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BAROCCOSCOPE

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ÖSTERREICH SCHICKT SICH AN, zu dem großen Aufbruch des religiösen Films nach dem zweiten Weltkrieg einen neuen Begriff zu steuern. Es hält dem breitflächigen und stark- tonigen „Cinemascope“ der Amerikaner, der waghalsigen „dritten Dimension“ des Religiösen der Franzosen und dem Seelchen- und Heimat- „Agfacolor“ der Deutschen sein kluges, gewachsenes und gemütliches „Baroccoscope“ entgegen.

IN ANDRE MALRAUX’„SCENES CHOISIES" steht der Satz: „Die Gebärdensprache des Barocks beschwor keine Veränderung des Bildes hervor, sondern eine ununterbrochene Folge, verschiedener Bilder: Es ist keineswegs erstaunlich, daß diese Kunst, die ganz Gebärde und Affekt ist und dem Theater zutiefst verhaftet, beim Film endet..."

Diese Erkenntnis erhellt nicht nur ein schwieriges Kapitel der Filmgeschichte, besonders des religiösen Films (die Transzendenz des Stoffes und die Immanenz der Mittel, die Bindung der Erde an den Himmel, besser: des Himmels an die Erde!), sondern klärt schlagartig auch die bestimmte Situation des österreichischen Films. In jenen Ländern, in die der österreichische Film mit seinen begrenzten wirtschaftlichen Möglichkeiten eindringen kann, wird immer wieder die verwunderte Frage laut, wieso sich denn das katholische Land par excellence so ängstlich fernhalte vom Wagnis einer unerschrockenen existentiellen Religiosität; wieso es seinen ganzen Reichtum an schöpferischen Formen und Persönlichkeiten, die es mit einer bedenkenlosen, geradezu selbstmörderischen Großzügigkeit am Fließband in alle Welt exportiert, im eigenen Bei eich nur an eine stark merkantil bestimmte forcierte Gewichtlosigkeit und Heiterkeit verschwende. Die Frage berührt nicht nur eine tiefe politische, und wirtschaftliche Tragodie des (vom deutschsprachigen Absatzebiet weitgehend abhangigen) Landei, sie rührt auch an tiefste Wesenheiten der österreichischen Volksseele. Doch ist die Frage in dieser Form nicht richtig, zu einfach gestellt.

Ein „Monsieur Vincent“ oder Abbé Pierre („Les Chiffoniers d’Emmaus“) freilich ist im österreichischen Film undenkbar. Oesterreichs Volks- und Hofprediger Diplomaten und Kanzler im Priesterkleid erbaten und erbettelten nicht, sondern erstritten und förderten, bisweilen erlisteten (von Abraham a Sancta Clara über Capistranus, Clemens M. Hofbauer und Zacharias Werner bis zu P. Abel und Dr. Seipel) die Rechte der Armen, der Gläubigen und der Kirche: von Hof und Parlament, von Staat und Gesellschaft (so ergäbe Vielleicht heute das Thema „Konkordat" einen eigenen österreichischen „Tön“ für den Film auf breitester Wand, versteht sich, und mit täuschend natürlichen Geräuschen von rechts und von links . .). Auch die tiefsinnigen nächtlichen Meditationen des deutschen Films „Nachtwache" liegen uns nicht. Vollends undenkbar wäre, natürlich die riskante Ausdruckskunst des französischen Films „Der Abtrünnige“; sie hat schon aus der fremden Problemstellung heraus hierorts reichlich angeeckt und müßte, österreichisch gewendet, an allen Ecken und Enden anstoßen, ja richtig verletzen.

ALSO WÄRE DIE ÖSTERREICHISCHE FRÖMMIGKEIT mehr eine vitale, instinkthafte Lebensäußerung als eine Entscheidung und Bescheidung in der Gnade, also wäre sie eine Religiosität der bloßen Gebärde und des Affektes, der Formen und der Fassade, der Macht und des guten Tons?

Nein.

Gewiß: Organischer, natürlicher als selbst im romanischen Film mutet bei uns das religiöse Emblem, die Zeremonie, das Brauchtum an: das Wegkreuz in der Landschaft, der Herrgottswinkel im Bauernhaus, der Dom in der Stadt, Krippe. Fronleichnam und Kirchweih. (Der österreichische Kulturfilm hat davon reichlich Gebrauch gemacht.) Es ist das alles eben noch da, geworden und gewachsen, in der Landschaft und auf dem Asphalt, im Heim und in der Gemeinschaft. Es ist nicht immer bloß Fassade. Mögen in unserem ländlichen Spielfilm (dessen gesunde Kernigkeit sich wesentlich von der pfiffigen Zuckrigkeit des deutschen Heimatfilms unterscheidet) so wie in der Wirklichkeit des österreichischen Alpenlandes auch krause Verschneidungen von Glauben und Aberglauben, Christentum und Heidentum sichtbar werden, so spiegeln sie doch nichts anderes als den Kampf und Sieg der Mission, ein zähes Festhalten an Sitte und Herkommen, Sie sind also nicht „gespielt".

UNLEUGBAR IST DIE ÖSTERREICHISCHE ART neben dieser konservativen bäuerlichen Tradition auch einer gewissen Sinnenfreudigkeit verhaftet — es ist die andere, urbane, wienerische Seite des Oesterreichertums, eine Frucht vieler Blutmischungen und Völkerbegegnungen auf geschichtlichem Boden. Merkwürdig: Die höfisch-bürgerliche Welt der katholischen Habsburger und des ungekrönten Königs Johann Strauß hat vielleicht zur Bewahrung des Religiösen nicht weniger beigetragen als die biderbe Frommheit des Bauern. Sie ist das eigentlich Barocke im österreichischen Wesen, jene Kettung des Himmels an die Erde, jene Ekstase — ganz Gebärde, ganz Affekt! —, die in Wien Adels- und Patrizierpaläste von sakraler Schönheit und Feierlichkeit und dann wiederum Kirchen in den schwelgenden Formen jauchzender ziviler Lebensfreude wachsen ließ. Diese Annäherung des Alltags an den Tag des Herrn, der Kirche an das Bürgerhaus, des Wiener Fronleichnamsfestes an das Spectaculum einer militärisch-höfischen Parade ist nicht forciert und importiert, sondern landesüblich und ganz selbst verständlich. Es findet darum auch niemand anstößig, wenn der irdischeste österreichische Problem- und Unterhaltungsfilm sein Titelvokabular aus der unirdischesten Sphäre borgt: „Gottes Engel sind überall“, „Singende Engel", „Der Engel mit der Posaune“. „Himmlischer Walzer", „Eva erbt das Paradies“ (was für himmlischer Unterschied zur diabolischen Satire Käutners: „Der Apfel ist ab“!).

Es ist wichtig, zu betonen, daß diese Durch- dringung. des Alltags, in jahrhundertelanger geschichtlicher , und soziologischer Entwicklung mit christlichen Elementen nicht formal, sondern substantiell, strukturell ist. Wie kaum in einem anderen nationalen Film ist im österreichischen nicht nur die „von Natur aus“, sondern bewußt und empfunden christliche Seele sichtbar und wirksam: in Stoff und Rhythmus von „Das Jahr des Herrn", „Der Seelenbräu"; irgendwie noch in der bitterscharfen Satire (nach Wildgans) vom entchristlichten Dorf, „Cordula“; am reinsten aber in den Filmen mit dem hohen Adel der Schauspielkunst Paula Wes selys („Vagabunden" u. a.), deren Fabeln mit einer im Film der ganzen Welt von heute schon ungewohnten Sauberkeit die Unantastbarkeit des Ehebandes hochhalten und damit der verspielten Liebes- und Ehepolygonie des Weltfilms unbeirrt die absolut nicht spannungslose, aber fruchtbare Polarität der seelisch-körperlichen Beziehungen von Mann und Frau entgegensetzen.

ES ERWEIST SICH NUN ALLERDINGS, daß die oben aufgezeigten, der christlich-religiösen Färbung und Filtrierung des österreichischen Spielfielms förderlichen beiden Spielarten des österreichischen Wesens, die bäuerliche Zähflüssigkeit und die höfisch-bürgerliche Leichtlebigkeit. einem unerschrocken bis zu den Letzten Dingen vorstoßenden religiösen Film im engeren Sinn nicht förderlich, ja in hohem Grade hinderlich sind.

Dem Ziel nahe, aber nicht zufällig auch hier wieder gesellschaftlich verstrickt und verwässert, war „Das Siegel Gottes“. Der dramaturgische Sonderfall der „Matthäuspassion“ gab keinen Fingerzeig für die Problematik des religiösen Films. Sie warf in voller Wucht „Das Tor zum Frieden“ auf. Hinter der heftigen Diskussion um seinen künstlerischen Rang im In- und Ausland steckt noch mehr. Nicht zufällig hat das Ausland gerade diesem Film unzeitgemäße, barocke Form- und Fassadenfrömmigkeit vorgeworfen; richtig erkennend, daß Gebärde und Affekt vorherrschten, aber ganz und gar nicht ahnend, wie sehr beide im Lande zur Sprache der Seele, zum Frömmigkeitsstil gehören.

DAS WAR 1951. Seither ist die himmlische Harfe des österreichischen Films verstummt. In die Lücke sprang der im In- und Ausland wachsend geschätzte Kulturfilm der katholischen Wiener Stephanusproduktion, der besonders in dem Kurzfilm von der Kapuzinergruft, „Einer ist mächtiger“, eine überzeugende Synthese von — barockem — Frommsein und Oesterreichersein gelungen ist. Der Atem aber zu einem echten großen religiöserr Film5 hat anscheinend nicht gereicht.

Woran das liegen mag?

Wer unter dem Panzer von Industrie, Technik und Kommerz nicht den ewigen Strom schöpferischer Kräfte sieht und hört, mag rasch mit plausiblen Erklärungen zur Stelle sein. Das protestantische Deutschland, unser Hauptabnehmer. etwa sei für katholische Religiosität österreichischer Art so gut wie unempfänglich. Oder: In konsolidierter Wirtschaftslage, da man wieder fett esse und nachts gut schlafe, gedeihe nun einmal die Frage nach den Letzten Dingen nicht. Schließlich habe Oesterreich derzeit in E. Ma- rischka, Antel und neuerdings wieder Willi Forst in glücklicher Konstellation der Gestirne ein Terzett jener „ungeheuren Heiterkeit“, die nach einem berühmten Operettenwort des österreichischen Lebens „Regel“ sei: dieses müßte realisiert und exportiert und nicht eine Auseinandersetzung auf Tod und Leben, mit Gott und Teufel vom Zaune gebrochen werden.

DAS WÄRE NUN FREILICH, wenn die These vom „Baroccoscope“ stimmt, eine schreckliche Vereinfachung und Verkennung des Barocks, der die Holle neben dem Himmel kannte, hinter graziösen Putten die Dämonen sah und durch Harfenklänge hindurch immer auch die Posaunen des Gerichtes hörte.

Dazu wäre — so meinen viele — der österreichische Film auch heute noch fähig. Er dürfte dann nur nicht — in Nachahmung fremder großer Vorbilder — in der Grenzmark von Religiösem und Kriminellem (wie der amerikanische Film) oder auf des Messers Schneide zwischen Liebe und „Liebe“ (wie der französische Film) oder auf dem schwindelnden Grat von Politik und Frömmigkeit (ein Hang der Deutschen!) Spazierengehen, sondern müßte — in inbrünstigem Affekt und geruhigter Gebärde — durch Himmel und Höllen gehen wie nur eh und je Oesterreichs Musiker von Mozart bis Bruckner und seine Dichter von Grillparzer bis Hofmannsthal.

Ob das ein Clemens-Maria-Hofbauer-Film sein könnte (von dem ein österreichisches Manuskript in österreichischen Schubladen trauert und versauert)? Oder ein filmischer „Jedermann“ (wie ihn vor Jahren ein seither bitter Enttäuschter in kleinem Kreise vor einem führenden österreichischen Regisseur vorgelesen hat)? Oder ein anderer?

Gleichgültig. Ein ureigener österreichischer religiöser Film ist möglich Er ist notwendig. Er muß und wird einmal kommen.

„Baroccoscope“ ist sogar exportfähig.

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