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Digital In Arbeit

DIE POESIE GING LEER AUS

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Als sich die Juroren des vom Theater in der Josefstadt veranstalteten Dramatikerwettbewerbes an die Arbeit machten, taten sie dies in der Überzeugung, daß Preisausschreiben erfahrungsgemäß ermutigend und anregend wirken und daß sie infolgedessen, selbst unter Zubilligung nur geringer Erfolgchancen, einem sinnvollen Unternehmen dienen. Sie wußten aber auch sehr genau, daß sie ein zum wiederholten Male umgepflügtes Feld vorfinden würden* — und die Wahrscheinlichkeit, daß jenem vielgestaltigen Kulturförderungsbetrieb, der auf der Jagd nach lohnenden Objekten seiner Subventionsfreudigkeit selbst die verborgensten literarischen Winkel durchstöbert, die Existenz eines zu Unrecht unbekannten Talentes entgangen sein sollte, schien den meisten Juroren eher gering. Folglich wurden die Chancen, just jenes exemplarische Gegenwartsdrama zutage zu fördern, nach dem die Theater und die Bühnenverlage im ureigensten Interesse ohnehin seit Jahr und Tag fahnden — und zwar, wie wir von den Spielplänen her wissen, mit nicht eben überwältigendem Erfolg —, mit aller gebotenen Skepsis beurteilt.

Mittlerweile sind Prüfung und Siebung der ersten Etappe des Wettbewerbs beendet. Gemäß den Statuten, die nach dem Mannheimer Muster zunächst die Prämiierung im Entstehen begriffener und in Form von Entwürfen eingereichter Stücke vorsah, sind an sechs Verfasser erfolgversprechender Exposes (darunter an zwei Frauen) Arbeitsstipendien in Höhe von je 15.000 Schilling vergeben worden, nebst dem Auftrag, das Begonnene bis zum 31. Oktober laufenden Jahres — nach Wunsch mit oder ohne beratende Förderung der Josefstädter Dramaturgie — zu beenden. Von da ab wird die Jury in einem neuerlichen Ausscheidungsverfahren ermitteln, ob eines und welches dieser Stücke jene Qualität aufweist, die eine endgültige Prämiierung rechtfertigt. Dem Sieger in diesem zweietappigen Wettbewerb wird ein Geldpreis von 30.000 Schilling zuerkannt, das Stück während der Wiener Festwochen 1961 im Theater in der Josefstadt uraufgeführt werden. *

Die aus dem Ergebnis der ersten Siebung gewonnenen Erfahrungen berechtigen zwar vorderhand noch keineswegs zu einer abschließenden Beurteilung des Preisausschreibens selbst, denn über dessen Erfolg oder Mißerfolg wird letzten Endes erst der Erfolg des preisgekrönten Stückes entscheiden; die Zahl, die Qualität, die Provenienz — und nicht zuletzt die Themenwahl der geprüften Manuskripte gewährt indes bemerkenswerte Einblicke in die Situation der zeitgenössischen dramatischen Schaffensprozesse: Während zunächst die Menge der Einsendungen alle vorherigen Schätzungen (und somit die Erwartungen hinsichtlich des Widerhalls des Wettbewerbes) bei weitem übertraf, bestätigte sich die von allem Anfang an vermutete Zurückhaltung jener Spitzengruppe von Autoren, deren führender Rang in der dramatischen Literatur nebst reichhaltigen oder doch hinreichenden Einkünften gesichert ist und die es offenbar aus Prestigegründen nicht riskieren wollten, im Wettstreit mit einem weniger prominenten oder gar völlig unbekannten Autor zu unterliegen. Hingegen nahmen fast ausnahmslos alle dem engeren, lokalen Bereich geläufigen Autoren an dem Wettbewerb teil, die während der letzten Jahre mit einem oder mehreren aufgeführten Stücken, und sei es erfolglos, vor die Öffentlichkeit traten, und darüber hinaus — und das ist die große Lehre aus diesem Preisausschreiben — waren gegenüber den nicht eben hochgeschraubten Etwartungen relativ zahlreiche Manuskripte kaum bekannter oder gänzlich unbekannter Verfasser eingesendet worden, die auf überdurchschnittliche Begabungen schließen ließen und die kennenzulernen überaus wertvoll war.

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Alles in allem sind in einem Zeitraum von achteinhalb Wochen nicht weniger als 745 Manuskripte geprüft worden: 420 stammten aus Österreich, 178 aus Deutschland, 56 aus der Schweiz, 4 aus den Vereinigten Staaten. 3 aus Italien und je eines oder zwei aus Argentinien, Belgien, Bolivien, Brasilien, Ceylon, CSR, “tranltfeichrHöifää'fsrtfeli'ugoslawlen, Luxemburg, Schweden und Uruguay.

Als Ergebnis einer Vorsiebung, die die Josefstädter Dramaturgie besorgte, gelangten 132 Manuskripte zur Beurteilung einer fünfköpfigen Jury, die 104 Manuskripte einvernehmlich ablehnte. Aus einer achtundzwanzig Manuskripte umfassenden „inneren Auswahl“ wurden unter Anwendung des üblichen Punktesystems und im Verlaufe einer — nicht mehr so ganz konformen — Diskussionen weitere achtzehn Manuskripte ausgeschieden; an Hand der restlichen zehn Manuskripte wurden schließlich die sechs Stipendiaten erwählt.

Die Statuten des Wettbewerbes erlauben weder die Veröffentlichung der Namen jener Einsender, die keinen Preis erhielten, noch die Mitteilung darüber, wer in der Jury für und wer gegen die einzelnen Preisträger gestimmt hat. Die statistische Aufschlüsselung der Stimmenanzahl, die die Preisträger auf sich vereinen konnten, dürfte indes erlaubt sein, da sie bei aller Wahrung der Anonymität des einzelnen der Auswertung dieses Wettbewerbes wertvolle Hinweise liefert. In diesem Sinne ist es beispielsweise bemerkenswert, daß nur ein Preisträger einstimmig ermittelt wurde, während zwei Preisträger mit vier positiven und einer Gegenmeinung gewannen und drei Preisträger ihre Wahl einer knappen Mehrheit von drei gegen zwei Meinungen zu danken haben. Umgekehrt kamen drei der vier Ausscheidungen aus den zehn chancenreichsten Manuskripten mit einer ebenso knappen Ablehnung von zwei positiven Meinungen gegen drei Gegenmeinungen zustande, i

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Wie wir bereits eingangs erwähnten, gelangte die Jury zu der Erkenntnis, daß der Prozentsatz beachtenswerter Einsendungen höher war, als es die Skepsis, zumindest einiger Juroren (des Verfassers dieser Zeilen inbegriffen) erwartet hatte, was zu der Folgerung berechtigt, daß das Niveau der schlummernden, keimenden und heranreifenden Begabungen offenbar höher ist, als allgemeinhin angenommen wird.

Einzelne Juroren glaubten, in annähernd fünfzig Entwürfen starke dramatische Talente erkannt zu haben, bei denen es sich zwar wiederholt um charakteristische Erstlingswerke handelte, die aber, und sei es nicht für die unmittelbare Gegenwart, sondern in einiger absehbarer Zukunft. Erfolg verheißen und dementsprechend ermutigt werden sollten. So manches Unreife war darunter, aber doch auch auffallend Persönliches, Gestaltetes, zahlreiche ernsthafte Auseinandersetzungen mit Charakteren und Problemen und häufig straff und plastisch geführte Dialoge, originelle Stückideen und schöpferische Ansätze. Daneben einiges absolut Aufführungsreifes, das bloß jenen anspruchsvolleren Maßstäben nicht standhielt, an denen man ein zu prämiierendes Stück mißt. Jedenfalls einigte sich die Jury mit der Theaterdirektion in etwa zwanzig Fällen (im wesentlichen identisch mit den Manuskripten, die in die „innere Auswahl“ gelangt waren), dafür zu sorgen, daß solchen wertvollen „Nebenprodukten“ des Wettbewerbs Aufmerksamkeit gewidmet werde. In erster Linie dachte man hierbei wohl an die Josefstädter Dramaturgie, gegebenenfalls aber auch an diese oder jene Kellerbühne, wo so mancher aussichtsreiche Start zu bewerkstelligen sein müßte, und darüber hinaus an den Rundfunk, an das Fernsehen oder an die dramatische Werkstätte in Salzburg.

Freilich war aber dann gegenüber dieser unerwarteten „Quantität an Qualität“ das Ergebnis der Auslese doch wieder bezeichnend: „Entdeckung“ im üblichen Sinne gab es keine. Alle sechs Preisträger haben ausnahmslos Theaterstücke oder Romane, zumindest Feuilletons und Hörspiele publiziert. Von drei der sechs Autoren wurden bereits zwei oder mehrere Stücke aufgeführt; einer ist der Verfasser eines Werkes, das vor einigen Jahren an nahezu allen größeren deutschen Bühnen Aufsehen erregte. Womit sich die Erfahrung, daß Anfänger keine attraktiven Preise machen, wieder einmal bestätigt hat.

Auch hinsichtlich des Alters der Preisträger gab es Überraschungen: Ein eher aggressives, sehr jugendlich, nahezu bedenkenlos-ungestüm anmutendes Manuskript entpuppte sich später als Entwurf eines sechzigjährigen Autors... Im

übrigen waren die Veranstalter anläßlich der Preisverteilung selbst einigermaßen erstaunt, daß der jüngste Preisträger immerhin schon dreißig Jahre alt ist.

Die für die Themenwahl verbindliche Devise lautete „Gegenwartsprobleme der menschlichen Existenz“. Im Rahmen dieser Richtschnur wurde freigestellt, die folgenden Themenkreise zu behandeln: Gott und Mensch (Verlust des Glaubens — Desorientierung des Menschen — Lebensunsicherheit oder übersteigertes Selbstgefühl — Gefahr des Nihilismus — Sehnsucht des Menschen nach Höherem); Mensch und Technik (Ist der Mensch noch Herr über die Maschine? — Kann der Mensch die Errungenschaften der Technik seelisch verarbeiten? — Probleme der Automation - Umgestaltung der Natur durch die moderne Technik): Neue Formen des Heldentums (Der Mensch braucht Ideale und sucht Idole — Forscher und

Helfer der Menschheit - Helden der Pflichterfüllung im Alltag - Stilles Heldentum in Erfüllung ethischer oder moralischer Forderungen löst veraltete, teils verhängnisvolle Begriffe des Heroischen ab); Verlust der Mitte (Die Lage des Mittelstandes — Neue Formen des Bürgertums — Soziale Extreme in unserer Gesellschaft - Gefährdung des inneren Maßhaltens und der Individualität durch äußere Reizüberflutung); Der einzelne und die vielen (Persönlichkeit und Masse — Fragen der persönlichen Freiheit des einzelnen innerhalb einer Gemeinschaft - Überhandnehmen der Gruppenbildung und der Organisation des Alltags — Probleme des Außenseiters einer Gesellschaft in rassischer oder religiöser Hinsicht) und die Jugend von heute (Das Generationsproblem unserer Zeit — Gefährdung der Jugend durch Versagen der Erwachsenen — Geschäft mit der Jugend durch Anpreisung falscher Ideale — Eine Jugend ohne Illusion möchte glauben — Die Jugend ist in ihrer Substanz nicht schlechter als zu anderen Zeiten).

Diese thematische Aufgliederung fand regsten Zuspruch: Am häufigsten wurden Probleme der Religion und Ethik, des Überdrusses am „Wirtschaftswunder“ und des Versagens der (samt und sonders korrupt und engstirnig gezeichneten) Eltern gegenüber einer oppositionellen Jugend abgewandelt. Auch der Themenkreis „Vermassung“ war mit allen seinen Spielarten, vom Überhandnehmen der Automation über die Reizüberflutung und den Reklameunfug bis zu den Unarten der Managersysteme, wiederholt anklägerisch variiert worden und fast ebenso häufig die Kollision der individuellen Freiheit mit den (meist äußerst scharf angegriffenen) Massensymptomen der heutigen Gesellschaft, ferner unermüdlich Anklagen wider die rassische Verfolgung.

Auch das Atom war immer wieder Gegenstand pessimistischer Ausblicke, ein Staudamm brachte oft die Bewohner eines Dorfes um Heim und Existenz, am Raketenprüfstand ergaben sich zahlreiche Konflikte — und immer wieder wurde, zumeist in utopischer und im Hinblick auf die zahlreichen Vorbilder nahezu uniformer Gewandung, mit der Diktatur gehadert. Mehr als die Hälfte aller der Jury zugänglichen Manuskripte gaben der Politik den Vorrang, die menschlichen Probleme innerhalb und außerhalb der Ehe dienten fast ausnahmslos als — oft äußerst banaler und reichlich konstruierter**— Einschub und Füller weltanschaulicher Auseinandersetzungen. Bezeichnenderweise warder Themenkreis „Heldentum“ verhältnismäßig wenig beachtet — und der Komplex „Mensch und Technik“ am schlechtesten gelöst worden:

Hier vermochten sich die Autoren kaum von Schlagwort und Leitartikel zu befreien.

Formal dominierte das naturalistische Schauspiel, gegebenenfalls mit der Tendenz zur realistischen Härte; häufig begegnete man dem Stil der zeitkritischen Komödie, das eine und das andere Mal dem Kriminalstück, seltener der Satire, noch seltener der Groteske. Die gezählten Experimente beschränkten sich meistenteils auf Simultanbühnen, Tonband und Lichteffekte; neue Wege, und sei es im Stil Ionescos, wurden kaum gesucht und waren auch nie sehr überzeugend. Die Poesie ging mit Ausnahme von zwei, drei Einzelfällen leer aus...

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