Hochrisiko-Job Nachwuchsforscher

19451960198020002020

Prekäre Arbeitsverhältnisse, bürokratische Hürden und vor allem mangelnde Perspektiven machen dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu schaffen. Eine akademische Laufbahn gleicht heutzutage einem Marathonlauf mit vielen Stolpersteinen. Ans Ziel kommen nur wenige.

19451960198020002020

Prekäre Arbeitsverhältnisse, bürokratische Hürden und vor allem mangelnde Perspektiven machen dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu schaffen. Eine akademische Laufbahn gleicht heutzutage einem Marathonlauf mit vielen Stolpersteinen. Ans Ziel kommen nur wenige.

Werbung
Werbung
Werbung

Manchmal denke ich mir, jetzt ist der Punkt erreicht, wo ich alles hinschmeiße und mir einen sicheren Job suche. Dann bin ich wieder begeistert von der Arbeit, bis das nächste Projekt abgesagt wird und die Verzweiflung wiederkehrt." Die unattraktiven Arbeitsbedingungen an der Uni trüben der Grazer Zeithistorikerin Ute Sonnleitner die Freude an der an sich spannenden Arbeit. Obwohl sie ihr Studium bereits vor zehn Jahren abgeschlossen hat, lebt sie noch immer von Projekt zu Projekt. Ständig muss sie Ausschau halten nach möglichen Schlupflöchern. Den Kopf frei für die Arbeit hat Sonnleitner nie ganz: "Wenn ich noch mitten im aktuellen Projekt stecke, habe ich schon im Hinterkopf, was ich mir als nächstes suchen könnte", erklärt die 34-jährige Grazerin. Die knappen Ressourcen an den Unis führen auch zu einer negativen Atmosphäre unter den Nachwuchsforschern. "Derzeit streiten sich fünfzig Leute um einen Posten. Da spürt man auch eine latente Anspannung in der Gruppe", räumt sie ein.

Vielen jüngeren Wissenschaftlern geht es ähnlich. Mit langfristigen Perspektiven können nicht einmal mehr international renommierte Leute rechnen, die Preise und Stipendien gewonnen haben. Betroffen von der Prekarisierung ist aber nicht nur die Generation um die 30. Viele der Lehrbeauftragten sind weit über 40 Jahre alt und haben Jahrzehnte in ihre akademische Laufbahn investiert. Dennoch zählen sie an den Hochschulen nur zum nebenberuflichen und externen Personal (siehe Kasten).

Prekariat statt Beamte

Denn die alte Universität mit ihren beamteten Wissenschaftlern ist seit dem Universitätsgesetz (UG) 2002 und der damit verbundenen Ausgliederung aus der Bundesverwaltung Geschichte. "Der gesamte Mittelbau des wissenschaftlichen Personals, also die verschiedenen pre-und postdoc-Stellen, wurde zu einer Gruppe zeitlich befristeter Mitarbeiter", kritisiert Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger von der IG externe LektorInnen und freie WissenschaftlerInnen. "Teilzeitjobs, die wesentlich mehr Arbeit verlangen als sie bezahlen, und fehlende Arbeitsplätze sind zur Regel geworden." Hinzu kommt eine "Kettenvertragsregelung", wonach die Verträge der Wissenschaftler nicht länger als sechs Jahre befristet abgeschlossen werden dürfen. "Ursprünglich zum Schutz der Arbeitnehmer gedacht, führt die Handhabung dieser Regelung dazu, dass die betroffenen Mitarbeiter nach Ablauf ihres Vertrages gehen müssen", weiß Schmidinger. Und das tun sie auch - sei es, sie suchen im Ausland nach einem Job, an einer anderen Universität oder weit weg von der Wissenschaft in der Privatwirtschaft.

Um diesem Exodus der besten Köpfe entgegenzuwirken, spricht sich der Hochschulforscher Hans Pechar für das sogenannte "tenure track"-System aus, ein akademisches Laufbahnmodell nach US-Vorbild. Die zentrale Idee dabei ist, dass Unis ihren Nachwuchs extern rekrutieren. Damit soll ermöglicht werden, dass die objektiv am besten Qualifizierten zum Zug kommen, und nicht die Günstlinge von Professoren. "So könnte auch die Kluft zwischen dem prekären Mittelbau und den Professoren überwunden werden. An den US-Unis gibt es nur eine akademische Profession und nicht diese Standeskämpfe wie hier", betont Pechar. Obendrein gäbe es kein Mentoren-Günstlings-Verhältnis mehr zwischen Professoren und Assistenten, das manche Professoren dazu verleitet, "ihre Assistenten" für eigene Zwecke auszunützen, etwa ihre Namen unter deren Artikel zu schreiben.

Die Grundvoraussetzung für mehr Generationengerechtigkeit an den heimischen Unis wäre allerdings eine bessere Finanzierung. "Es müsste eine bessere Finanzierung pro Studienplatz geben. Dafür braucht es wohl eine Beschränkung der Studienplätze durch Aufnahmeverfahren", so Pechar. Dann könnte man auch jenen Senior Lecturers eine langfristige Perspektive bieten, die sehr viele Lehrveranstaltungen halten, aber derzeit nicht fest angestellt sind.

1000 Euro für Vollzeit-Job

Selbst in den generell besser dotierten technischen Fächern ist die Lage nicht für alle Mitarbeiter rosig. "Obwohl ich zwischen 30 und 40 Wochenstunden arbeite, verdiene ich nur 1000 Euro brutto", erzählt eine Architektin an der TU Graz, die lieber anonym bleiben möchte. Inzwischen wurde ihre Lehrtätigkeit auf eine Lehrveranstaltung wöchentlich heruntergestuft, für die sie 240 Euro brutto erhält. Als Notlösung arbeitet sie nun hauptsächlich als Verwaltungskraft an der TU. Selbst für die Verwaltungstätigkeit hat sie nur einen freien Dienstvertrag erhalten. "Diese Arbeit mache ich vor allem, um nicht ganz den Anschluss an das Institut zu verlieren und auch aus versicherungstechnischen Gründen", räumt sie ein.

Um auf ihre desolate Lage aufmerksam zu machen, wandte sich die 44-Jährige an die vorgesetzten Stellen an der TU und an das Rektorat - ohne Erfolg. "Alle Ansprechpartner haben bloß auf das begrenzte Budget verwiesen." Obwohl ihr Lebensgefährte für die Wohnkosten aufkommt, muss sie inzwischen auf Ersparnisse zurückgreifen. Aber es sind nicht nur die finanziellen Probleme, die ihr Kopfzerbrechen bereiten: "Am meisten belastet mich, dass die Wertschätzung für meine Arbeit fehlt. Es wird als selbstverständlich erachtet, dass ich so billig arbeite, und völlig übersehen, wie viel Zeit und Energie ich da hineinstecke."

Mitarbeiter zweiter Klasse

Als externe Lektorin fühlt sie sich als Mitarbeiterin zweiter Klasse: Weil sie keine Angestellte ist, kommen viele Forschungs-und Förderungsprogramme für sie nicht in Frage. "Ich bin nicht einmal im Mail-Verteiler und erhalte wichtige Infos, etwa zu Tagungen, nicht. Offiziell gibt es uns externe Lektoren ja nicht." So ist es auch schon vorgekommen, dass sie auf private Kosten zu einem Kongress nach Berlin gereist ist. Obwohl ihr Traumjob weiterhin die Wissenschaft wäre, will sie sich dieses Jahr in Richtung Architekturbüro umorientieren. Auch der Kollektivvertrag aus dem Jahr 2009 zwischen dem Dachverband der 21 österreichischen Universitäten und der Gewerkschaft öffentlicher Dienst (GÖD) konnte ihre reale Situation nicht verbessern.

An eine fixe Vollzeit-Anstellung war für sie weiterhin nicht zu denken. In Deutschland liegt die durchschnittliche Beschäftigungsdauer wissenschaftlicher Mitarbeiter mittlerweile gar bei unter einem Jahr, obwohl die meisten drittmittelfinanzierten Projekte zwei bis drei Jahre dauern. Als Reaktion darauf gibt es an manchen deutschen Unis bereits einen "Verhaltenskodex für faire Arbeit". Damit wollen sich die Hochschulen selbst verpflichten, prekäre Beschäftigungsverhältnisse abzubauen. In Hamburg etwa sollen alle offiziellen Promotionsstellen drei Jahre lang laufen.

Auch in Österreich sind die Universitäten immer stärker von sogenannten Drittmitteln - finanziellen Ressourcen von außerhalb der Universität - abhängig. Einerseits wird versucht, die öffentlichen Drittmittelfonds wie etwa den FWF auszuweiten, andererseits will man auch die privaten Drittmittel steigern. Für die betroffenen Forscher ist das Einwerben von Drittmitteln eine bürokratische und mühselige Sache. "Jegliche Finanzierung funktioniert nur mehr über Drittmittel aus unterschiedlichsten Quellen, Unigelder sind gar nicht mehr im Spiel", berichtet Historikerin Sonnleitner. Größere Projekte muss sie über eine eigene Forschungsmanagement-Stelle abwickeln."Wir müssen auch die Gesamtkosten für ein Projekt berechnen, da muss man sich an erfahrenere Kollegen wenden."

Wie ihre Arbeitssituation in drei Monaten aussehen wird, weiß Sonnleitner noch nicht. Sie hat ein neues Projekt in Aussicht - allerdings wieder nur auf Werkvertragsbasis. Eine Zukunftsplanung wird so unmöglich. "Man stellt sich schon die Frage: Kann ich mir je ein Kind leisten? Kann ich überhaupt in Graz bleiben?" Einige ihrer Historiker-Kolleginnen und -Kollegen wollten sich den Stress der ewigen Unsicherheit nicht mehr antun und haben von der Forschung ins solide Lehramt gewechselt. Sie will es noch eine Weile an der Uni versuchen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung