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Auch Brüssel enttäuschte

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Brüsseler Filmfestspiele 1958 ... als gesellschaftliches Ereignis sicherlich glanzvoll, als Parade der Filmkunst aber enttäuschend.

Im Rahmen eines Festaktes wurden nach zweiwöchiger Konkurrenz am 15. Juni die Preise verteilt, die der offiziellen Jury (Vorsitz: Georges Simenon) und die anderer Institutionen. Am unanfechtbarsten erscheint uns die Entscheidung der Internationalen Katholischen Filmkommission, die den Großen Preis der OCIC dem amerikanischen Film mit Spencer Tracy „The Old Man and the Sea“ („Der alte Mann und das Meer“) zuwies. Das Drehbuch, nach Hemingway, schildert mit fast dokumentarischer Nüchternheit den Kampf eines alten Fischers gegen das Meer und gegen einen riesigen Schwertfisch;. Ergreifend, wie er sich mitten auf dem Meer, der Hoffnungslosigkeit seiner Lage bewußt, an Gott wendet und verspricht, hundert Vaterunser zu beten, „aber nicht jetzt, mein Gott, weil ich meine ganze Kraft brauche, um diesen Fisch zu fangen“.

Wenn es einen Preis für die beste nationale Auswahl gegeben hätte, wäre er wahrscheinlich an die USA gefallen ... Nicht, daß alle ihre Filme ausgezeichnet waren: „Raintree County“ („Der Lebensbaum“) war ein schwacher Dmy-tryk und „Proud Rebel“ („Der stolze Rebell“) ein sauberer Wildwester, der allerdings nicht auf ein Festival gehörte. Dafür war „The Goddess“ („Die Göttin“) ein interessanter psychologischer Streifen, die Geschichte einer Frau, die Glück und die Erfüllung ihres Lebens in Hollywood zu finden glaubte. Der letzte amerikanische Film war von und mit Orson Welles: „Touch of Evil“ („Die Rache eines Polizisten“). Ihm fiel der Preis der Internationalen Filmkritik zu. Orson Welles spielt darin eine der scheußlichsten Rollen seiner Laufbahn, einen Kriminalbeamten, der nie seine Fehler zugibt und sogar selbst bis zum Mord geht, um einen mexikanischen Kollegen zu schädigen. Der ganze Film ist gespenstisch gehalten oder, wie die Franzosen sagen, im Stile ds „Grand-Guignol“, der berühmten Pariser Gruselbühne.

Am meisten enttäuschten die Franzosen: „Montparnasse 19“ ist ein uneinheitlicher biographischer Film über Modigliani, und „Sans Familie“ („Ohne Familie“) könnte als Beweis dafür dienen, daß es Lieschen Müller auch in Frankreich gibt.

Erstaunlicherweise hat der spanische Film „Los Jueves Milagro“ („Jeden Donnerstag gibt es Wunder“) keinen einzigen Preis errungen. Dieses neue Werk von Jose Luis Berlanga („Willkommen, Mr. Marshall 1“) ist eine humorvolle, bissige Attacke gegen Leute, die mit dem Glauben der Menschen Geschäfte machen wollen, so wie in Cannes, mit einem sehr menschlichen Film, „Das Haus, wo ich wohne“. Auch dieser Streifen deutet auf eine Abkehr von den früheren Propagandaschablonen hin. Er ist kein Epos vom Sowjetmenschen, sondern die einfache Geschichte von Menschen schlechthin, mit ihren guten und bösen Eigenschaften, in Wohnungen, die keine Paläste, in Familienverhältnissen, die nicht musterhaft sind. Und gerade das macht diesen Film und seine Darsteller so sympathisch. „Der stille Don“ ist dagegen gekünstelt und nicht mehr als ein schöner, bunter Bilderbogen.

Mit „Samstag abend“ versuchte Jugoslawien auch ein neo-realistisches Werk: kleine Anekdoten aus dem Leben der Großstadt am Wochenende. Leider fehlt es' dem Film an Rhythmus, und das Ganze kommt einem wie ein unvollendetes, ungefeiltes Werk vor.

Da war der ungarische Film „Um Mitternacht“ rein technisch schon viel besser, leider rutscht das Sujet ins Politische ab: die Geschichte von einem verliebten Paar, das auseinandergeht, weil die Frau nach den Ereignissen von 1956 nach dem Westen flüchten will, wogegen der Mann seinem Lande die Treue hält. Kurz, ein Film, den man in Brüssel nicht hätte zeigen sollen.

Den Grand Prix dieser Filmfestspiele erhielt der tschechoslowakische Film „Eine teuflische Erfindung“. Hierin macht Karel Zeman auch eine leise Anspielung auf die Gewissenlosigkeit der Atombombenerzeuger, aber es ist so geschickt eingekleidet, daß man die Spitze fast suchen muß. Der Film wurde im Geiste von Jules Verne und mit Hauptpersonen aus seinen Romanen gedreht. Dieser archaische Zug wurde noch dadurch betont, daß sich die Schauspieler in Dekorationen bewegen, die wie alte Radierungen anmuten. Das Verfahren ist eine originelle Mischung von Zeichentrick- und normalem Film, und die dramatischesten Begebenheiten werden mit einem Schmunzeln serviert. Man wird aber unwillkürlich an die Anfänge selbst der Filmkunst erinnert, und zwar an die entzückenden Filmchen von dem großen Melies, dem ersten Zauberer der Leinwand. Karel Zemans „Teuflische Erfindung“ war bestimmt der sensationellste Film dieses an Offenbarungen nicht eben reichen Festivals.

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