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Zwischen Wels und Wien
Die Rede war vom verflixten siebenten Jahr. Als wäre es eine Ehe, zwischen den österreichischen Filmen und ihren Regisseuren einerseits und den „Österreichischen Filmtagen" andererseits, die heuer zum siebenten Mal in Wels stattgefunden haben. Was allerdings als Werbeslogan gedacht war, erwies sich rasch als Bumerang: Die Ehe zwischen den heimischen Filmregisseuren und ihrer Werkschau ist in eine Krise geschlittert.
So fehlten in Wels gleich mehrere Spielfilm-Produktionen des vergangenen Jahres: „Die Ministranten" von Wolfram Paulus, eine schöne, aber brave Geschichte über Bubenbanden in Salzburg, und Franz Novotnys hemmungslos aufwendige Politparabel „Spitzen der Gesellschaft" . Schließlich brachte auch Peter Patzak seinen neuen Film „Gavre Princip" (über den Mörder des Thronfolgers Franz Ferdinand) nicht nach Wels. Die WEGA-Film, Österreichs größter Filmproduzent („Spitzen der Gesellschaft") weigerte sich außerdem, Arbeiten nach Wels zu schicken.
In ihrer jetzigen Form werden die Filmtage in Frage gestellt. Als Plattform für einen konstruktiven Diskurs gemeinsam mit einer Gesamtschau des heimischen Filmschaffens initiiert, funktioniert das Gespräch heute nicht mehr, und ein Uberblick über Österreichs Filme ist eben auch nicht mehr zu sehen. Probleme, wie etwa die Drehbücher, die Dokumentarfilm-Szene werden angeschnitten. Ein Konsens - keine Lösung - liegt rasch auf dem Tisch. Wels ist momentan kein fruchtbarer Boden mehr.
Eine heikle Situation, wenn man bedenkt, daß die Filmtage nun ein Jahr pausieren und erst wieder im Frühjahr 1992 stattfinden, da die „Viennale" ab 1991 in den Herbsttermin rückt. Beobachter der österreichischen Filmszene befürchten nicht ohne Grund, daß sie, ohnehin schon rudimentär, nächstes Jahr niemandem mehr fehlen werden.
Der österreichische Film braucht aber seine Filmtage. Und Reinhard Pyrker, der wegen seiner Doppelf unktion als Festivalleiter und Vien-nale-Chef zu Recht unter Beschuß geraten ist - Ämterkumulierungen verhindern Neuerungen - ist auch unter Zugzwang geraten. Nicht ohne eigene Schuld. Denn nach sieben Jahren Festivalleitung ist Routine eingekehrt und hat auch eine gewisse Lieblosigkeit bei der Präsentation der Filme Platz gegriffen. Reinhard Pyrker ist zur „persona non grata" geworden.
Österreichs Avantgarde-Filmemacher, meist für eine geistige Auffrischung im Alltag der Welser Filmschau gut, traten heuer nur mit einer Restmannschaft an. Während Peter Tscherkassky und Lisi Ponger fehlten, wurde Mara Mattuschka die diesjährige Förderungspreisträgerin, mit einer Werkschau geehrt. Dietmar Brehm zeigte kleine vibrierende Meisterstücke (Film Path 1, Pool 2, Roter Morgen, Reststück 1), Marc Adrian (Stadtwerkstatt) und Hans Scheugl (Black, White) traten mit ihren Filmen eher auf der Stelle.
So blieb die Hoffnung, daß junge, subversive, ohne Förderungsmittel arbeitende Filmemacher einspringen und das schon etwas abgefallene Niveau heben würden. Diese Hoffnung wurde zum Teil erfüllt: „Himmel oder Hölle" von Wolf gang Murnberger, dem ersten Gewinner des neu gestifteten Preises der Österreichischen Filmtage, gelang ein stimmungsvolles Porträt eines Buben, die Schilderung einer abenteuerlichen, romantischen, aber auch dreckigen Kindheit. Murnberger richtete sich nicht nach klassischen Erzählelementen, er wechselte Schwarz-Weiß und Farbe motiviert und gab seiner Arbeit dadurch noch zusätzliche Spannung. Völlig zu Recht wurde sein Film als einer der wenigen vom Publikum stürmisch gefeiert. Daneben konnten eigentlich nur noch Houchang Allahyaris kompromißloser Gefängnisfilm „Fleischwolf" (ohne Förderungsmittel produziert) und Peter Patzaks kabarettistischer Film „Lex Minister" mit Hans-Peter Heinzl überzeugen.
Dagegen verloren Produktionen, wie Götz Spielmanns „Erwin und Julia", die mit den für österreichische Filme typischen dramaturgischen Fehlern eine überaus biedere Geschichte (Schauspielschüler aus Tirol kommt nach Wien, verliebt sich in eine Kellnerin, sie aber liebt verzweifelt einen anderen) mit bedeutungsschweren Zitaten („Wien frißt Dich auf") und einer alles überragenden Schauspielerin (Julia Stemberger als Kellnerin) erzählen. Zwiespältig wurden auch die neuen Dokumentarfilme aufgenommen: Hier hielten sich interessante Arbeiten (Margareta Heinrichs „Ist der Teufel wirklich ein Kind?", „Feldberg" von Michael Pilz), die ihren eigenen, subversiven Weggehen, mit aufschneiderischen Arbeiten und menschlichen Botschaften („Schwerarbeit ist es auf jeden Fall" von Gabriele Ma-thes) die Waage.
Typisch für die heimische Filmproduktion und die diesjährigen Filmtage: Nach einem qualitativguten Jahr 1989 (vor allem mit Michael Hane-kes „Der 7. Kontinent") scheint es zu einer Stagnation gekommen zu sein. Gleichzeitig wird soviel wie selten zuvor produziert. Man wird sehen, was übrigbleibt.
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