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Zu harmlos, zu zynisch, zu beliebig

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Vom 14. bis 26. Oktober wurde ein Überblick über internationales Filmschaffen geboten - ein fragmentarischer Streifzug über einen Fleckerlteppich.

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Vom 14. bis 26. Oktober wurde ein Überblick über internationales Filmschaffen geboten - ein fragmentarischer Streifzug über einen Fleckerlteppich.

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Als „Festival der Festivals“ wollten die Wiener Filmfestspiele in den letzten Jahren einem ständig wachsenden cineastischen Publikum gleichsam die Rosinen aus dem internationalen Festivalkuchen pflük- ken und anbieten. Wenn man den Ankündigungen folgte, so sollte heuer einiges anders werden. Filme stehen in und reagieren auf gesellschaftliche Kontexte. Die Viennale- Direktoren Alexander Horwath und Wolfgang Ainberger entdeckten demgemäß die Wiener Fihnfestspie- le als Politikum. Soweit, so gut. Allein, vom versprochenen Wiederentdecken verschütteter politischer Diskurse blieb bei genauerer Betrachtung des Hauptprogramms bis auf wenige Ausnahmen, wie etwa das preisgekrönte Erstlingswerk des Mazedoniers Milcho Manchevski, „Before The Rain“ nicht allzu viel übrig. Sieht man weiters von der Programmschiene der „Native Americans“ ab, in der sich indianische Regisseure filmisch zu ihren Belan gen mitteilten, war das zusammengestellte Angebot wieder einmal vom mittlerweile nicht mehr überraschenden, teilweise jedoch nur mühsam nachvollziehbaren Flek- kerlteppichmuster geprägt. Mühsam vor allem deshalb, da selbst bei größter Toleranz der extremen Heterogenität des Festivalprogramms gegenüber eine Reihe von Produktionen die Hauptschiene oder die Sektion der skurrilen, exotisch konzipierten „Twilight Zone“ anfüllten, deren Würdigung durch ein internationales Filmfestival zumindest zu kritischen Rückfragen Anlaß gaben. So ist es beispielsweise nach wie vor nicht verständlich, was „Trop de bonheur“ von Cedric Kahn im Hauptprogramm zu suchen hatte, ein Film, dessen Konzept, Drehbuch und Fihn- sprache mindestens genauso pubertär ist, wie die Jugendlichen, deren Lebenswünsche er darzustellen vorgibt.

Einige verbindende Fäden gab es hingegen doch: Filme wie etwa „0 fio do horizonte“ von Fernando Lopez, „S.F.W.“ von Jefery Levy und mehrere andere auch thematisieren die Frage der ins Schwanken geratenen individuellen Identität. Filme wie „Hadashi no Picnic“ von Shino- bu Yaguchi, „La madre muerta“ von Juanma Bajo Ulloa oder „Boy Meets Girl“ von Ray Brady widmeten sich dem vielschichtigen Komplex exzessiver, ritualisierter Gewalt. Obwohl jedoch diese Bereiche im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs von höchster Relevanz sind, verpaßten Ainberger und Horwath bedauerlicherweise die Gelegenheit, durch die Auswahl entsprechender Filme von der Warte der Kunst in die laufende Debatte einzugreifen.

Das zusammengestellte Programm zeugte zum Teil von so ausgesuchter Harmlosigkeit, wie sie eben nett anzusehenden, aber reichlich oberflächlichen Stilübungen und den meisten kapitalträchtigen Großproduktionen zu eigen ist. Oder aber sie produzieren sich als spekulative und voyeuristische Attacken auf an sich durchaus sinnvolle Grenzen der Darstellbarkeit. Der spanische Psycho-Thriller „La madre muerta“ bleibt trotz seiner unanfechtbaren Selbstverliebtheit allenfalls ein formal durchschnittlicher Film. „Boy Meets Girl“, die künstliche Chronik einer tödlich sadistischen Beziehung hätte bislang bestenfalls in den Regalen von Spezial-Videotheken Platz gefunden, künstlerisch wäre dieser Film zwischen Zynismus und Frechheit anzusiedeln.

Wiederholt stellt sich angesichts des heurigen Viennale-Programms die Frage nach der Funktion solcher Bilder, nach möglichen Konsequenzen einer daraus ableitbaren Beliebigkeit im Bereich der Abbildung. Die Entscheidung für die Aufnahme von Filmen wie den genannten in ein Festival schafft Akzeptanz, ist also eine längst nicht mehr, eine cineastische, sondern (kultur-politische Frage. Interessant zu erfahren wäre freilich, welche Intentionen sich daran binden. Daß dadurch qualitativ hochwertigen Produktionen ein breiteres Publikum verschafft werden soll, darf bezweifelt werden. Auch die psychologisierende Erläuterung, wonach bislang verpönte Bilder, einmal an die Öffentlichkeit getragen, quasi aufklärerisch-therapeutisch wirksam sein könnten, ist wenig plausibel; gerade die nicht auf der Leinwand erzeugten Bilder sind die am eindrücklichsten.

Bleibt also fast nur mehr die Vermutung, hier könnte jemand zu demonstrieren versuchen, welch „moderne“, „mutige“ oder ach so kon- troversielle Standpunkte sich ein Festivalleiter zutraut. Wenn das aber zum Kriterium zeitgemäßer Kulturpolitik erhoben werden sollte, unterscheidet sich ein Filmfestival strukturell nur mehr geringfügig vom Sport oder von Supermärkten.

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