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Viennale 1972
Die alljährliche Wiener Filmfestwoche, kurz „Viennale“ genannt, hat in diesem Jahr einen weiten und entscheidenden Schritt nach vorn getan: von einer mühsam in ein „progressives'1* MöttO gepreßfen linksgerichteten1 Jumgfllmetfsc'hauV mit der die Zuschauer wenig Freude, einige Amateurrevoluzzer jedoch gehobene Siegesgefühle hatten, hat sie sich nunmehr wieder zu einer durchaus sehenswerten und künstlerisch ernstzunehmenden Filmübersichtswoche entwickelt, zu der man gern und mit Überzeugung ja sagen kann.
Die alljährliche Wiener Filmfestwoche, kurz „Viennale“ genannt, hat in diesem Jahr einen weiten und entscheidenden Schritt nach vorn getan: von einer mühsam in ein „progressives'1* MöttO gepreßfen linksgerichteten1 Jumgfllmetfsc'hauV mit der die Zuschauer wenig Freude, einige Amateurrevoluzzer jedoch gehobene Siegesgefühle hatten, hat sie sich nunmehr wieder zu einer durchaus sehenswerten und künstlerisch ernstzunehmenden Filmübersichtswoche entwickelt, zu der man gern und mit Überzeugung ja sagen kann.
Die Mahnungen einiger (weniger) Kritiker, denen es nicht um gefälligen Opportunismus, sondern um den Film und die Aufgabe und Bedeutung einer Wiener Filmwoche ging, haben sichtlich Früchte getragen — und das Ergebnis ist nun ein glanzvolles Ereignis, das (nicht zufällig) an die erste, noch vom Verband der Wiener Filmjournalisten veranstaltete Viennale 1959 erinnert. Man hat amateurhafte Experimente fast ganz ausgeschaltet, pseudoengagierte
Filme nicht angenommen und sich vorwiegend auf Filme beschränkt, die uns bisher „nicht erreichten“; dazu ein Auszug aus der (lobenswert) sachlichen Einführung des Viennale-Kataloges:
„In diesem Jahr ist es aber, nach den Erlebnissen bei anderen, vor allem kleineren Festivals, wieder notwendig, eine Abgrenzung gegenüber verschiedenen Formen des sogenannten engagierten Films vorzunehmen. Die Viennale hat nicht die Absicht, ein Forum für jene Filme zu werden, die niemand sehen will, die als politische Zielgruppenfilme bezeichnet werden, die eingesetzt werden, um zusammen mit ihren angereisten Herstellern ein Filmfestival umzufunktionieren, die thematisch an Leitartikel und ausgeweitete Fernsehinterviews erinnern und formal die Filmkunst im herkömmlichen Sinne einer evolutionären Entwicklung negieren. Das will nicht heißen, daß wir gegen politische Filme sind, im Gegenteil: Das Vien-nale-Programm 1972 akzentuiert auf verschiedene, für die einzelnen Länder typische Weise das politische Geschehen von heute. Wir weichen der Konfrontation und Manipulation auf der Filmleinwand nicht aus, versuchen aber zu verhindern, daß damit das Publikum aus dem Kino vertrieben wird.“ Bravo!
So läßt sich das Programm heuer in drei Gruppen einteilen: der große künstlerische Film — wozu zum Beispiel drei in ihrer Zusammenstellung
(beziehungsweise Gegenüberstellung verschiedener Gestaltungsmöglichkeiten des verfilmten Theaters) hervorragend ausgewählte Klassiker-verfälmungen gehören, Euripides „Die Troerinnen“ (von Michael Ca-coynis), in dem gegen große Darstellerinnen (die Hepburn, Redgrave und Papas) mit grandiosen Bühnenmonologen jeder Versuch filmischer Befreiung untergehen muß, Shakespeares „König Lear“ (von Grigori Konsinzew) als an Welles gemahnende furiose Bildballade und (wieder) Euripides „Medea“ als barbarisch-mythologisches Folklore-Festival im Sinne Pier Paolo Pasolinis Existenzphilosophie und optischer Ästhetik; dazu gehören aber auch der neueste Truffaut, „Die beiden Engländerinnen und der Kontinent“, eine romantisch-literarische Dreieckstragikomödie, und Robert Bres-sons erster Farbfilm „Vier Nächte eines Träumers“ (nach Dostojewskis „Helle Nächte“). Noch immer ist, wie in dieser Gruppe demonstriert wird, die literarische Vorlage Hauptlieferant des künstlerisch-ästhetischen Films...
Die zweite Gruppe ist der politische Film — der einmal im Rahmen einer Viennale, von den Unarten amateuristischer Filmemacher (dieser eingebürgerte Begriff erinnert an den des „Schuhmachers“ — nur daß ein solcher sein Handwerk beherrschen und gelernt haben muß!) befreit, ein echtes Anliegen und damit seine Notwendigkeit beweist — vor allem vertreten durch Giuliano Mon-taldos „Sacco und Vanzetti“ und Bo Widerbergs „Joe Hill“, zwei Streifen, die thematisch einander gleichen und eine ähnliche Tendenz vertreten, gestaltungsmäßig aber verschiedene Wege gehen (eine ausführliche Würdigung soll anläßlich ihres Einsatzes in den Wiener Kinos erfolgen), jedenfalls aber zwei Meisterwerke sozialkritisch engagierten Filmschaffens im Sinne des Kinos als moralische Anstalt; hiezu gehören auch
Spaniens „Garten der Lüste“ (von Carlos Saura), eine Anklage in bunuelhaftem, makabrem Symbolismus gegen die spanische Gesellschaft von heute, und Andrzey Wajdas „Landschaft nach der Schlacht“, ein polnisches Schicksal, dem Nichtpolen wohl kaum in seiner ganzen Symbolbedeutung erschließbar, doch von höchster lyrischer Stimmung und erahnbarer Tragik.
Die dritte Gruppe schließlich umfaßt einige bestimmte Beiträge aus den Oststaaten, die man eigentlich als „Dokumente des gegenwärtigen Lebens“ (in jenen Ländern) einzuordnen hätte und die — wenn auch weit weniger von künstlerischer Bedeutung als die Filme der beiden vorher genannten Gruppen — durchaus im Rahmen einer Wiener Filmfestwoche ihren Platz und Bedeutung besitzen: Rotchinas militaristisch-zackiges Spitzenballett „Das rote Frauenbataillon“ gehört dazu, Peter Bacsös „Ausbruch“ (aus Ungarn), der ostdeutsche Beitrag „Zeit der Störche“ (von Siegfried Kühn) und auch „Der bjelorussische Bahnhof“ aus der UdSSR von Andrej Smirnow. An diesen Filmen demaskiert sich ein System, in ihnen entlarvt sich ihr sogenannter „Sozialismus“ — und um dies schaudernd zu erkennen, ist ihre Vorführung im Rahmen dieser Filmwoche notwendig und wichtig. Unverständlich ist nur, daß die Hersteller — zum Beispiel des ostdeutschen Films, der sich als ebenso erschreckendes wie in seiner Naivität erheiterndes Kompendium total spießbürgerlicher (ost-) deutscher Gartenlaubenmentalität und modernistischer „sozialistischer“ Ufa-Gestaltungsschwere entpuppt — derartige auf uns antitendenziös wirkende Propaganda als repräsentativ in das westliche Ausland versenden! Hier trennen sich Welten ...
Mit den nichteinzuordnenden Filmen wie dem braven und interessanten, weil für uns ersten Beitrag Belgiens-Hollands, „Mira“ (von Fons Rademakers), Fassbinders neuester Publikumsverhöhnung „Warnung vor einer heiligen Nutte“ (keine Parodie, sondern eine Bankrotterklärung durch Selbstdarstellung) und Agnes Vardas Hollywood-Pop-Film im Sinne Warhols „Lions Love“ rundet sich das Bild der „Viennale 1972“ ab, die seit Jahren endlich wieder einen ebenso repräsentativen wie auch künstlerisch und thematisch hochinteressanten Überblick über das Filmschaffen in West und Ost bot.
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