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Österreich und seine Wissenschaft

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Seit Jahr und Tag kehren in der Presse Nachrichten über den Stand unserer hohen Schulen und über die Situation der österreichischen Wissenschaft wieder, die alarmierend wirken müßten, falls die Öffentlichkeit diesem Bereich des öffentlichen Lebens jenes Augenmerk schenken würde, das er verdient. Die Enquete der österreichischen Wissenschaftler im November 1948 über den Notstand der österreichischen Wissenschaft brachte als Ergebnis einen Gesetzentwurf über die Schaffung eines österreichischen Forschungsrates, der im österreichischen Nationalrat des Vorjahres nicht mehr zur Behandlung kam. Es fällt schwer, zu glauben, daß die minimalen Dotationen, die im neuen Budget für sämtliche Hochschulen und wissenschaftlichen Institute vorgesehen sind, eine amtliche Antwort auf die damals vorgebrachten Fakten darstellen. Damals, in jener Zeit, wurde in einer großen öffentlichen Versammlung, in der alle österreichischen wissenschaftlichen Institute und die bedeutendsten Wissenschaftler vertreten waren, vom Vertreter des zuständigen Ministeriums von einer Erhöhung der Hochschuldotationen auf das Achtfache noch im Jahr 1949 gesprochen. Bis jetzt ist nichts über die Durchführung dieser Aktion bekanntgeworden.

Eine Vorsprache der Sektion Hochschullehrer der Gewerkschaft öffentlicher Angestellter im Finanzministerium endete, vorläufig zumindest, ohne äußerlich sichtbares Ergebnis. Laut der vom akademischen Senat herausgegebenen Wiener Universitätszeitung“ erklärten die zuständigen. Herren dieses Amtes, daß, wenn die Forderungen der Hochschullehrer erfüllt würden, auch die anderen Staatsbeamten vom Sektionschef bis zum letzten Gendarmen Gehaltserhöhungen verlangen dürften. Als Ausweg aus der heiklen und angestrengten Situation wurde der Gedanke einer beträchtlichen Erhöhung der Kollegiengelder in Erwägung gezogen.

Erläutern wir diese Situation noch durch einige Tatsachen: Dozenten können pro Semester heute mit zirka 50 Schilling Kollegiengeld rechnen. Es gibt a. o. Professoren, deren Einkommen trotz mehr als zehnjähriger Tätigkeit 370 Schilling im Monat beträgt, da sie nur einen Lehrauftrag besitzen. Es kommt vor, daß Ihnen dieser Lehrauftrag entzogen wird, ohne daß sie davon amtlich oder persönlich in Kenntnis gesetzt werden. Es gibt andere Professoren, die nach mehr als zwanzigjähriger Tätigkeit in einer nahverwandten Sparte des Staatsdienstes nunmehr für ihre Ernennung zum Universitätsprofessor bestraft werden durch eine Gehaltsminderung, da sie als Universi-ätsprofessor neu, ganz neu, beginnen müssen, wie ein Kind, das die Welt, die Steuer und den Staat zum erstenmal erblickt. Es gibt wissenschaftliche Institute, die sich nicht die notwendigsten, dringendsten Neu- beziehungsweise Ersatzanschaffungen leisten können, weil die dazu erforderlichen 1000, 100, 50 Schilling fehlen. Das Fazit dieser Entwicklung haben berufene Vertreter der Wissenschaft mehrfach vor der Öffentlichkeit festgestellt. Österreichs Wissenschaft und Forschung droht, hilflos und verarmt, den Anschluß an den Wellstandard zu verlieren. Ungedruckte wissenschaftliche Manuskripte verstauben, bis ihre Ergebnisse veralten, Grundlagen- und Experi-mentalforschungerv- auf dem naturwissenschaftlichen Sektor können nicht durchgeführt werden, da es an Apparaten und Material fehlt. Jüngere Forscher wandern aus, hoffnungsvolle Nachwuchskräfte bereiten bereits während ihres Studiums hier in Österreich ihren Exodus vor. An Berufungen von Wissenschaftlern aus dem Ausland — oft von hervorragenden Auslandsösterreichern — ist nicht zu denken. Blamabel das Ergebnis, wenn hier und dort ein Versuch gewagt wird: Angehörige des Lehrkörpers auch kleinster ausländischer Universitäten lehnen heute ab: Grund — die geringe Bezahlung.

Die Ursachen dieser katastrophalen Entwicklung: Ist es nur der Kampf um ein ausgeglichenes Budget, sind es Ressortkämpfe, der Übermut oder Unmut der Ämter? Die Notlage des Staates und seiner Finanzen, die kritische Situation eines kleinen, unter Pressung und Staudruck mannigfacher Art lebenden Landes? Gewiß. All das wirkt im einzelnen sicherlich mit an der Schaffung der gegenwärtigen Situation. Entscheidend aber ist etwas anderes: es ist die ungeheuere Fremdheit und Entfremdung, die heute zwischen Wissenschaft, Forschung, hohen Schulen einerseits und der Öffentlichkeit, der staatlichen und privaten Sphäre, der Gesellschaft, dem Publikum andererseits besteht.

Wo sind die Zeiten, da die Öffentlichkeit erregt wurde durch das Schicksal der „Göttinger Sieben“, jener aufrechten deutschen Professoren, die sich dem Willkürspruch ihres Landesfürsten nicht fügen wollten? Wo sind jene Zeitläufte, da Angehörige des Lehrkörpers unserer hohen Schulen, gefeiert als Weltberühmtheiten, auch im Volke als Zelebritäten in aller Mund waren! Ein spärlicher Nachklang ist es, wenn immer noch in Wien von „dem Hyrtl“, „dem Eiseisberg“ gesprochen wird. Wo ist-.jene Epoche, in der es im Wissenschaftsstreit gegnerischer Systeme zu großen öffentlichen Auseinandersetzungen kam wie in Deutschland etwa um Haeckel, auch Österreich aber hatte einige „Affären“. Unsere Öffentlichkeit interessiert sich heute für die Namen seiner Filmstars, Skikanonen, Boxasse und Totovereine, eventuell noch für einige Schauspieler, die Namen selbst seiner besten Gelehrten sind kaum mehr bekannt, geschweige denn vertraut. Selbst ein Nobelpreisträger kann es nur zu momentanen Blitzlichtaufnahmen in der Tagespresse bringen, die sich nicht mit den Artikeln über die Scheidungsaffäre eines Filmregisseurs messen können.

Von wie schwerwiegender Bedeutung, ja wie lebensgefährlich für das Gesamtwohl dieses Desinteressement, diese eklatante Teilnahmslosigkeit breitester Kreise, auch der „gebildeten“, am Schicksal unserer hohen Schulen, der Forschung und Wissenschaft überhaupt, ist, kann nicht stark genug herausgestellt werden. In dieser Uninteressiertheit wurzelt das Nichtwissen um die reale, sehr reale Bedeutung der Wissenschaft für das gesamte heutige Leben. Wer von den hun-derttausenden Zeitungs- und Romanlesern, Sportenthusiasten, Kinobesuchern und Schlafmützen aller Art in unserem Lande weiß wirklich, wie sehr un-serelndustrieundWirtschaft, unsere Produktion und unser Export abhängig sind von den Arbeiten der Wissenschaft in Grundlagenforschung, Experiment und Erprobung! Man will nicht wissen, daß unsere Wirtschaft morgen im In- und Ausland nur konkurrenzfähig sein wird, wenn sie hochwertigste, den modernen Bedürfnissen angepaßte Erzeugnisse liefert! zu billigsten Preisen. All das setzt aber eine Auswertung immer neuer Forschungsergebnisse voraus. Unsere Industrie und Wirtschaft, die. Landwirtschaft voll und ganz eingeschlossen — somit alle Realfaktoren des Volkseinkommens und der Volksernährung —, werden den Anforderungen der Zukunft nicht gewachsen sein, wenn jede planende Arbeit im Aufbau eines Forschungsapparats als wichtigste Hilfe fehlt.

Es ist noch nicht lange her, da waren in Deutschland, dem Lande der Professoren und Universitäten katexoehen, in gewissen geisteswissenschaftlichen Disziplinen die hervorragendsten Lehrstühle mit Österreichern oder Zumindestens mit Schülern der österreichischen Wissenschaft besetzt. Nach dem ersten und zu-

Nach fünf Jahren der Planung und Vorarbeit ist das Problem der Neugestaltung des Wiener Stephansplatzes in ein entscheidendes Stadium getreten. Baukünstler, Stadtplaner und Behördenvertreter bemühten sich um die Grundlagen der künftigen Verbauung, ohne daß sich jedoch bis jetzt ein Projekt endgültig durchsetzen konnte. Die Dinge drängen jedoch zu einer Entscheidung, da mit dem Beginn der Bauarbeiten unmöglich noch länger gewartet werden kann.

Als gegen Ende des vorigen Jahrhunderts die großen österreichischen Architekten Van der Null und Siccards-burg das Haas-Haus errichteten, waren sie in der angenehmen Lage, sich bei der Gestaltung des Gebäudes sowohl der Baulinie als auch der Höhe nach an das mal vor dem zweiten Weltkrieg begann dann Österreich in steigendem Maße Geisteswissenschaftler auch nach England und Übersee zu exportieren. Heute stehen wir leer da. Nun liegt unsere Schuld nicht zu sehr darin, die Welt mit großen Wissenschaftlern versehen zu haben, als vielmehr im Faktum, daß wir hierzulande keine mehr erzeugen —, wir haben die Produktion dieses Edelstoffes so gut wie ganz eingestellt. Die obenangeführten materiellen Verhältnisse erklären 'diese Tatsache nur zum Teil. Sie selbst aber gründen, wie diese an sich, in jener Atmosphäre von offener oder wenig verhüllter Ablehnung des geistigen Arbeiters, in dieser unguten Luft, die ein Keimen und Wachsen geistiger Produkte ungeheuer erschwert und schließlich zu ersticken droht.

Das Ergebnis dieser Betrachtung? Die Wissenschaft und Forschung, die hohen Schulen und die geistigen Arbeiter werden unter diesen heute gegebenen Umständen niemals ihre Rechte erkämpfen können, jene Rechte, die sie brauchen, um ihre Pflichten gegenüber der Gesamtheit erfüllen zu können. Resolutionen und sporadische Einzelakte nützen nur wenig. Die Wissenschaft wird sich entschließen müssen, in ganz neuer Art den Kampf in der Öffentlichkeit aufzunehmen — durch eine echte Popularisierung, ein „Ins-Volk-Gehen“ mit ihren Problemen, Fragestellungen und Forschungen, sie wird sich, angefangen von volkstümlichen Hocfe-schulkursen über die Volkshochschulen bis zu Funk- und Film aller Mittel bedienen müssen, die heute in Publizistik und Propaganda möglich, die werk- und seinsgerecht erscheinen. Die Wissenschaften, die hohen Schulen, die geistigen Arbeiter haben sich die ihnen heute fehlende Autorität in der öffentlichen Meinung neu zu erobern.

Österreich wieder hat sich nicht durch Reden auf internationalen Tagungen, sondern durch eine emsige, stille und zähe Arbeit im eigenen Haus jenen Ruf zurückzugewinnen, den es einst mit Recht in der ganzen Welt besessen hat, den einer Wiege der Forschung, eines Landes, das in schöner Fülle eines der, edelsten Güter dieser Welt reift: den geistigschaffenden Menschen. gegebene Vorbild halten zu können, das heute noch aus dem Stich von Carl Schütz aus dem Jahre 1779 zu • erkennen ist. Durch die Zerstörungen an der Westseite des Platzes wurden jedoch der Grund des Haas-Hauses und die anschließenden Parzellen freigelegt, woraus sich die einmalige große Gelegenheit ergibt, die Einmündung des Grabens auf den Stephansplatz richtig zu gestalten und der Platzwand eine neue und bessere Form zu geben.

Seit dem Jahre 1945 wurden zahlreiche Vorschläge zur Lösung dieser Frage ausgearbeitet. Es gibt wohl ebenso viele Meinungen als Künstler, die sich mit

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