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Filmkultur hat keine Tradition
Das Filmland Österreich ist ein Entwicklungsland. Fakten bestätigen das: Jahr für Jahr wird kaum mehr als eine Handvoll Spielfilme produziert.
Und dennoch: Nach einer 95jährigen Geschichte, nach einer steten privatwirtschaftlichen Orientierung des österreichischen Filmschaffens bis in die zwanziger Jahre, nach der zunächst freiwilligen und dann erzwungenen Anpassung an die Filmkultur im Dritten Reich, nach der Blütezeit und dem Niedergang des Wiener- und des Heimatfilms in den späten sechziger Jahren und nach der mühsamen Aufwärtsentwicklung seit den siebziger Jahren scheint dieses Filmland Österreich im vergangenen Jahr zum ersten Mal seit langem endlich wieder in Bewegung geraten.
Zum einen wurden die Budgets des „Österreichischen Filmförderungsfonds" (ÖFF) und des „Film-Fernsehabkommens" (siehe Kasten) erhöht. Zum anderen ist Österreich seit Ende des vergangenen Jahres Mitglied des „Europäischen Filmbüros" EFDO (European Film Distribution Office), das seit Mitte 1988 den Vertrieb europäischer Filme über die landeseigenen Grenzen hinaus fördert. Damit erfüllt sich ein langgehegter Traum des heimischen Filmschaffens, trotz der meist schwierigen Arbeiten,auch im Ausland ohne Probleme aufgeführt werden zu können.
Österreichische Filmgeschichte, und das ist die Grundlage für die heutige Situation, stellt sich als Summe zersplitterter Fakten dar. Filmkultur hat hierzulande keine Tradition.
Es begann 1895 mit täglichen Filmvorführungen der Brüder Lumiere in der Wiener Kärntner Straße. Damals war Kinanoch ein obskures Jahrmarktvergnügen. Am Beginn unseres Jahrhunderts entwickelten sich Ansätze einer Filmkultur, die vor allem vom wohlhabenden Produzenten Alexander „Sascha" Kolowrat getragen wurde. Er produzierte den für damalige Verhältnisse üppigen Ausstattungsfilm „SodomundGomorrha" (1921) von Michael Kertesz, der später wie viele andere österreichische Filmregisseure nach Hollywood ging und als Michael Curtiz den Klassiker „Casablanca" (1942) drehte.
Die große politische Zäsur war die NS-Zeit. Aber auch nach 1945 orientierte sich die österreichische Filmwirtschaft am deutschen Markt. Zum Teil aus finanziellen Gründen, zum Teil aus Orientierungslosigkeit. Das gern verwendete Schlagwort von der „Stunde Null" zu Kriegsende stimmt also auch für den Film nicht. Zumal die Mythen und Ikonen des österreichischen Films, weinselige Gemütlichkeit oder tragische Blut- und Bodengeschichten weiterhin als typisch dargestellt wurden. Im Gegenteil, die Darsteller dieser Typen erfreuten sich uneingeschränkter Beliebtheit. Paula Wes-sely etwa, die während der NS-Zeit in „Heimkehr" (1941) von Gustav Ucicky, einem äußerst publikumswirksamen Propagandafilm, spielte und später in der rührseligen filmischen Vergangenheitsbewältigung „Der Engel mit der Posaune" (1948) von Karl Hart! agierte. Oder Hans Moser blieb der geniale Pro-ponent raunzigen Wienertums im Film, anarchischer Komiker ersten Ranges.
Der österreichische Film der frühen Nachkriegszeit entsprach dem Klischeebild von lieblicher Schönheit, Charme und Postkarten-Bildern der Heimat. Und gerade im Jahr 1945 hatten „die Heimat und ihre Bräuche eine irrationale Wertsteigerung erfahren" (Gertraud Steiner). Die Blütezeit dieses Genres dauerte freilich mit einigen Höhepunkten wie „Echo der Berge" (1954) von Alfons Stummer nur bis in die sechziger Jahre. Dann waren die Klischees selbst dem zuvor so genügsamen österreichischen Publikum zu abgenützt.
In den fünfziger Jahren war fast jeder Film von Franz Antel ein großer Publikumserfolg. Ein Wettstreit zwischen Antel und Ernst Ma-rischka (der eine entdeckte Johanna Matz, der andere Romy Schneider), dem Regisseur der Edelschnulze „Sissi" (1955), ließ einen Kassenschlager nach dem anderen folgen. Antel inszenierte Geschichten um „süße Mädel" mit Reminiszenzen an die österreichisch-ungarische Monarchie. Filme wie „Hallo, Dienstmann!" (1951) hatten aber auch jene Leichtfüßigkeit, jenen Charme, dem man sich immer noch gerne zu Gemüte führt. Man ging ins Kino, um sich zu unterhalten, um Sorgen zu vergessen. Belanglosigkeiten sollten die Zeit vertreiben.
Es kam aber die Zeit, da das Publikum kritische Filme forderte. Mit dem verstärkten Aufkommen des Fernsehens (1955 wurden in Österreich die ersten Programme gesendet) zerbrachen die Mythen des Austriazismus, da die Betrachter mit realistischen Bildern konfrontiert wurden. Das Fernsehen erhielt eine Vormachtstellung, von 1959 bis 1968 wuchs die Zahl der Fernsehteilnehmer von 112.223 auf 1,125.126, immer mehr Kinos sperrten zu, der absolute Tiefpunkt der österreichischen Filmkultur war erreicht.
Der ORF hat heute aufgrund seiner Monopolstellung noch immer jene Vormachtstellung in der österreichischen Filmlandschaft, denn tatsächlich kann nur jener Film hergestellt werden, der nach einer Förderungszusage des „Österreichischen Film-förderungsfonds" auch vom Beirat des „Film-Fernsehabkommens" (siehe Kasten) subventioniert wird.
Im Rahmen dieser Bedingungen wurden seit 1981 bereits einige Arbeiten gefördert, deren man sich nicht zu schämen braucht. So etwa Michael Hanekes „Der siebente Kontinent" oder Wolfram Paulus' „Heidenlöcher" oder „Nachsaison", Michael Syneks „Die toten Fische" oder Paulus Mankers „Schmutz". Hier zeichnet sich der Aufbau einer Tradition ab.
Regisseure wie Paulus verstehen es, den Besucher auf den österreichischen Film des nächsten Jahrtausends neugierig zu machen.
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