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Vor den Nazis nicht davonlaufen!

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Wie braun ist Wels? Diese Frage warf ihre Schatten voraus, längst bevor die „Österreichischen Film Tage" überhaupt begonnen hatten. Und diese Schatten blieben auch während des Spektakels von 21. bis 26. April bestehen. Was sich unter anderem darin äußerte, daß Unterrichtsminister Rudolf Schölten nicht zur Eröffnung der Veranstaltung kam und der Eröffnungsfilm „Schuld und Gedächtnis" von Egon Humer nicht vorgeführt wurde. Ganz zu schweigen von der Stimmung, die in Wels herrschte.

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Wie braun ist Wels? Diese Frage warf ihre Schatten voraus, längst bevor die „Österreichischen Film Tage" überhaupt begonnen hatten. Und diese Schatten blieben auch während des Spektakels von 21. bis 26. April bestehen. Was sich unter anderem darin äußerte, daß Unterrichtsminister Rudolf Schölten nicht zur Eröffnung der Veranstaltung kam und der Eröffnungsfilm „Schuld und Gedächtnis" von Egon Humer nicht vorgeführt wurde. Ganz zu schweigen von der Stimmung, die in Wels herrschte.

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Die Atmosphäre wurde allerdings nicht so sehr von den braunen Relikten getrübt (einer Gedenktafel und einer nach dem Nazi-Propagandadich-terOttokar Kernstock benannten Straße) sondern vielmehr durch ein Intrigenspiel, das zur Zeit offenbar innerhalb der österreichischen Film welt vor sich geht. Der Regisseur Reinhard Schwabenitzky (selbst Mitglied des Regie verbandes) drückt es so aus: „Offenbar hat sich im Regieverband eine aus dem Vorstand bestehende Lobby gebildet. Es handelt sich um die Herren Manker, Glück, Haneke, Berger, Dor und List. Diese Lobby möchte aus nicht genau definierbaren Gründen Wels killen. Mag auch sein, daß man nur Reinhard Pyrker loswerden will (den Leiter der Veranstaltung, Anm. d. Red.). Dann soll man aber mit offenen Karten spielen."

„Der Regieverband hat Angst vor jungen Regisseuren, deshalb wollen sie ein Festival der Etablierten", meint der Journalist Richard Stradner.

Im Klartext heißt das: das Festival der Etablierten ist die Viennale. Das Festival der Jungen ist Wels. Wenn man das nun abschafft oder möglicherweise der Viennale einverleibt, schadet das den Nachwuchsregisseuren natürlich enorm. Wer sieht sich schon Kurzfilme oder Dokumentationen junger Österreicher an, wenn zeitgleich Premieren international anerkannter Regisseure laufen?

Jenseits von braunen Flecken und politischen Querelen sprach das Programm bei den Filmtagen doch eine sehr eindeutige Sprache (zumindest für die, die bereit waren, darauf zu achten). Da mangelte es nämlich nicht an Gesellschaftskritik, die - in unterschiedlicher Form - gekonnt dargebracht wurde. Und dabei ging es natürlich auch um Themen wie den ganz normalen Alltagsfaschismus, Ausländerfeindlichkeit und so weiter.

Peter Patzaks Charakterstudie „Kassbach", zum Beispiel, behandelte ganz explizit das Problem des Neofaschismus. In den Filmen „I Love Vienna" von Houchang Allayhari und „Ilona und Kurti" von Reinhard Schwabenitzky wurde das Problem Ausländerfeindlichkeit in Form von Komödien behandelt.

Die „Stadt ohne Juden", ein Stummfilm von H. K. Breslauer aus dem Jahr 1924 hatte den Antisemitismus im Wien der Zwischenkriegszeit zum Inhalt. Der Film ist in mehrerlei Hinsicht (und nicht nur für Cineasten) etwas Besonderes: Anders als andere Streifen aus dieser Zeit, behandelt er ein zu der damaligen Zeit virulentes politisches Thema. Hans Moser ist darin in seiner ersten (uns bekannten) Filmrolle zu sehen. Ein Stück Kino-und Zeitgeschichte also, das bis vor kurzem als verschollen galt und nach seiner Wiederauffindung in einem holländischen Archiv mühsam restauriert wurde.

Neben kritischen Spielfilmen wurden auch Dokumentationen gezeigt, die es thematisch nicht weniger in sich hatten: Videoproduktionen zum Thema „Armut in Oberösterreich" beispielsweise oder Hannes Zimmermanns Dokumentarvideo „Nix Mul-tikulti".

Auf jeden Fall „multi", also vielfältig, waren die Filmgenres, die man in Wels zu sehen bekam. Musikvideos, experimentelle und andere Kurzfilme, Werbespots, Dokumentationen und abendfüllende Spielfilme boten einen Überblick darüber, was sich in der österreichischen Film- und Videoszene in letzter Zeit getan hat. Vom Inhaltlichen wie auch vom Organisatorischen her kann dem Welser Festival ein gutes Zeugnis ausgestellt werden. Ob das aber genügt um auch nächstes Jahr die Film Tage wieder in Wels abhalten zu können?

Der Kameramann und Regisseur Said Manafi hat noch ein Argument, das für den bisherigen Standort spricht: „Gerade wegen der nationalsozialist-schen Relikte in Wels sind die .Österreichischen Film Tage' als couragiertes, engagiertes und antifaschistisches Festival unverzichtbar." Und Peter Patzak schlägt in dieselbe Kerbe: „Vor den Nazis davonlaufen? Den Kopf in den Sand stecken! O sancta simplici-tas." In deroberösterreichischen Stadt macht sich Resignation breit. Manche haben das Gefühl, daß „die Wiener" einfach etwas gegen sie haben. Da macht es wohl wenig Unterschied, daß es auch in Wien bedenkliche Aufschriften gibt (beispielsweise „Dem Deutschen kann nur durch Deutsche geholfen werden. Fremde Völker bringen uns immer tiefer ins Verderben" über dem Eingang der Jahn-Turnhalle im vierten Bezirk) und einen Kernstockplatz.

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