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Verantwortung der Fakultäten

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Die Organisation unserer Universitäten steht heute einer Ausweitung naturwissenschaftlicher Forschung und ihrer technischen Auswertungen gegenüber, die sie organisatorisch bewältigen müssen, ohne ihre Lebensbedingung, in Freiheit zu denken, zu forschen und zu lehren, zu verlieren. Ein konkretes Beispiel. Die medizinische Klinik um die Jahrhundertwende bestand aus einem Ordinarius, zwei Assistenten und ein bis zwei Volontärassistenten. Die Klinik hatte ein kleines Handlaboratorium, das wissenschaftliche Budget wurde im wesentlichen aus der Tasche des Ordinarius bestritten. Es ist einleuchtend, daß eine solche Organisation die hierarchische Stellung des Vorstandes besonders herausgestrichen hat und daß die Klinik auf ihn zugeschnitten war. Heute baut sich eine interne Klinik mit etwa 200 bis 250 Betten aus 40 bis 60 Ärzten und etwa 20 technischen Assistenten auf. Sie benötigt wissenschaftliche Einrichtungen im Werte von mehreren Millionen Schilling und ein wissenschaftliches Budget von mindestens einer halben Million Schilling im Jahr. Nur mit diesem personellen und materiellen Aufwand ist zur Zeit eine sinnvolle wissenschaftliche Arbeit, neben der Tätigkeit am Krankenbett und der Lehrtätigkeit möglich.

Das „Schwerpunktprogramm“

Es sind somit heute durchaus andere Voraussetzungen gegeben. Der leitende Arzt hat in erster Linie die Verantwortung dafür zu tragen, daß die Klinik den modernen Erfordernissen entsprechend geführt wird. Das gilt selbstverständlich in gleichem Ausmaß für alle wissenschaftlich aktiven Forschungsinstitute. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer langfristigen Planung. Die wissenschaftliche Arbeit ist nur sinnvoll, wenn Schwerpunkte gebildet werden und die Garantie besteht, daß dieses Schwerpunktprogramm jahrelang intensiv bearbeitet wird. Wir müssen damit rechnen, daß erst nach ein- bis dreijähriger Arbeit positive, wissenschaftlich wertvolle Ergebnisse auf einem Gebiet erzielt werden können. Wenn ich auf das Beispiel derlnns-bruoker Klinik zurückkommen darf, so haben wir das wissenschaftliche Hauptprogramm auf die Erforschung des Fettstoffwechsels gelegt, wofür zwei Ärzte ganztägig und drei Ärzte zwei- bis dreistündig im Tag freigestellt sind, außerdem arbeiten drei bis vier technische Assistentinnen mit. Daneben konnten noch zwei Schwerpunktprogramme in der Blutforschung und in der Nierenforschung gebildet werden. Mit der geplanten Schaffung eines Extraordinariates für Kardiologie im Rahmen der Klinik wird auch, in gemeinsamer Arbeit mit Landesstellen, ein leistungsfähiges Kreislauflaboratorium zur Verfügung stehen. Wie ich schon ausführte, kostet die Einrichtung für jedes dieser Laboratorien zwischen 100.000 und 500.000 Schilling; als Jahresbudget wird ein Betrag zwischen 50.000 und 100.000 Schilling benötigt. Eine andere Organisation der naturwissenschaftlichen Forschung ist an der Hochschule heute nicht mehr möglich. Ungeplante, dilettantische Forschungstätigkeit ist nur Verschwendung öffentlicher Mittel.

Selbstverständlich trägt eine derartig geplante Forschungsaktivität bereits nach relativ kurzer Zeit Früchte. Es ist auf Grund der Fettstoffwechseluntersuchungen möglich, entsprechende Störungen zu erfassen und zu behandeln und damit Patienten, die in der Vollkraft ihres Schaffens stehen, wieder in den Arbeitsprozeß einzugliedern und somit einen viel höheren Ausfall des Sozialproduktes zu verhindern. Durch das Schwerpunktprogramm auf dem Gebiet der Nierenforschung ist es möglich, zwei künstliche Nieren zu betreiben, die im Jahr etwa einem Dutzend Menschen das Leben retten. Selbst wenn man diese Dinge rein materiell mit dem Rechenstift betrachtet, so glaube ich, daß hier die 50.000 Schilling Jahresbudget gut angelegt sind. Viel wesentlicher ist dies jedoch bei den theoretischen Instituten. Das Pharmakologische Institut der Universität Wien oder das Pharmakologische

Institut der Universität Innsbruck, um nur einige besonders einleuchtende Beispiele zu nennen, bringen durch Forschungen auf dem Gebiete der Arzneimittelentwicklung der Allgemeinheit ein Vielfaches von dem ein, was sie gekostet haben. Zehn wirklich gute Biochemiker und Pharmakologen sind heute viele Millionen wert. Können wir ihnen die Entwicklungsmöglichkeiten

geben, so muß es uns doch gelingen, wie das in der Schweiz durch die Schaffung der großen pharmazeutischen Industrie der Fall war, volkswirtschaftlich außerordentlich ins Gewicht fallende Einnahmsquellen zu schaffen, deren wissenschaftliches Forschungsbudget allein unser Hochschulbudget übersteigt.

Die materiellen Voraussetzungen

Welches sind die materiellen Voraussetzungen, die in Österreich für

wissenschaftliche Forschung gegeben sind? 1964 standen den Hochschulen nicht ganz 700 Millionen Schilling zur Verfügung. Nach westeuropäischem Standard hätten es jedoch vergleichsweise etwa zwei bis drei Milliarden Schilling sein müssen. Das bedeutet, daß das wissenschaftliche Budget etwa viermal so hoch angesetzt sein müßte. Das kann nur durch eine Umschichtung des Staatsbudgets erreicht werden, die jedoch durchaus im möglichen Rahmen liegt. Die Verwirklichung dieser Umschichtung ist für uns (eine Lebensfrage. Wir haben die Gewißheit, daß sie der Finanzminister voll erfaßt und anstrebt. Er hat für 1965 eine Erhöhung des Budgets um rund 35 Prozent auf 993 Millionen Schilling durchgesetzt.

Der „akademische Mittelbau“

Welches sind die personellen Voraussetzungen? Die wesentliche personelle Voraussetzung liegt zur Zeit im Ausbau des sogenannten akademischen Mittelbaues. Ich habe schon ausgeführt, daß wir eine langfristige wissenschaftliche Planung benötigen. Im Rahmen dieser langfristigen Planung müssen wir auch die entsprechenden Planstellen schaffen, die es Wissenschaftlern ermöglichen, einigermaßen unbedroht von materiellen Sorgen ihre wissenschaftlichen Probleme bearbeiten zu können. Wesentlich hierfür ist die Heranbildung von Hochschuldozenten und assoziierten Professoren, denen nach etwa fünfjähriger Dozententätigkeit die Möglichkeit geboten werden muß, wissenschaftlich unabhängig im Rahmen, der Forschungstätigkeit ihres Institutes oder ihrer Klinik zu arbeiten. Ihre Lehraufgabe soll im Unterricht kleiner Studentengruppen in Übereinstimmung mit der Hauptvorlesung festgelegt werden. Die Forschung lebt von diesen Achtundzwanzig- bis Vierzigjährigen, ihre schöpferische Tätigkeit muß mit allen Mitteln gefördert werden.

Durch das Wachsen der Forschungsaufgaben und des Lehrbetriebes soll sich das hierarchische System an den Universitäten nicht weiter verfestigen. Alle Hochschullehrer sollen wirklich die Glieder einer Gemeinschaft sein, die in der wissenschaftlichen Arbeit gleichberechtigt sind, wobei dem Ordinarius die Planung, die Koordination und die disziplinare Leitung zusteht. Es sollen deshalb auch die assoziierten Professoren und Dozenten zur Arbeit in der Fakultät herangezogen und die Selbstverwaltung damit intensiviert werden. Es können zahlreiche Aufgaben auf Kommissionen und Ausschüsse übertragen werden, in denen auch die assoziierten Professoren und Dozenten zusammen wirken. Nur die wichtigsten und entscheidenden Beschlüsse sollen von den Ordinarien selbst gefällt werden, wie zum Beispiel Fragen der Berufungen oder der Neugründung von Lehrstühlen sowie grundsätzliche Fragen der Geschäftsordnung.

Es ist jetzt an den Universitäten und es ist an uns, neue Konzepte zu entwickeln. Wir dürfen uns nicht durch den Kampf um Einzelpositionen, wie wichtig sie auch sein mögen, blenden lassen. Wer heute die Idee der neuen Universität gestaltet, dem wird die Zukunft gehören. Dazu ist diese personelle Verjüngung notwendig, dazu ist es notwendig, daß wir ein entsprechendes Forschungsprogramm aufstellen. Dieses Forschungsprogramm kann jedoch nur voll erfolgreich werden, wenn an jeder Hochschule spezielle kombinierte Forschungsinstitute geschaffen werden; an einer medizinischen Fakultät beispielsweise“,ein Forschungsinstitut, das aus Pathologen, Biologen, Biochemikern und Klinikern zusammengesetzt ist. Durch diese Institute, die in den angelsächsischen Ländern den Universitäten meist assoziiert sind, ist der -große wissenschaftliche Fortschritt der letzten Jahrzehnte möglich gewesen. Meines Erachtens sollte das Ministerium selbst die Mittel für diese Forschungsinstitute verwalten und einen Beirat bilden, der sich beispielsweise auf medizinischem Gebiet aus je zwei Theoretikern und Klinikern der Universitäten Wien, Graz und Innsbruck zusammensetzt. Dieser Beirat soll über die Forschungsprojekte entscheiden und ihre Durchführung überwachen.

Alle Anstrengungen der Fakultäten sind jedoch zum Scheitern verurteilt, wenn nicht die Mitarbeit der Studenten gewonnen wird. Diese Mitarbeit ist heute viel leichter gemacht, als sie es vor fünfzig Jahren war. Heute stehen dem katholischen Akademiker alle Möglichkeiten offen — freilich keine Privilegien. Er muß nur kommen und in harter und konsequenter Arbeit davon Gebrauch machen.

Ich halte es allerdings für unmöglich, daß die Universität durch den besten Reorganisationsvorschlag zu neuer Blüte kommen kann, wenn die studentische Jugend ihre Pflicht nicht erfüllt. Gerade heute, da die Forderung nach Bequemlichkeit, nach „Freizeit“ und nach Privilegien von allen Seiten erhoben wird, muß in den Studenten der Leistungswille erhalten bleiben. Dazu gehört auch, daß sie nicht nach dem Studium, das sie auf Kosten ihres Vaterlandes absolviert haben, mit dem druckfeuchten Diplom ins Ausland gehen, nur weil dort etwas mehr zu verdienen ist. Mit dem Willen der akademischen Jugend zur Leistung und zur Arbeit steht und fällt unser Vaterland Österreich.

Wer zurückbleibt, wird überrollt

Wenn sich die akademische Jugend heute fragt: Müssen wir das tun, müssen wir die Herausforderung dieses naturwissenschaftlichtechnischen Zeitalters annehmen?, dann gibt es nur eine Antwort: Ja. Die wissenschaftliche Forschung ist heute zur Lebensfrage geworden und wird über die Lebensfähigkeit von Staaten entscheiden. Wer zurückbleibt, wird überrollt. Ist unser Leistungswille gelähmt, werden wir zum Spielball fremder Mächte, und die Arbeit, die wir heute nicht leisten, werden wir in Sklaverei verrichten müssen.

Ein Wort des Erzbischofs von Wien, Kardinal König, soll uns wegweisend sein: „Die Kirche ist heute Partnerin der Wissenschaft in der Suche nach Wahrheit. Diese Wahrheit, die wir in der Wissenschaft suchen, die wir in Freiheit suchen, ist ständig bedroht. Sie ist durch die gleichen totalitären Mächte bedroht, die auch die Kirche bedrohen. Die Kirche ist heute die erste Verteidigerin der freien Wissenschaft.“

Hier liegt unsere Aufgabe: In der Suche nach Wahrheit, einer Wahrheit in einer Freiheit jedoch, die keine Freiheit der Privilegien ist, sondern in einer Freiheit, deren * Fakultäten und die Studierenden in großer Verantwortung sich die der wissenschaftlichen Forschung, im Lehren und im Lernen, stets bewußt sein müssen. Nur wenn wir bereit sind, diese Freiheit in Verantwortung voll zu tragen, wird es uns gelingen, dieses von den Naturwissenschaften und der Technik bestimmte Zeitalter mit der sittlichen Kraft des Christentums zu durchdringen und zu beherrschen.

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