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Die Vernachlässigung der Universitäten hat Tradition

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Der Staat solle die vernachlässigten österreichischen Universitäten zu freien Unternehmen machen.

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Der Staat solle die vernachlässigten österreichischen Universitäten zu freien Unternehmen machen.

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Trotz großartiger Neubauten stehen die österreichischen Universitäten, wie Wissenschaft überhaupt, in einer Tradition der Vernachlässigung. Vergleiche mit vergleichbaren Staaten haben dies schon seit langem bewiesen. Ys ist fast immer an der Zeit, ein Notprogramm und eine Notstandspolitik zu entwerfen. Die goldenen Zeiten der Ril-dungspolitik sind vorbei. Goldene Jahre der Forschungspolitik hat es kaum gegeben. Die Tradition der Vernachlässigung ist weniger ein materielles als ein ideelles Problem. Abgesehen von einigen Bereichen wie der Medizin rangiert Wissenschaft im politischen Bewußtsein nicht hoch.

Jeder Wissenschaftsminister verstand und versteht „Tradition der Vernachlässigung” als persönlichen Vorwurf. Alle haben sich bemüht. Alle haben es gut gemeint. Aber keinem gelang es, Priorität für Wissenschaft und Forschung zum Grundkonsens der Politik zu machen. Nach Auffassung mancher Politologen kann Politik nur Möglichkeiten verwirklichen, die in der Vergangenheit angelegt sind. Daher ist eine Politik der Vernachlässigung, von Ausnahmeaktivitäten abgesehen, geradezu voraussagbar. Insofern ist die Situation pauschal gesehen besser, als sie sein könnte.

Wer an eine gute, alte Zeit glauben sollte, dem sei die Iektüre der Regierungserklärungen seit 1918 empfohlen. Hat man alle diese politischen Dokumente, die nicht nur Ausdruck unserer Politik, sondern auch Abdruck unserer Kultur sind, gelesen, so weiß man, wie wenig Interesse die Politik an der Wissenschaft im allgemeinen und an den Universitäten im besonderen hatte und hat. Als Langzeitrektor, Vorsitzender der Rektoren-konferenz Fnde der siebziger und Anfang der achtziger Jahre und als Vize-Präsident der UNESCO-Kommission habe ich so meine Erfahrungen. 1980 ging ich mit der Feststellung hausieren, daß die Universität München mehr Rudget und Stellen aufweise als alle österreichischen Universitäten und Kunsthochschulen zusammen. Als Frhard Rusek noch nicht Wissenschaftsminister war, habe ich ihn aufmerksam gemacht, daß die beiden Fbrschungsfonds zusammen nicht einmal eine Milliarde Schilling zur Verfügung hatten. Als Wissenschaftssprecher hat er es nicht geglaubt, als Wissenschaftsminister wußte er es.

Wissenschaft und Lehre müssen individuell und institutionell frei sein. Unsere Gesellschaft lebt immer mehr vom Wissen. Es kommt darauf n, es richtig zu organisieren. Es kommt darauf an, es im Hinblick auf die Zukunft zu bilden. Wir müssen in die Zukunft investieren, wenn wir zukunftsfähig bleiben oder werden wollen. Dabei geht es auch um mehr Freiheit der Universitäten. Es geht um die Refreiung der Universität als Institution.

Der Absolutismus hat die alten Universitäten fast zur Gänze verstaatlicht. Nur Reste der früheren Eigenständigkeit blieben. Aber diese körperschaftlichen und autonomen Kiemente sind gering. In der Staatseinrichtung Universität war und ist die letzte Entscheidung in Angelegenheiten der Vermögens-, Stellen-, Sach-mittel-, Raum- und Finanzverwaltung letztlich Sache des Staates. Bis zur letzten Universitätsreform 1993 hatten die Universitätsorgane überhaupt nur „Antragsautonomie”, aber nicht Entscheidungsautonomie. Ihre institutionelle Freiheit bestand in Antrags-, Vorschlags-, Anregungs-, An-hörungs-, Stellungnahmerechten. Die Reform 1975 hat die Mitbestimmung von Studenten, Assistenten an der Ausübung dieser Rechte gebracht, aber nicht Entscheidungsautonomie. Ansätze dazu bringt die Reform durch das UOG 1993. Es bringt eine Stärkung und Professionalisierung der Uni-Leitungsfunktionen. Es kommt zu einer neuen Unternehmungsführung durch hauptamtliche Rektoren. Ihnen gegenüber üben kollegiale, von allen Gruppen beschickte Organe, eine Ziel- und Kontrollfunktion aus. Dieser Weg zu einer in Ansätzen möglichen institutionellen Autonomie ist ein Reginn.

Denn noch immer muß man fragen: Was kann bei den vielen und dichten Finanz- und Haushaltsrechtsvorschriften, Raum- und Bauverwaltungsregelungen, Dienst- und Besol-dungsvorschrif-ten, Studien-, Prüfungs- und Organisationsregelungen und der Fülle anderer Gesetze, Verordnungen, Erlässe,

Richtlinien und so weiter die neue Universitätsleitung wirklich leisten?

Das beste Management kann nur in etatistischen Strukturzwängen gestalten. Was könnte selbst ein Lee Ia-cocca in seinen besten Jahren als Rektor einer großen österreichischen Universität erreichen? Es ist ja nicht einmal eine Unternehmensführung wie beim ORF möglich. Die Universitäten haben zwar einiges an Programmautonomie, aber weder eine Orga-nisations- und Personal-, noch eine Sach-, Raum- und Finanzautonomie wie der ORF: Noch immer werden die Universitäten in vieler Hinsicht so behandelt, wie nachgeordnete Dienststellen des Rundes. Sie wurden weder aus der Kameralistik ausgegliedert, noch erhielten sie ein Globalbudget. Der ORF hat im Vergleich zu den Universitäten geradezu volle unternehmerische Freiheit. Und doch fordert er aufgrund der geänderten Realitäten eine andere Rechtsform. Die Universitäten sollten ihm darin folgen. Wir können nicht die bestausgestatteten Universitäten der Welt haben, wir können aber die liberalsten haben.

Johannes Anderegg, der Rektor der St. Gallener Universität, stellt die Frage: „Was heißt eigentlich Autonomie?” F.r geht von der Erfahrung aus: „Wer zahlt, schafft an!” Aber was rechtfertige die Annahme, daß eine staatliche Verwaltung mit Ressourcen besser umzugehen wreiß, als eine Universität, die unternehmerisch und selbständig handeln kann? Meines Erachtens sollte der Staat die Universität zum Unternehmen machen, das wie der ORF1 Organisations-, Programm-, Personal-, Planungs-, Finanz-, Raumautonomie hat. Dieses Unternehmen sollte zwar durch das Gesetz einen Leistungsauftrag erhalten, aber im übrigen selbständig sein. Die Uni könnte Privatrechtsträger werden, der einen

öffentlichen Auftrag mit privatrechtlichen Mitteln zu erfüllen hat. Sie be-• kommt das Geld in der Höhe wie bisher vom Staat, wird mehr bei der Verwendung kontrolliert, macht aber alles mit privatrechtlichen Mitteln.

Rlicken wir zurück in die Geschichte: Der absolute Staat hat die Universität immer mehr verstaatlicht. Der liberale Staat hat in dieser Staatseinrichtung den Professoren die individuelle Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre gewährleistest. So wurden Individuen als forschende und lehrende vom staatlichen Gängelband befreit, aber die Institution als solche blieb durch staatliche Rechtsvorschriften gefesselt. Heute geht es nicht mehr um die Freiheit der Wissenschaftler, sondern um die Freiheit der Universität. Sie sollte von den etatistischen Strukturzwängen und die Vielfalt der VerwaltungsVorschriften befreit werden. E,s geht um eine öffentliche Einrichtung mit Privatautonomie. Wollen wir gebändigte oder lebendige Universitäten? Der Weg ins Freie ist schwierig. Aber Freiheit ist deshalb so schön, weil sie so mühsam ist.

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