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Nach den politischen Aufregungen der letzten beiden Jahre kann sich die heimische Filmbranche wieder der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem österreichischen Film widmen: Die heurige Diagonale , die vom 14. bis 20. März in Graz stattfindet, bietet erneut einen umfangreichen Querschnitt durch Österreichs Film (www.diagonale.at). - Ihr erstes "Festival des österreichischen Films" versteht die neue Diagonale-Leitung als Fortsetzung der "alten" Diagonalen, so Intendantin Birgit Flos im Interview (Seite II). Dazu eine Grundsatzbewertung des heimischen Films (Seite I) - auch aus der Außenwahrnehmung der USA (Seite III). Redaktion: O. Friedrich, M. Greuling Österreichischer Film hat sich in den letzten Jahre als Marke etabliert - und steht gerade deswegen in Gefahr, als Sozialproblem-Kino punziert zu werden.

Fünf Jahre ist es jetzt her, da hat eine junge Frau namens Barbara Albert das österreichische Filmschaffen plötzlich international bekannt gemacht. Mit "Nordrand", einer Geschichte vom Wiener Stadtrand, wo das Leben trist und die Menschen depressiv sind. Wo man Träume hat, die ohnehin nie in Erfüllung gehen. Kino über Menschen am Rande der Gesellschaft, die österreichische Befindlichkeit und Identität repräsentieren. Oder zumindest das, was die Filmemacher dafür halten.

Nach "Nordrand" folgten etliche Filme, die in diese Sparte passen: "Hundstage" von Ulrich Seidl etwa, ein mehrfach preisgekrönter Film mit voyeuristischem und darob schockierendem Blick auf die Österreicher. "Struggle" von Ruth Mader, der vom harten Arbeitsalltag in Österreich erzählt. "Auswege" über Frauen, die Zuflucht im Frauenhaus suchen. "Hurensohn" über Menschen im Rotlichtmilieu. Oder erst im Vorjahr Götz Spielmanns "Antares".

"Very Austrian"

Wieder eine Geschichte aus den großen Wohnsilos Wiens, mit Protagonisten, die nicht leben, sondern dahinvegetieren. Ein amerikanischer Journalist bezeichnete "Antares" im Vorjahr als "very Austrian" (sehr österreichisch), ein anderer schrieb: "Austria seems to be emerging as a hotbed for movies dealing with multiple characters, all of whom are miserable (Österreich entpuppt sich als Brutstätte für Filme über vielschichtige Charaktere, die alle armselig sind)."

Womit klar wird: Der österreichische Film hat sich in den letzten Jahren als Marke etabliert. Eine Marke, die nach einer bestimmten Rezeptur funktioniert. Die Zutaten sind immer die gleichen: Sozialrealismus, drückende Stimmung, bestenfalls aufgeheitert durch die an sich phlegmatische österreichische Seele. Schicksale, die niemals in einer Zeitung stehen würden, weil sie einfach nicht reißerisch genug sind. Leise Dramen voller Blicke und Gesten, Geschichten über die Schwachen, über das Mittelmaß als schwere Bürde. Hat der österreichische Film eine "Masche" gefunden, durch die sich seine Erfolge erklären lassen? Ist das hiesige Kino ein realistisches Spiegelbild der österreichischen Gesellschaft?

Zunächst: Ja, der österreichische Film wird zumindest international mit einer gewissen Erwartung verknüpft. Zuschauer und Kritiker wissen, was sie bekommen, wenn ein Film das Label "Austria" aufgedruckt hat. Kaum jemand dreht in diesem Land Filme über den Mittelstand oder über die Bürgerlichen. Österreichische Filme sind daher keine Spiegelbilder der Gesellschaft. Angesichts der recht pikanten Dinge, die uns Ulrich Seidl in "Hundstage" vorsetzte, fragten sich internationale Journalisten: "Geht es in Österreich wirklich so zu?" Der österreichische Film ist heute bestensfalls eine Zuspitzung der Realität am Rand der Gesellschaft. Zugespitzt bedeutet karikiert. Viele heimische Filme kommen wie Karikaturen daher, die sich über die Menschen, die sie zeigen, lustig zu machen scheinen.

Marke Sozial-Tristesse

Auch Jörg Kalts neuer Film "Crash Test Dummies", der die diesjährige Diagonale eröffnet, ist da keine Ausnahme. Verschiedene Protagonisten, deren Wege sich kreuzen. Ein Großteil der Handlung spielt am Bahnhof Wien Mitte, mittellose Menschen aus Österreich und aus Osteuropa treffen aufeinander. Ulrich Seidls neues Filmprojekt "Import Export", das derzeit gedreht wird, verspricht ebenfalls, diese Schiene weiter zu bedienen. Zwei Arbeitslose, er aus der Wiener Vorstadt, sie aus der Ukraine, versuchen ihr Glück jeweils jenseits ihrer Herkunft: Er im Osten, sie im Westen. Geschichten, die wir mittlerweile zur Genüge kennen.

Die soziale Tristesse hat das österreichische Kino bekannt gemacht. Aber es gibt auch Ausnahmen. Jessica Hausners Film "Hotel" etwa, der in bester Hitchcock- und Lynch-Manier von den seltsamen Vorkommnissen in einem Nobelhotel in den Alpen erzählt. Ein Film, der lieber Krimi ist als Milieustudie. Dafür erntete Hausners in Cannes uraufgeführtes Werk zahlreiche Verrisse. Vielleicht auch, weil der Film nicht so sehr in das gängige Bild des österreichischen Kinos passt.

Oder Michael Haneke: Österreichs bekanntester Regisseur, derzeit mit der Fertigstellung seines neuen Films "Caché" beschäftigt, hat seit jeher nur von dem Milieu erzählt, das er kennt: Das Bürgertum steht fast immer im Mittelpunkt seiner Filme.

(Warn-)Beispiel Dänemark

Bei internationalen Festivals genießen österreichische Filme einen hervorragenden Ruf. Sie sind zuordenbar, können bereits vorab eingeschätzt und bewertet werden. Ähnlichkeiten zur "Dogma"-Bewegung des dänischen Kinos vor einigen Jahren kommen auf. Doch in Dänemark hat man schnell realisiert, dass ein gebrandmarktes Kino in die künstlerische Sackgasse führen kann. Dänische Filmemacher arbeiten längst nicht mehr nur mit den Mitteln des improvisierenden "Dogma"-Kinos.

Dass in Österreich kaum Platz für andere Filmgenres außer dem Sozialdrama bleibt, liegt vielleicht auch an der wenig träumerischen Seele des Österreichers. Themen über Phantasie, über Traumwelten oder gar Science Fiction-Filme fehlen hierzulande völlig. In Europas Filmnation Nummer eins, in Frankreich, können die Komödie und das phantastische Spektakel-Kino neben dem klassischen Beziehungsdrama bestehen.

In Österreich sind nur Roland Düringer und Alfred Dorfer in der Lage, dem tristen Sozialrealismus eine pointierte, mit Lachsalven gespickte Mixtur entgegenzusetzen. An der Kinokasse sind sie damit meist erfolgreich, bei den Kritikern fallen sie durch. Dabei spiegeln die Themen und Figuren dieser "Kabarettfilme" trotz ihrer Pointiertheit die österreichische Wirklichkeit besser wider als jedes Sozialdrama.

Weniger thematisch festgefahren präsentiert sich der Dokumentarfilm- und Avantgardefilmsektor: Dort entsteht nach wie vor Vielfalt. Etwa "Darwin's Nightmare" von Hubert Sauper über die Tücken der Globalisierung am Victoria-See in Tansania. Oder "Erik(A)", Kurt Mayers Film über Erik Schinegger, der 1966 als "Erika" Abfahrtsweltmeisterin wurde, ehe sein wahres Geschlecht offenbar wurde. Mit Spannung erwartet wird bei der Diagonale die Aufführung von Angelika Schusters und Tristan Sindelgrubers neuer Doku "Operation Spring", die jene Polizeiaktion thematisiert, bei der 1999 über 850 Polizisten Wohnungen stürmten und über 100 Afrikaner festnahmen.

Sabine Derflinger folgt in ihrer Doku "Schnelles Geld" jugendlichen Bettlern auf den Wiener Einkaufsstraßen. Interessant dürfte auch der als tv-Produktion angelegte Spielfilm "Mein Mörder" von Dokumentarfilmerin Elisabeth Scharang werden. Darin erzählt sie von der Konfrontation eines jungen Mannes mit jenem Arzt, der ihn in der ns-Euthanasieanstalt Am Spiegelgrund quälte.

Notwendige Film-Debatte

All diese Filme wird die Diagonale, das Festival des österreichischen Films, heuer zeigen. Sie ist einmal im Jahr das Zentrum der heimischen Filmszene. Da die politischen Streitigkeiten um Sinn und Ausrichtung der Diagonale vorerst beigelegt scheinen, kann das Festival heuer endlich wieder als Diskussionsplattform für die Filme genutzt werden. Eine Debatte über das österreichische Kino und seine thematischen Ausrichtungen wäre nämlich sehr wünschenswert.

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