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Welcome to Viennale

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Die Viennale ‘87 beweist wieder einmal mehr: Der Hunger nach neuen Filmen wächst. Das „alte“ Kino vermag noch immer -auch gerade junge Menschen - zu verzaubern.

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Die Viennale ‘87 beweist wieder einmal mehr: Der Hunger nach neuen Filmen wächst. Das „alte“ Kino vermag noch immer -auch gerade junge Menschen - zu verzaubern.

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Filmfreunde wissen aus leidvoller Erfahrung, daß zahlreiche (ausländische) Streifen kavun oder mit exorbitanter Verspätung die österreichischen Kinos erreichen. Nicht selten liegt dies in der an Massenwirksamkeit orientierten Verleihpolitik.

Während etwa die Welser Filmtage das heimische Schaffen in den Vordergrund rücken, hat man bei der Viennale die Chance, internationale Produktionen kennenzulernen.

In diesem Jahr hat bekanntlich Helmut Dimko die Leitung der

Viennale übernommen und für ein außerordentlich breitgefächertes Programm gesorgt. So hat er nicht nur Festivalbeiträge aus Venedig, Berlin oder Cannes übernommen, sondern auch Unbekanntes, Exklusives und Neues präsentiert.

Trotz der angeblichen Massenkommunikation herrschen in der Filmszene nicht selten große Informationslücken, die nun geschlossen werden können. Beispielsweise die Werke des griechischen Regisseurs Theo Angelo-poulos mit seinen sozialkritischen und poetischen Filmen.

Außerdem bestand die Möglichkeit, Dokumentationen über die Dreharbeiten des .Bienenzüchters" oder Tarkowskijs „Opfer" zu sehen, wichtige Blicke hinter die Kulissen. Ein nicht imbeträchtlicher Teil der Beiträge widmet sich der Vergangenheitsbewältigung und dem Kino der Dritten Welt.

Gerade im „Jahr des Friedens" schien es angebracht, die Problematik von Aufrüstung und politischen Machenschaften intensiv aufzuzeigen. Heynowski-Scheu-manns „Generale" lieferte hier ein ebenso erschütterndes Bild wie Peter Watkins vierzehnstündiger Streifen „The Journey" (der dreiteilig im österreichischen Filmmuseum zu sehen war).

Auch die Rock- und Punkstreifen eines Lech Kowalski („Dead on Arrival") oder Alex Cox „Sid and Nancy" über die anarchistische Musikgruppe „Sex Pistols" gaben der verzweifelten Jugend sichtbaren Ausdruck. In Scharen stürmte das bunte Underground-Publikum die Urania: Kino, das sich nicht in die gefälligen Illusionen der Traumfabrik zurückzieht, sondern die unwirtliche, häßliche Realität widerspiegelt.

Dankenswert auch, daß endlich Orson Welles niemals fertiggestellter Streifen über Brasilien

(1941/42) und ein damit verbundener Spielfilm von Rogerio Sgan-zerla („It’s not all true", 1985) uns zur Kenntnis gebracht wurden.

Auch die Frauenfrage kam mit Filmen wie ,3ate it x" (eine Dokumentation über männlichen Chauvinismus) oder die Videokompilation „Sieben Frauen -Sieben Sünden" zur Sprache. Wie ja überhaupt die nachmittäglichen Informationsvorstellungen bei freiem Eintritt Zeitprobleme anrissen.

Zu Recht nennt der Experimen-talfilmer Robert Quitta seinen Streifen „Stadt ohne Juden" (nach dem Roman von Hugo Bettauer) einen Film zur Gegenwartsbewältigung, Ruth Beckermann tut dies ebenso in ihrer „papierenen Brücke": die eigene Familiendiaspora, jüdisches Schicksal. Interessant auch die kritische Beschäftigung mit Religionen und Sekten.

In Juliet Bertos, Jlavre", einem symbolistischen Drama, spielt ein fanatischer Priester ebenso eine dämonische Rolle wie in Beth B.s „Salvation!" - aggressive Kulte des Irrationalen.

Kein Zufall also, wenn drei Horrorfilme von Stuart Gordon, einem Meister seines Genres, endlich zu sehen waren — Kino als Alptraum- und Jenseitsmaschine. Nahtlos fügt sich hier auch Ken Russeis „Gothic" an, die Seelengeschichte der Schwarzen Romantiker Byron und Shelley.

Neben Filmen aus Rußland, Neuseeland und Australien lag ein weiterer Schwerpunkt in der Präsentation holländischen Filmschaffens in der Person Jos Stellings. „Der Illusionist" mag stellvertretend für jene Art Film sein, die auf humorige, vertrackte Weise Fiktion und Realität ineinander übergehen läßt und das diffizile Gewebe namens „Wirklichkeit" durchleuchtet.

Werner Nekes tut dies in „Was geschah wirklich zwischen den Bildern?" auf rein technisch-ki-nematographische Weise - Kinoarchäologie, Wahmehmungs-psychologie - Film und optische Täuschung.

Wie kommt es, daß wir dem Bildzauber erliegen? Eine Frage, die sich trotz Informationsflut bei der Viennale im Grunde nicht stellt. Hier in Wien, der Theaterhauptstadt, ist man ausgehungert nach neuem Film, der über die tägliche TV-Schonkost und den Actionschrott der Programmkinos hinausgeht.

Hier liefert man sich dem Bildzauber freiwillig, selbstbewußt und kritisch aus. Lassen sich Trends in der dargebotenen Filmlandschaft konstatieren?

Nein. Die Viennale beweist einmal mehr das pluralistische Nebeneinander verschiedener Aussageformen, sei es die Komödie (wie Mario Monicellis hinreißender Streifen „Speriamo che sia femmina"), der sensible Thriller eines Chabrol („Masques") und Oliver Assayas ,J)ėsordre" oder der poetische, große Dokumentarfilm wie Viswanadhans „Gangą", ein indisches Epos über das Wasser, für mich einer der Höhepunkte der Viennale.

Ein weiterer Meilenstein wurde mit dem spanischen Streifen J^a mitad del Cielo" von Manuel Gui-tierrez Aragan gesetzt - Filmkunst im Originalton (ein Genuß angesichts nicht selten grauenhafter Synchronisation in den Kinos).

Wenn es auf der Viennale wiederkehrende Motive zu entdecken gab, so das Auftauchen des Phänomens „Kino" als Gebäude, Veranstaltungsort, Kultraum: in Stephen Baylys Film „Coming up roses" geht es um das letzte Kino einer Stadt, in Angelopoulos .Bienenzüchter" vollzieht sich gar (symbolisch) ein Liebesakt vor der Leinwand, in Yoyi Yamadas Streifen „Die letzte Szene" wird japanische Lichtspieltheateratmosphäre lebendig.

Das „alte" Kino schwankt zwischen Resignation und Aufbruch. Bei der diesjährigen Viennale zeigt sich: die Kinosucht ist unheilbar.

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