Eva Sangiorgis erste ViEnnalE

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Eine westliche Wohlstandsbürgerin wird jäh mit der europäischen Flüchtlingskrise konfrontiert: Die deutsche Ärztin Rike segelt allein auf einer kleinen Yacht über das Mittelmeer, als sie sich nach einem Sturm mitten auf hoher See in unmittelbarer Nachbarschaft eines havarierten Fischerbootes voller Flüchtlinge wiederfindet. Sie will helfen -aber wie? Wenn sie auch nur ein Viertel der Schiffbrüchigen zu retten versucht, ist ihr eigenes Schiff dem Untergang geweiht. Ein oder zwei kann sie aufnehmen - aber wen? Die Fragen, welche die Flüchtlingskrise im Großen aufwirft, stellen sich in "Styx" ganz konkret einer Einzelperson. Der bereits mehrfach preisgekrönte Film des österreichischen Regisseurs Wolfgang Fischer wird auf der kommenden Viennale zu sehen sein, die am 25. Oktober beginnt. Das Wiener Filmfestival dauert heuer bis 8. November.

Große Breite internationaler Filme

Es ist die erste Viennale, die von Eva Sangiorgi verantwortet wird, die dem im Sommer 2017 überraschend verstorbenen Langzeit-Direktor Hans Hurch nachfolgt. Im Großen und Ganzen bleibt sie Hurchs Konzept treu, einem kinoaffinen Publikum eine große Breite internationaler Filme zu präsentieren, von denen es die wenigsten auf dem üblichen Vertriebsweg nach Österreich schaffen würden. "Von großen Namen bis zu kleinen, ungewöhnlichen Projekten", fasst Sangiorgi den Leitgedanken zusammen. Weitergehende programmatische Aussagen sind ihr bei der Pressekonferenz nicht entschlüpft.

Zu den Filmen, die mit großen Namen und großen Budgets aufwarten können, gehört heuer etwa die Westernkomödie "Damsel" (Regie: David und Nathan Zellner) mit Robert Pattinson und Mia Wasikowska in den Hauptrollen, in der ein junger Tor eine Braut zu retten versucht, die gar nicht gerettet werden will. Der opulent ausgestattete Historienstreifen "The Favourite" (Regie: Yorgos Lanthimos) mit Emma Stone, Rachel Weisz und Nicholas Hoult erzählt in heutiger Sprache von Intrigen und Machtspielen am englischen Hof zu Beginn des 18. Jahrhunderts. "First Man"(Regie: Damien Chazelle) fokussiert auf die Konflikte und Tragödien rund um den Astronauten Neil Armstrong -gespielt von Ryan Gosling -, der 1969 als erster Mensch den Mond betrat. In "Vox Lux"(Regie: Brady Corbet) gibt Natalie Portman eine junge Frau, die von der Überlebenden einer nationalen Tragödie zu einem Pop-Superstar gemacht wird.

Bei der Durchsicht des Programms stellt sich der Eindruck ein, dass Sangiorgi noch mehr als ihr Vorgänger auf experimentelles Arthaus-Kino setzt und auf Filme mit Queer-, Gender-und Frauenthemen. Beispiele hierfür sind "Ne travaille pas (1968-2018)"(Regie: César Vayssié), ein Porträt der 1968er nicht zuletzt unter Zuhilfenahme tänzerischer Bewegungen, oder "Las Hijas del fuego"(Regie: Albertina Carri), ein wüstes, sexuell explizites Roadmovie, in dem die Lust der Frauen gefeiert wird und Männer nur gleichsam als Monster auftreten. Im Kurzfilmprogramm, das ja seit jeher ein Hort des Experimentellen ist, hebt die Viennale-Direktorin "Sabaudia" der österreichischen Regisseurin Lotte Schreiber hervor, ein 24-minütiges Porträt einer Kleinstadt, die Anfang der 1930er-Jahre im Geist faschistischer Idealarchitektur südlich von Rom aus dem Boden gestampft wurde.

Zu den Highlights der diesjährigen Viennale gehören zweifellos die Retro-Programme des Österreichischen Filmmuseums und des Österreichischen Filmarchivs. Das Filmarchiv zeigt in seiner Retrospektive "Surviving Images" Stummfilme, in denen die untergegangenen jüdischen Lebenswelten dokumentiert sind.

Jüdische Stummfilme und B-Movies

In österreichischen und deutschen Filmen der Zwischenkriegszeit ist das jüdische Leben im Schtetl, aber auch in der Großstadt festgehalten, das vom Nationalsozialismus grausam ausgelöscht wurde. Acht der zwölf gezeigten Filme sind neu restauriert

- vier davon vom Filmarchiv Austria, das die Bewahrung dieser Bilder zu einem seiner Schwerpunkte gemacht hat. Zu sehen sind etwa "Ost und West"(1923, Regie: Sidney M. Goldin),"Der Kaufmann von Venedig (1923, Regie: Peter Paul Fellner),"Die Stadt ohne Juden"(1924, Regie: Hans Karl Breslauer), das Meisterwerk "Der Golem, wie er in die Welt kam"(1920, Regie: Carl Boese/Paul Wegener) und das Fragment "Die gekreuzigt werden"(1919, Regie: Georg Kundert), das einen einmaligen Einblick in das verschwundene jüdische Alltagsleben bietet. Alle Vorführungen werden von Live-Musik begleitet.

Das Filmmuseum widmet sich heuer dem B-Movie. Darunter versteht man einen zweitklassigen Film mit geringem Budget und niedrigem künstlerischen Anspruch. Entstanden war der Begriff durch die Einführung einer neuen Vorführungspraxis in den 1930er-Jahren, nämlich des "Double Features". Dabei wurden in einer Vorstellung zwei Filme gespielt: ein teuer produzierter A-Film und ein weniger aufwändig gemachter B-Film. Schnelle Drehs, vorwiegend unbekannte Schauspieler, billige Spezialeffekte und Kulissen -oft wurde einfach in den Bauten aktueller Großproduktionen gedreht - charakterisierten die B-Filme. Diese Filme etablierten sich jedoch schnell als "Brutstätte für kühne Neuerungen und experimentierfreudigen Umgang mit Genre und Handlung", wie Kurator Haden Guest erläutert.

Einflüsse von Avantgarde-Strömungen fanden Eingang in die B-Movies, vom Surrealismus bis hin zur Montage-Technik des Sowjetkinos. Die Low-Budget-Produktionen waren für viele Filmemacher wichtige Inspirationen. Auch der Film Noir ist eine Erfindung des B-Movies. Viele der gezeigten Filme sind echte Raritäten und waren noch nie in Europa im Kino zu sehen.

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