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AGGRESSION DER JUNGEN

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Noch nie war in dem zu künstlerischen und ideologischen Auseinandersetzungen jeglicher Art neigenden Berlin die Jugend, der filmische Nachwuchs so tonangebend wie in diesem Jahr. Gegenüber seinen von der umgebenden Natur und Landschaft wesentlich günstiger bedachten Konkurrenten Cannes, Venedig oder San Sebastian, gar nicht zu reden von Mar del Plata und Acapulco, hat sich das alljährliche internationale Filmtreffen am Strande der dunkel dahin-dämimernden Spree mit seinen überaus reichlich gebotenen Möglichkeiten einer fachlichen Aussprache zwischen Produzenten, Verleihern, Regisseuren und Autoren zu einem Kri-stallisationspunkt entwickelt, wo die internationale Filmsituation in ihren realisierten Auswirkungen und zukünftigen Tendenzen demonstriert und zugleich geistig-theoretisch durchleuchtet und diskutiert wird. Heuer nahm der von der Parteien Gunst und Neid umwogte Festivaldirektor Dr. Alfred Bauer noch zusätzlich mit erfreulichem Mut das Risiko auf sich, unter bewußtem Verzicht auf große, berühmte Namen, vor allem den jungen Filmgestaltern, ja sogar den Außenseitern unter ihnen, eine Chance vor einem ziemlich weltweiten Forum zu geben.

Das mag an der in Deutschland veränderten Filmsituation liegen, wo augenblicklich die Generarbion zwischen Fünfundzwanzig und Vierzig das künstlerische Gespräch, das sich um Namen und Persönlichkeiten, wie die Gebrüder Schamoni, Volker Schloendorff, Alexander Kluge, Johannes Schaaf und Rob >Houwer rankt, beherrscht. Sie und ihre gleichaltrigen ausländischen Gesinnungsgenossen bemühen sich in manchen gelungenen, aber auch vielen nichtgelungenen Zelluloidschöpfungen um die Konfrontation mit der Wirklichkeit, um die Bewältigung der Vergangenheit — letztere ist besonders in der sogenannten „neuen deutschen Filmproduktion“ eine entscheidende Triebfeder —, kurzum, man schafft zumeist schockierende Zustandsberichte auf die Leinwand. Wobei die Herkunft ihrer Gestalter vom Dokumentär- und Kurzfilm immer wieder unverkennbar ist. Die von ihnen attackierten Charaktere und angeprangerten Reaktionen werden daher oft nur kurz angerissen, aneinandergereiht und entbehren häufig einer dramaturgischen Durchführung. Der Spielfilmerstling „Tätowierung“ des Schauspieler-Regisseurs Johannes Schaaf mit den beachtlichen darstellerischen Leistungen der 19jährigen Helga Anders und des noch um drei Jahre jüngeren Schülers Christof Wackernagel war davon ebensowenig frei wie das gekonnt inszenierte, aber in bequemen Klischeebegriffen steckengebliebene Filmporträt des deutschen Spießers seines schon arrivierten Regiekollegen Ulrich Schamoni in dessen mit Bundesfilmpreis dekorierten Beitrag „Alle Jahre wieder“.

Es wunderte einen auch nicht übermäßig, daß einige dieser Talentproben mit beinahe penetranter Aufdringlichkeit versuchten, ichbezogene Problemchen zu einer Allgemeingültigkeit aufzuplustern„ wie das am deutlichsten bei dem holländischen Film „Illusion — ein Gangstermädchen“ von Franz Weisz, bei dem dänischen Film „Geschichte um Barbara“ von Palle Kjaerrulff-Schmidt und dem norwegischen Beitrag „Das Mädchen Iiv“, in dem Paul Lökkeberg den Seelenblähungen eines Photomodells nachspürte, in Erscheinung trat. Überhaupt trugen viele dieser Jungfllmer nicht nur in ihren Werken, sondern auch manchmal im persönlichen Gespräch jene Mentalität aggressiver Intoleranz zur Schau, die gleichsam das Datum ihrer Geburt mit der Stunde 0 dieser Welt geichzusetzen scheint Erfahrungen und Leistungen aus früheren Jahrzehnten existieren für sie kaum oder werden mit achtloser Gebärde als veraltet und unbrauchbar abgetan. Bei Betrachten ihrer Filme samt den darin behandelten Themen, die vielfach in der Glorifizierung schrankenlosen Auslebens, durch Alkohol und Drogen genährt, gipfeln, verstärkt sich der Eindruck, daß sich hier der uralte Generationenkonflikt in einer Weise zuspitzt, die gefährliche Keime von Haß und Grausamkeit in sich trägt. Darum halten wir auch Filme wie den von dem Schweden Jan Haldoff gezeigten Beitrag „Los, laß uns doch mal verrückt spielen!“, in dem eine Gammlerclique nach diversen anderen Exzessen aus purem Schabernack einen friedfertigen Menschen, nur weil er mit diesen Außenseitern nichts zu tun haben will, in sadistischer Freude zu Tode hetzt, für äußerst problematisch, selbst wenn er als warnende Mahnung gemeint sein sollte. Denn der Weg von der hier schwarz auf weiß dokumentierten verrohten Gesinnung bis zu der aus niedrigsten Instinkten genährten Mordlust und Unmenschlichkeit im Gefolge eines Massenterrors ist nur sehr kurz.

Daß sich aber Gegenwarts- und Menschheitsprobleme auch in Hirnen und Gefühlswelten junger Filmgestalter wesentlich humaner widerspiegeln können, bewies neben dem großartigen französischen Film „Der alte Mann und das Kind“ aus den Händen des 33jährigen Regisseurs Claude Berri mit dem einmaligen Charakterdarsteller Michel Simon und dem begabten kleinen Jungen Alain Cohan in den Hauptrollen noch der zweite schwedische Füm „Hier hast du dein Leben“

— eine Art „Cavalcade“ der schwedischen Arbeiterbewegung

— des Filmautodidakten Jan Troell sowie der nicht zu Unrecht mit dem Goldenen Bären ausgezeichnete belgische Beitrag „Der Start“ des aus Polen kommenden Nachwuchsregis-seurs Jerzy Skolimowski über den Motor- und Rennfimmel eines Halbwüchsigen. Die Jugoslawen steuerten mit dem im Partisanenimdlieu spielenden Film „Der Traum“ von Purisa Djordjevic sowie dem voll fatal-makabrer Konsequenz in Großstadtslums wühlenden Film „Die Ratten erwachen“ von Zivojin Pavlovic — er erhielt den Regiepreis der heurigen Berlinale — zwei diskussionswürdige Beiträge bei. Daß die neunköpfige internationale Jury unter Führung des erfahrenen britischen Filmprofessors und Regisseurs Thorold Dickin-son auf diesem „Festival des Nachwuchses“ die Preise für die besten schauspielerischen Leistungen an die 79jährige Dame Edith Evans für die packende Interpretation der Hauptrolle in dem englischen Film „Flüsternde Wände“ und dem schon erwähnten Michel Simon, also zwei großen „Alten“ europäischer Komödiantenkunst, verlieh, sei nur als kleine Pikan-terie am Rande vermerkt.

Die Begegnung mit den Jungen, den Stürmern und Drängern in ihren zum Teil noch wirren und verwirrenden filmischen Aussagen war jedenfalls aufschlußreich, wenn auch nicht immer angenehm. Das Risiko aber hat sich gelohnt. Unter einer Voraussetzung: Wenn der Nachwuchs die ihm hier gebotene Resonanz und die für zuweilen beachtliche Leistungen verliehenen Preise in erster Linie als Ermunterung zum Fortschreiten auf dem eingeschlagenen Weg, aber nicht als Krönung eines fertigen Schaffens und einer alleingültigen Form wertet.

Unter den zahlreichen Round-table-Gesprächen, Diskussionen und Konferenzen, in denen man während der zwölf Tage von den verschiedensten Aspekten aus geistig um den Film rang, stellte die XVI. Studientagung des Internationalen Katholischen Filmbüros (OCIC) ein weiteres Experiment der heurigen „Berlinale“ dar. „Begegnung mit dem Film“ hieß das Motto, zu dem in Zusammenarbeit mit dem Evangelischen Internationalen Filmzentrum INTERFILM Autoren, Produzenten, Regisseure und Kritiker ihre ganz persönlichen subjektiven Anschauungen über das Film-schaffen äußerten. So bekannte unter anderem der junge deutsche Regisseur Johannes Schaaf in diesem Kreis: „Ich bin Atheist und kann keine christliche Moral anbieten, auch keinen irdischen Himmel nach sozialistischem Rezept. Ich bin einer dieser Filmmacher, die Werte zerschlagen, ohne andere anzubieten. Ich glaube, Unruhe im Herzen zu erzeugen ist ebenso wichtig wie der Kampf gegen die Dummheit.“ Die Repräsentanten der OCIC und der INTERFILM, Geistliche und Laien, erhielten während der vier Tage eines Dialogs, bei dem man „kein Blatt vor den Mund nahm“, so wesentliche Einsichten in das Denken und Fühlen der Filmschaffenden aus den verschiedensten Kontinenten, daß man beschloß, diesem ersten Versuch weitere ähnliche Initiativen folgen zu lassen.

Österreich, das keinen Spiel- oder Kurzfilm im offiziellen Wettbewerb zeigte, ließ in seiner trotzdem abgegebenen filmischen Visitenkarte, der zum elftenmal durchgeführten Kulturfilmmatinee, ebenfalls den regielichen Nachwuchs zu Worte kommen.

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