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... HEITER DIE KUNST VIENNALE: 4.-12. MÄRZ

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Auf allen großen Festivals werden die dramatischen, ja tragischen Themen bevorzugt, sogar häufig allein bewertet, so daß satirische oder heitere Meisterwerke überhaupt keine Chance haben.

Diese Erkenntnis veranlaßte den Verfasser, im Jahre 1958 ein Festival der Heiterkeit vorzuschlagen, das den Komödien, Lustspielen, Parodien, Satiren, Musicals jene Chance geben sollte, die sie bisher nicht halten. Aber erst bei der 3. Viennale im März 1963 konnte der Gedanke verwirklicht werden.

Die Welt verbindet mit Wien die Vorstellung der Heiterkeit. „GAY VIENNA“ ist in West wie in Ost (wenn auch jeweils von anderen Gesichtspunkten her) ein fester Begriff.Es war Kulturstadtrat Hans Mandl, der diesen Zusammenhang klar erkannte und das Festival der Heiterkeit zielstrebig förderte. Aus der Initiative des Verfassers und des Kritikers und jetzigen Regisseurs Edwin Zbonek entstanden, wurden die vier ersten Wiener Filmfestwochen formell vom Verband der Österreichischen FUmjournalisten, ab 1963 dann in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt Wien, veranstaltet. Der wachsende Umfang führte im Herbst zur Gründung des Vereins Wiener Filmfestwochen, an dessen Spitze ein Kuratorium unter dem Vorsitz von Stadtrat Mandl steht. Der Verfasser wurde zum Direktor des Festivals gewählt, der Theater- und Filmreferent des Kulturamtes, Dr. Otto Wladika, zum Programmreferenten.

Wenn die Organisation eines Festivals reibungslos funktioniert, so ist das für die Besucher gewiß sehr wichtig, aber entscheidend ist immer das Programm. Dabei bestätigte sich, was wir schon lange vermutet, aber infolge des geringen Angebots nicht sicher gewußt hatten: die Volksdemokratien produzieren nur wenige heitere Filme. Dies war schon eine Tradition in der Sowjetunion der Vorkriegszeit und hat leider auf die anderen Oststaaten übergegriffen. Gewiß mag es schwerer sein, einen guten heiteren und satirischen Film zu schaffen als einen dramatischen, aber offenbar wird in der östlichen Filmkunst der Humor nicht ganz ernst genommen. Allein die Kurzfilmschöpfer, die besonders in der CSSR, in Polen, Jugoslawien, Ungarn und Bulgarien eine gewisse Narrenfreiheit genießen, bringen häufig überragende humorvolle und treffende satirische Leistungen zustande.

Immerhin gelang es uns, in Prag und in Budapest je einen heiteren Film für die Erstaufführung außerhalb des Produktionslandes zu erlangen. De.- tschechoslowakische Beitrag zur Viennale ist Karl Zemans „Narrenchronik“, eine geistvolle und originelle Satire auf den Dreißigjährigen Krieg, der ja in Prag mit dem Fenstersturz begann, und gleichzeitig auf die amerikanischen Kostümfilme. So ist der Held unseres Filmes, der junge Bauer Peter (Petr Kostka), der vom Pflug weg in die Armee gepreßt wird, als jugendlicher Vorläufer Schwejks gar nicht kriegsbegeistert, aber ebenso mutig wie Fanfan, wenn es um seine geliebte Lenka (Emilie Vazaryova) geht.

Auch der ungarische Film spielt in der Vergangenheit „Majestät auf Abwegen“ entheroisiert den Koni?; Matthias Corvinus, der bekanntlich im Kampf gegen Kaiser Friedrich III. 1485 Wien eroberte, wo er dann fünf Jahre später starb. Im Film zieht Matthias verkleidet aus, um seiner eifersüchtigen neapolitanischen Gattin Beatrice zu entkommen und um die Stimmung des Volkes kennenzulernen. Er verschwindet, ohne die wartenden Legaten des Papstes und des Kaisers zu empfangen. Beatrice setzt ihm nach. Die Abenteuer des verkleideten Königspaares (von Iren Psota und Ivan Darvas temperamentvoll verkörpert), die schon dem ungarischen Klassiker Koloman Mikszath als Romanvorlage dienten, wurden von Regisseur Karoly Makk zu einer ironischen Renaissancekomödie in prunkvollen Dekorationen filmisch gestaltet.

Das Kurzfilmprogramm aus beiden Ländern spielt hingegen durchaus in der Gegenwart. Der tschechoslowakische Anteil besteht aus dem in Thema und Gestaltung ebenso originellen Puppentrickfilm „Problem“ von Jan Dudesek und aus zwei grotesken Realfilmen von Vaclav Taborsky. Aus Ungarn kommen die Satire „Bilder und Menschen“, der Experimentalfilm „Spiegelbilder“ und zwei Zeichentrickfilme aus einer Serie über menschliche Schwächen. Aus Polen, Rumänien, der Sowjetunion und aus Jugoslawien kommen je ein bis zwei Trick- oder Realfilme. Auch die Bundesrepublik Deutschland nimmt nur mit Kurzfilmen am Festival der Heiterkeit teil,- doch erhalten wir von der Lux-Film-Produktion Boris Borresholm in München zwei Uraufführungen: „Der große Schmuggel“ (ein Plädoyer für die Freiheit des kulturellen Austausches), mit dem das Festival eröffnet wird, und den Puppentrickfilm „Marionetten oder die Kunst der Verführung“, der die Volksverführer von Marc Anton bis in unsere Zeit entlarvt.

Begreiflicherweise hatten wir immer die größten Schwierigkeiten mit Österreich und Deutschland, denn gab es gelegentlich einen niveauvollen heiteren Film, dann wollte kein Verleih mit seinem Erscheinen bis zur Viennale warten. Dem glücklichen Umstand, daß der Opernfarbfilm „Die lustigen Weiber von Windsor“ (nach der komischen Oper von Otto Nicolai) zum richtigen Zeitpunkt fertiggestellt wurde, und daß sein Produzent, Norman Foster, ein kunstsinniger Mensch ist, verdanken wir die Welturaufführung dieses — wie die Musikkritiker behaupten — bisher besten Opernfilms, der übrigens von der österreichischen Prädikati-sierungskommission mit dem Höchstprädikat ausgezeichnet wurde. Unter der Regie Georg Tresslers spielen und singen Norman Forster, Colette Boky, Lucia Popp, Ernst Schütz und zahlreiche andere bekannte Opernsänger. Die Illustration der Ouvertüre durch die berühmte Tänzerin Rosella Hightower ist das Musterbeispiel einer gelungenen filmischen Gestaltung. Es spielt die Zagreber Philharmonie unter ihrem Dirigenten Dr. Milan Horvath.

Aus England, dem Land der unvergessenen Lustspiele des Ealing-Studios, kommt die — wie die Zeitschrift „Films and Filming“ sie nennt — „beste britische Komödie einer Dekade“, „Gottes Tiergarten“. Der Originaltitel „One way Pendulum“ ist wie die Handlung einem Theaterstück von N. F. Simpson entnommen und läßt sich nicht übersetzen. Da wird die absurde Handlung mit eiskalter Logik entwickelt, die auoh das Unwahrscheinlichste glaubwürdig macht. Die Engländer beweisen es wieder: Nicht ein grinsendes Gesicht, das Dummheiten sagt, sondern ein ernstes, das scheinbar Widersinniges todernst ausspricht, zwingt zum Lachen. Freilich kann man nicht voraussehen, ob dieser geistreiche Film der breiten Masse ebenso gefallen wird wie den Feinschmeckern.

Der zweite britische Spielfilm „Jeder Tag ist ein toller Tag“ ist ein Musical, das in einem phantastischen Ferienlager spielt und den meist jungen Künstlern Gelegenheit bietet, vor uns als Sänger oder Tänzer zu glänzen. Von Regisseur James Hill stammt auch der Kurzfilm „Das gebastelte Auto“, eine hübsche Geschichte ohne Worte. Auch die meisten anderen Kurzfilme bedürfen keiner Worte, sondern wirken allein durch das Bild.

Allerdings besteht etwa der kanadische Film „Die Ballade von der alten Dame“ aus einem vier Minuten langen Lied — von Burl Ives gesungen, der hier bisher nur als Schauspieler bekannt war. Die groteske Illustration übertreibt den grotesken Inhalt.

Eine Überraschung speziell für Österreich ist das dänische Lustspiel „Im Weißen Rössel“ mit der Originalmusik von Ralph Benatzky und Robert Stolz, mit Salzburger Jodlern und Tänzern, im Salzkammergut im vergangenen Sommer aufgenommen. Die unverwüstliche Geschichte beweist auch in dänischer Sprache die relative Richtigkeit des Spruchs „Im Salzkammergut, da ka' ma' gut lustig sein“. Der von Erik Balling mit dem skandinavischen Publikumsliebling Dirch Passer als Leopold inszenierte Film ist eine unbezahlbare Propaganda für den Besuch des Salzkammerguts.

Keine Propaganda für den Besuch Schwedens ist „Ein schöner Tag“ des Regisseurs Göran Gentele, der beweist, daß die Menschen auch die richtigste Prognose nicht schätzen, wenn diese schlechtes Wetter ankündigt.

Der niederländische Beitrag „Mit versteckter Kamera“ erhielt auf der Berlinale 1964 mit Recht den Goldenen Bären als bester Dokumentarfilm. Bert Haanstra, der berühmte Regisseur der Kurzfilme „Glas“ und „Zoo“, hat das niederländische Volk von den Kindern bis zu den Großeltern, von den Menschen auf der Straße und am Strand bis zur königlichen Familie im Palast mit seiner (nicht immer versteckten) Kamera aufgenommen. Die meisten Szenen sind in ihrer Gegenüberstellung von einer bezwingenden Komik, aber Haanstra ruft uns in einer entscheidenden Sequenz auch die Verbrechen der Nazizeit in Erinnerung. „Aleman“, wie der schwarzweiße Film im Original heißt, läßt uns wünschen, daß Haanstra Gelegenheit bekomme, auch einen österreichfilm zu drehen.

Eine Satire ganz anderer Art ist der italienische Beitrag „Die Ungeheuer“ (I Mostri), der aber durchaus kein Gruselfilm ist. Er zeigt Menschen unserer Tage, unserer Umwelt, oftmals von gefälligem Äußeren — und die Ungeheuerlichkeiten, die sie im täglichen Leben begehen.

Die in Zusammenarbeit mit der Cinematheque Frangaise programmierte Retrospektive in der Urania ist diesmal hauptsächlich aber nicht ausschließlich dem musikalischen Film der dreißiger Jahre gewidmet, also den „Drei von der Tankstelle“ des Wieners Wilhelm Thiele mit Willy Fritsch, Oskar Karlweis, Heinz Rühmann, Lilian Harvey und Olga Tschechowa in den Hauptrollen.

Dieser Film wurde seinerzeit mit großem Erfolg gezeigt. Hingegen sind „Ciboulette & Cie.“ des Regisseurs Claude Autant-Lara mit Simone Berriau und Dranem (Paris 1933) und „Drei Walzer“ des deutschen Regisseurs Ludwig Berger mit der Musik von Oskar Straus und mit Pierre Fresnay und Yvonne Printemps in den Hauptrollen (Paris 1938) seinerzeit nicht gezeigt worden und sind somit echte österreichische Erstaufführungen.

„Top Hat“ aus dem Jahre 1934 ist einer der frühesten Tanzfilme mit Fred Astaire und Ginger Rogers. Max Sand-rich führt Regie. „Wolga, Wolga“ ist einer der wenigen heiteren sowjetischen Filme der Vorkriegszeit.

Neueren Datums sind die großartige „Betteloper“ mit Laurence Olivier als Macheath (Regie Peter Brook, London 1954), „Ma Pomme“ („Der Vagabund und die Dame“) mit Maurice Chevalier (Regie Marc Gilbert Sauvajon, Paris 1950) und der allerdings nicht eigentlich musikalische österreichische Beitrag „Ich und meine Frau“ mit Paula Wessely, Attila Hörbiger, Susi Nicoletti, Nicole Heesters sowie vielen anderen damals meist unbekannten und heute prominenten Darstellern.

Die Bekanntschaft mit den ausländischen und das Wiedersehen mit diesem österreichischen Film wird zwar alle Besucher erheitern und unterhalten, aber doch viele zu der Frage veranlassen, wohin denn Österreichs einstige „ungeheure Heiterkeit“ entschwunden ist.

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