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Festival von Erstlingen

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DIE INTERESSANTESTEN FILME des Jahres 1959 verspricht eine Festwoche des Verbandes österreichischer Filmjournalisten, die vom 5. bis 12. Februar im Wiener Künstlerhauskino abläuft. Nicht die besten, die interessantesten Filme versprechen die Veranstalter, und die Auswahl stellt tatsächlich nicht nur Filme, sondern auch ihre Schöpfer, ihre Regisseure zur Diskussion.

Der reifste von ihnen ist der 50jährige Akiro Kurosawa, von dem wir bisher in Österreich im Kinoprogramm „Rashomon“, in einer Sondervorführung der Filmjournalisten „Die sieben Samurai“ und bei der III. Filmwissenschaftlichen Woche den Macbeth-Film „Der Thron des Blutes“ gesehen haben. Er führt mit seinem Film „Kakushitoride no sanakunin“ („D ie verborgene Festung“) in das Mittelalter Japans. Ein Heldenepos, faszinierend, der Analyse trotzend. Wie der listenreiche Odysseus führt ein General in den Wirren der Bürgerkriege seine Prinzessin und den Goldschatz der Dynastie mit zwei Kriegern, die sich dieses Schatzes bemächtigen wollen, mitten durch die Feinde. Mit diesem heroischen Heldenlied mischt sich ein bis 2ur Groteske gesteigertes Rüpelspiel, und der Regisseur erzählt diese aus der Tradition des alten japanischen Theaters hergeholte Haupt- und Staatsaktioij mit allen Mitteln des bewegten Abenteurerfilms, mit der Spannung eines brillant inszenierten Wildwesters, ein fremdartiges, aber mitreißendes Virtuosenstück, das keinen Augenblick die Spannung des Zuschauers entläßt und das doch wie aus einer fremden Welt — gemahnend an Mythen der nordischen Heldensage aus vorgeschichtlicher Zeit — in die Technik der Filmleinwand geholt erscheint.

EIN ERSTLINGSREGISSEUR ist auch Jorgen Roos, dänischer Dokumentarfilmregisseur, einst Kameramann Carl Dreyers, der seinen ersten Spielfilm „Rivalen in sechs Nächten“ („6 Dageslöbet“) vorstellt. Wie ein Dokumentarfilm schildert dieser Spielfilm das Sechstagerennen, gesehen auf der Rennbahn, im Publikum und in den Kojen der Rennfahrer. In die zermürbende Monotonie des ewigen Kreisens um die Rivalität zwischen alt und jung, aufsteigendem und absteigendem Champion, gefügt, verschärft durch den Kampf um die Gattin, die sich dem Jungen zuwenden will. Das Drama ist gesehen aus den Augen eines kleinen Buben, des Sohnes der Frau und des einen Rennfahrers, der in dieser hektischen Atmosphäre des Rennbetriebes dabei sein muß und das Drama auf seine Weise miterlebt. Wir spüren Anklänge an de Sica und Zavattini in diesem Film, aber auch das erregende Drama der alltäglichen Schicksale, die im Ablauf des Films dem Zuschauer so nahe kommen wie die Gesichter des Publikums des Sechstagerennens in der enthüllenden Optik der Kamera.

EINES REGISSEURS - er hat bisher erst einen Dokumentarfilm gemacht — ist auch Jack Claytons Film „Room at the t o p“ („Der Weg nach oben“), für den er den Preis des britischen Filminstituts für den jahresbesten englischen Film erhalten hat. Er entstand nach dem Erstlingsroman eines jungen Dichters, John Braine, der in der deutschen Übersetzung „ ... und nähme doch Schaden an seiner Seele“ betitelt ist. Das Thema ist unerquicklich: ein Egoist, der um jeden Preis hochkommen und in die Familie des reichsten Mannes der Stadt einheiraten will Der darum auch die alternde Frau, die aus ihrer gescheiterten Ehe heraus will und mit der ihn eine große Leidenschaft verbindet, sofort preisgibt, als die Tochter des reichen Mannes ein Kind von ihm erwartet und ihm so sein Ziel winkt. Als man ihm zur Verlobung mit der Tochter des Millionärs gratuliert, muß er erfahren, daß er den Tod der anderen Frau verschuldet hat. Das wäre nichts, im Grunde ein peinlicher Film, wäre es nicht mit subtiler Psychologie beobachtet, wäre es nicht, vor allem von Simone Signoret>als die vernachlässigte französische Ehefrau, die in dem jungen Menschen eine späte Liebe zu finden glaubt, hervorragend gespielt, so daß eine beklemmende und zuweilen elegante Akribie den schlechten Geschmack auf der Zunge mildert.

VON UND MIT PIETRO GERMI präsentiert Italien (statt des ausgesprungenen amerikanischen „Das wilde Auge“) „Und draußen lauert die Sünd e“, der im Ursprungsland „L'ugomo di paglia“ („Der Strohwitwer“ heißt und in Deutschland das Prädikat „Besonders wertvoll“ erhalten hat.

Francois Truffaut geht einen ähnlichen Weg in seinem ersten abendfüllenden Film „L e s quatre Cents coups“ („Flegeljahre“), der einen 13jährigen Buben im Kampf mit seiner Umwelt zeigt, ein Film, der einen Preis des Internationalen katholischen Filmbureaus erhalten hat.

Der Schauspieler Sergej Bondartschuk ist Hauptdarsteller und (zum erstenmal) Regisseur in dem russischen Beitrag, dem Film „E i n Menschenschicksal“, der den Preis der Filmfestspiele in Moskau erhalten hat.

Marcel Camus führte seine zweite Regie in dem brasilianisch-französischen Gemeinschaftsfilm „Orfeu Negro“ („S chwarzer O r p h e u s“), der im Karneval in Rio spielt und die Geschichte der Liebe des Straßenbahnfahrers Orfeo und des Bauernmädchens Euridike in faszinierender Farbenfülle und Bewegung erzählt.

Den Abschluß der Woche wird ein Film von Mario Monicelli „I s o 1 i t i i g n o t i“ („Diebe haben's schwer“) bilden, der als beste Komödie mit dem italienischen Filmpreis ausgezeichnet wurde. Monicelli hat den erfolgreichen Film „Väter und Söhne“ inszeniert.

AUCH UNTER DEN ANGEKÜNDIGTEN Kurzfilmen gibt es Kostbarkeiten, wie den großartigen holländischen Film „Lobet das Meer“, eine Symphonie aus Licht und Originalgeräuschen von Wind und Wellen, den humorvollen, reizenden tschechischen Trickfilm in Farben „Der Knoten im Taschentuch“, den netten kanadischen Film „Der Tischler und die Buben“ und als Weltpremiere das „Wiener Ringelspiel“; ein Ballettfarbfilm, der unter der Regie des fähigen Karl Stanzl ein Ballett unserer Oper dem Film erobert.

Einige dieser Tilme kommen ins Kinoprogramm der nächsten Wochen und Monate, andere werden in dieser Woche sozusagen ihr Versuchsgastspiel absolvieren, das einem Verleiher sagen soll, ob er es mit diesem Film wagen darf. Diese Premierenfolge ist ein dankenswerter Versuch der Wiener Filmjournalisten, der es dem Publikum zur Entscheidung überläßt} wie viele von den als die interessantesten Filme des Jahres 1959 vorgestellten auch zu den besten gehören und ob das Filmschaffen der Welt wirklich so steril ist, wie man es nach dem Durchschnittsangebot mancher Filmmonate einzuschätzen versucht ist.

Sie zeigen da“, sagte jemand vorwurfsvoll zu einem deutschen Theaterbesitzer, „im Aushangkasten ein Bild, das ich in dem Film nicht gesehen habe. Wie kommt das?“

Der bedauert: „Diese Szene ist in dem Film überhaupt nicht enthalten.“ Und belehrt dann den unzufriedenen Besucher über das Wesen der sogenannten „Standphotos“ — daß diese nämlich zwischen den eigentlichen Filmaufnahmen von einem für die Drehzeit verpflichteten Photographen hergestellt werden, also keineswegs dem Filmband entnommen sind, daß sie aus dem oder jenem — meist technischen — Grund nicht mit dem Leinwandgeschehen übereinstimmen, ja, daß sie Szenen oder Szenenteile wiedergeben, auf die aus dem oder jenem Grund in der Theaterkopie verzichtet wurde.

Das stimmt alles — nur trifft es nicht in jedem Fall zu: es gibt in Deutschland auch Kinobesitzer, die selbst mit der Schere operieren, das heißt, Teile aus dem Film nehmen, eine Privatzensur also, unstatthaft schon deshalb, weil es ja in Deutschland eine freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft gibt, die alles, was ihren Statuten widerspricht, bereits entfernen ließ.

Hier geht es jedoch nicht um juristische Fragen. Mehr interessiert die ästhetisch-dramaturgische Seite, die künstlerische Beeinträchtigung einer Sache, die auch noch unter anderen Eingriffen leidet. Da ist beispielsweise die falsche Projektion: Filme im Normalformat werden rücksichtslos auf „überbreit“ gequält (die unter erheblichem Kostenaufwand installierten neuen Optiken müssen sich ja lohnen), wodurch die Bilder, eben weil es mit den Abmessungen nicht stimmt, oben und unten beschnitten, mithin nicht selten die Darsteller „geköpft“ oder „beinamputiert“ erscheinen. Dann ist da der holprige Rollenwechsel: die zweite Maschine projiziert zu früh auf die Leinwand, wo die Bilder der ersten noch auslaufen, was oft zu unfreiwilligen Überblendungen, schlimmer noch, zum Ausfall ganzer Sequenzen führt. Und da ist auch die leidige Tonsteuerung, die freilich weniger (nur beim totalen Versagen der Akustik) den Vorführer, als vielmehr die damit betraute Platzanweiserin betrifft: einmal ist es zu leise, einmal zu laut, meist zu laut — als ob nur Schwerhörige anwesend seien ...

Alle diese — wohlverstanden vermeidbaren — Vorkommnisse und Erscheinungen schaden dem Film. Dieser wurde dramaturgisch, also in der Stoff auf bereitung, Handlungsführung usw., ferner optisch, dem Bildaufbau nach, akustisch, was das ganze Tongefüge angeht, und in anderer Hinsicht nach gewissen Gesetzen komponiert und montiert. Vielfach, gerade bei künstlerisch erheblichen Werken, kommt es da auf das kleinste Detail an. Mithin darf bei der Darbietung nichts fehlen — kein Bild, noch nicht einmal etwas am Bild, nicht der geringste Laut. Umgekehrt darf auch nichts ausgeweitet, vergrößert, vergröbert werden. Es gibt da eine innere Spannung, einen Rhythmus, der, soll der Film befriedigen, unbedingt erhalten bleiben muß. Alles ist hier eine Einheit, und sie zu stören, heißt nicht selten, das Ganze zerstören.

Beim Film führt nur einer Regie, derjenige nämlich, der ihn als verantwortlicher Spielleiter vom ersten bis zum letzten Meter betreut und der auch im Titelvorspann genannt wird. Sonst gibt es keine Regie — vor allem nicht jene geheime, die zuweilen von Kinobesitzern, Vorführern, Platzanweiserinnen usw. praktiziert wird. Vielleicht macht jener einleitend genannte Filmbesucher, mm besser informiert, bei Gelegenheit auf diesen nicht überall in der Branche bekannten Umstand aufmerksam. Und vielleicht schließen sich recht viele „Konsumenten“ von belichtetem Zelluloid dieser Forderung an: Zeigt doch die , Filme, wie sie sind I-

Geschähe das, so bekäme es allen — sogar den Theaterleitern. Sie wissen es nur nicht..4

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