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Graham Greene und das andere Wien

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Als der Film den Kinderschuhen entwachsen ist und sein eigenes Gesetz entdeckt hat, sind Glanz und Gloria der alten Kaiserstadt Wien schon vorbei. Erst fünfzig, ja über hundert Jahre „nach dem Fest“ („Der Kongreß tanzt!“), ausgerechnet zwischen den beiden Kriegen, die ein jeder auf seine Art die großen Lücken in die glänzenden Fassaden brechen, baut der Film, ein Zauberer und Schwindler wie nur ehemals Potemkin, an die Ufer der Donau aus anspruchlosester Dienstmädchenphantasie eine Wunschbildmetropole, wie sie weder vor 1918 gewesen ist noch zwischen 1918 und 1938 war, vielmehr, wie es doch so schön wäre, wenn sie so wäre ... Und diese Paläste aus Zuckertragant, wie sie die Phantasiemaschinen von Elstree und Joinville, Babelsberg und Rosenhügel und allen voran Hollywood zu Dutzenden, zwölfe pro Anno, auswarfen, sollten sich in den folgenden Jahren vielfach als zählebiger entpuppen eis die aus Ziegeln oder Beton; denn sie nisten noch in den Köpfen von Librettisten und Staatsmännern, als das alte Burgtheater und die neuen Breitner-Burgen längst schon im Hagel des Bombenkrieges abbröckeln. Selbst die Spitzenleistungen unseres eigenen Films der ersten Republik („Leise liehen meine Lieder“, „Maskerade“) sind von der tragischen Schuld dieser geschichtemachenden Verzerrung und Ver-spiegelung eines Gegenwartsbestandes nicht ganz freizusprechen: denn hätten wir damals im Film und auch sonst ein wenig lauter gefordert als leise gefleht, mehr im Werktagskleid als in festseliger „Maskerade“ — wer weiß, vielleicht hätte die hohe Weltpolitik ein so aufrichtig gezeigtes Wien und ein weniger jodelndes als hart rodendes Alpenhinterland doch nidit so leichthin fallen lassen wie eben das nach Backhendln, Heurigem und Makart-Buketts unzeitgemäß duftende Dreamland: Filmösterreich. So aber schlittert die Stadt und mit ihr das Land, nur mehr vom Sentiment des Weltfilms und dem Ressentiment seiner (zumeist aus Österreich emigrierten) Fabelhänse gehegt und gepflegt, sonst aber von Gott und der Welt verlassen notwendig hinein in Okkupation, Krieg und Nadikrieg, zuletzt in die fatale Doppelrolle des Befreit-Besetzten und des fairen Sparringpartners im Training der Weltmeister...

Da geschieht — vor zwei Jahren — etwas Merkwürdiges. Der englische katholische Konvertit, Filmkritiker und Romanautor Graham Greene besucht Wien, in der Tasche den Auftrag, in der ihm bis dahin aus eigener Anschauung nicht bekannten Stadt ein dichtes Filmsujet aufzuspüren. Und dieser Mann, dessen Blick auf den Grund, in das Herz aller Dinge durdi ähnliche Missionen, auf ähnlichen Welttrips schon geschult ist, entdeckt, was einer respektablen Reihe heimischer Horribiliskribifaxe selbst im politischen Fegefeuer nach 1945 entgangen war: das Janusgesicht der Stadt, die tragische Spannung zwischen dem nachdrücklich weiterwirkenden Alten und dem kolossalen Ansprang des Neuen, die schwindelnde Vertikale von fünfzig Meter über der Stadt bis fünfzehn Meter unter die Erde, das monu-mentalisierende Spiel des Riesenrades neben dem tödlichen Ernst der zerbombten Prater-fetzen und -gestänge, die strenge Schönheit des Josephsplatzes als Rahmen einer modernsten Gangstersensation, den alten völkergesättigten Boden der Stadt als verhängnisvolle Verkehrskreuzung neuester weltpolitischer Kräftespiele, Interessen und Intrigen: eine Stadt, in der mehr Jeeps als Taxis herumsausen und in der selbst das altvertraute Quartsignal plötzlich nicht mehr bloß zivile Feuerlein kündet... Nur gut, daß dieser Filmstoff — „Der dritte Mann“ — nicht aus unseren eigenen Reihen, sondern aus dem Ausland der Sieger kommt. Man hätte uns im anderen Fall weder die fatale Makabrität der Zeit und der Umstände noch die Moral der Geschichte geglaubt, sondern sie uns sehr übel genommen und den Verfasser, je nach Wohnsitz, in ein westliches Irrenhaus oder ein östliches Bergwerk gesteckt. Quod licet Jovi: so aber wird diese Geschichte geglaubt und verteufelt ernst genommen. Vor aller Welt wird ein Götzenbild des Films — eines seiner tausendeinen — zerschlagen. Und an seine Stelle tritt eine nüchterne, furchtbare Wirklichkeit und Wahrheit, heilsam aber#md fruchtbar. Denn es gibt Ruinen, die erst gesprengt werden müssen, ehe ein neues Haus daraus wachsen kann. Eine solche Ruine war das feuchtfröhliche Film-Wien der letzten dreißig Jahre, und Graham Greenes Film „Der dritte Mann“ ist der Sprengstoff, der sie in die Luft jagt. Für immer. Denn wenn es nach diesem „dritten Mann“ ein „vierter“ noch einmal wagen sollte, in Film oder Operette ein „Dreimäderlhaus“ oder einen „Frühling im Prater zu sündigen, so wird ihn der Geist Graham Greenes — im Namen der Stadt Wien und der Dichter der ganzen Welt — nächtlings auf gräßliche Weise aipdrücken.

Dieser Film löst noch ein zweites Problem, nicht ganz so restlos und überzeugend wie die oben geschilderte Entzauberung des „Puppenheims“: die Synthese des Kriminell-Spannen-den-Filmischen mit dem Weltanschaulich-Dichterisch-Ethischen. Mindestens die Möglichkeit dazu ist mit diesem Film (deutlicher noch als in den drei früheren Graham-Greene-Filmen) aufgezeigt. Hier tritt zur Story des Dichters die ebenbürtige Regieleistung C a r o 1 R e e d s und zweier Hilfsgeister, der tiefblickenden , in beiden Sinnen des Wortes „dichtenden“ Kamera und der außergewöhnlichen, mit einem monotonen Leitmotiv unheimlich scharf Zeit und Umstände nachmalenden Zithermusik eines — blutige Ironie! — hochbegabten Wiener Heurigenspielers. Man hätte dieses Drehbuch nämlich auch bloß kitzelnd und prickelnd inszenieren können. Ein amerikanischer Schriftsteller sucht nach Jahren der Trennung seinen Schulfreund in Wien und findet ihn wieder: zuerst als „Begrabenen“, dann als quicklebendigen Pene-cyllinschieber und zynischen Nachkriegsphilosophen, schließlich als Gehetzten, dem er selber nolens volens den Gnadenschuß zu geben hat; an dieser („vorletzten“) Stelle des Films gerät übrigens das sonst so saubere, kluge dramatische und ethische Gerüst des Films irgendwie ins Wanken, das Filmisch-Reißerische gewinnt sekundenlang bedenklich die Oberhand, um aber doch wieder in der letzten Szene, dem unerhört feingriffig abschattierten „Unhappyend“ der Liebeshandlung, wieder zum besseren, zum dichterischen Ich zurückzufinden. Es ist aber kein bloßer Reißer aus dem Vorwurf geworden, und das ist wieder das Verdienst des gedanklich anspruchsvollen, häufig nur “andeutenden Inszenierungsstils, eines Stils, dem einmal die Zukunft gehören kann, wenn bis dahin der Geringste im Publikum wenigstens einen Bruchteil jenes Fleißes des Geistes und jenes Schwunges der Phantasie haben wird, wie sie die Schöpfer dieses Films haben.

So tritt uns in dem zum Teil in Wien gedrehten, die Darsteller von fünf Nationen mühelos verschmelzenden englischen Film „Der dritte Mann“ ein sprödes, eigenwilliges, zwar nicht ganz schlackenreines, durch seinen sittlichen und künstlerischen Emst immer aber aufregendes, aufstörendes Werk entgegen. Die Diskussion um Einzelheiten, die es seit Jahr und Tag in aller Welt begleiten, ist fruchtbar. Bleibend an ihm ist eine künstlerische Neuformung des althergebrachten Film-begriffs des „Sensationellen“, revolutionierend ist die Zerschlagung eines Filmidols, des falschen Film-Wien in dem falschen Wien-Film, dessen trügerisches Flimmern bisher den echten Mattglanz einer langsam gesundenden Gegenwart und immer noch möglichen Zukunft überdeckt hat. Graham Greenes Wien von 1946 ist vielleicht nicht allgemeingültig und bestimmt nicht endgültig. Aber in seiner harten, sachlich-trocken aufgezeigten Tragik ist ebenso wie in Greenes unheldischem mexikanischen „Schnapspriester“ noch Gnade; und der Abglanz („die Kraft und die Herrlichkeit“) einer Sendung.

Im Schatten des großen Ereignisses behaupten sich noch ehrenvoll ein herber ostdeutscher Nachkriegsfilm, „Unser täglich Brot“, und „Dschungelkavalkade“, der letztere mehr Sensations- als Kulturfilm, aber voll amüsanter Spannung. Noch angängig der Musik- und Revuefilm „D i e Königin vom Broadway“. Auf der untersten Stufe landeten „Der Mann mit der Narbe“ und ein besonders schlechter und gemeiner Film des Emigranten Fritz Lang: „Der Narr und die Dirne“; seine Datierung ist schwierig: vielleicht ist es Längs erster — vielleicht sein ... letzter Film?

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