm angeboten zu bekommen, in dem nur auf ganz besondere Spezialitäten hingewiesen werden kann.
Das Hauptprogramm präsentiert 29 abendfüllende neue Spielfilme (selbstverständlich in der Originalfassung mit „verständlichen“ Untertiteln), die — allgemein gesagt — in eine Kinder- und Familienfilmveranstaltung jeweils um 15 Uhr und bei freiem Eintritt (ein Sonderlob für diese Idee!), eine Informationsvorstellung (drei Filme, ebenfalls bei freiem Eintritt) und 19 Filme — sozusagen als „Hauptfilme“, zugegeben eine schlechte Definition! — gegliedert werden können. Daß dazu eine große Anzahl von Kurzfilmen kommt, gehört zum selbstverständlichen Programm der Viennale.
Ohne damit den Wert der nicht genannten Filme schmälern zu wollen, seien ein paar Filme doch besonders herausgehoben, weil ihnen aus den verschiedensten Gründen besonderes Interesse zukommt; es sei dies z. B. der neueste Film von Orson Welles „Question Mark“ (17. März), ein Werk, dem der Ruf eines neuen „Klassikers“ vorauseilt, Ingmar Bergmans bereits berühmtes Opus „Schreie und Geflüster“ (19. März), John Hustons Boxerdrama „Fat City“ (20. März), Florestano Vancinis politischer Kriminalfilm „Die Ermordung Matteottis“ (15. März), der bewundernswerte englische Film von Bill Douglas „My Childhood“ (17. März, 20 Uhr), Carlos Sauras „Anna und die Wölfe“ (16. März), der im Vorjahr in Berlin mit dem „Goldenen Bären“ ausgezeichnete Problemfilm des bedeutendsten indischen Regisseurs Satyajit Ray „Ferner Donner“ (16. März, 17 Uhr) und, und, und ... Man müßte eigentlich alle Filme aufzählen, da jeder in seiner Art bedeutend ist... Doch wem es an Zeit mangelt, die ganze Viennale zu genießen, der sehe sich zumindest die genannten an — und er wird es nicht bedauern oder bereuen!
Selbstverständlich finden auch (obwohl es kaum möglich sein wird, dies zu konsumieren) die üblichen Nebenveranstaltungen statt — so wieder eine selbstherrlich-gigantomanisch aufgezäumte Retrospektive von 40 amerikanischen Gangsterfilmen aus dem Zeitraum von 1927 bis 1960 in der Albertina (überlegen die Veranstalter nicht, daß es unmöglich ist, an zwei verschiedenen Orten zu gleicher Zeit zu sein, da die Erfindung menschlicher Duplikation bekanntlich ja noch nicht geglückt ist?), ein Schönheitsfehler, der bei ähnlichen und historisch durchaus gleichwertigen Veranstaltungen bei Festivals wie Venedig oder Berlin sinnvoll und glücklich vermieden wird!
Daß das Französische Kultttr-institut im Rahmen der Viennale eine Retrospektive über das Schaffen des französischen Regisseurs Claude Chabrol im Studio Moliere veranstaltet, ist unseren Lesern bereits bekannt; und daß das Freie, Kino ab 21. März (warum ist hier eine vernünftige Programmdatierung möglich?) anläßlich der Viennale eine Reihe „DEFA-Filme 1946 bis 1949“ (mit den klassischen Werken wie „Die Mörder sind unter uns“, „Ehe im Schatten“, „Die Affaire Blum“, „Die Buntkarierten“ usw.) veranstaltet, sei als willkommene Ergänzung festgestellt.
60 Auslandsjournalisten sind als Gäste zur Wiener Filmwoche geladen; sie seien uns herzlich willkommen — werden sie doch von der diesjährigen Viennale den Eindruck bekommen, daß Wien auch auf dem Gebiet des Films jene Kulturstadt ist, von der soviel gesprochen und geschrieben wird, was aber leider in Wirklichkeit — zumindest auch auf dem Gebiet des Films! — nicht immer so ganz der Wahrheit entspricht...
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