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„Hörer der Rechte” 1948

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Die Vorhut der Nachkriegsstudenten der juridischen Fakultät verließ im Februar die Universitäten, um in die verschiedenen Berufszweige einzuströmen, während die Masse im frühen Herbst zu erwarten ist und der Rest im Jänner nächsten Jahres sein Studium beenden wird. Im Sommer, beziehungsweise Herbst 1949 schließen bereits jene jungen Jahrgänge ab, die durch den Krieg kaum nennenswerte Zeitverluste erlitten haben. Was nun kann von jenen Kriegsteilnehmern erwartet werden, welche ihrer Erwartungen sind gerechtfertigt und — diese Frage ist zur Beantwortung der ersten besonders bedeutsam — unter welchen Gegebenheiten studierten sie?

Als im Oktober 1945 die Hochschulen ihre Tore wieder öffneten, war die Zahl der Inskribenten eine unverhältnismäßig hohe. Nicht nur daß Innsbruck und Graz einen bislang nicht erreichten Andrang zufolge der Unannehmlichkeiten einer Reise nach Wien und dessen ungünstige Lebens- bedingungen für die Studierenden aus den westlichen Bundesländern erlebten, auch Wien verzeichnete von Anfang an regen Zustrom, der sich mit Besserung der Verhältnisse konstant steigerte. Sieben volle Jahrgänge, begannen gleichzeitig ihr Studium und überfüllten die Hörsäle.

1945 stand das Modestudium Medizin noch in voller Blüte (was heute nicht mehr der Fall ist). Daß dennoch die rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultäten dermaßen viele Hörer umfaßten, hat zur Ursache einmal die günstig scheinenden Berufsaussichten, weiter die weitgehende Möglichkeit, das Studium ohne viel Schaden abzukürzen, und schließlich, daß die nicht unbedeutende Zahl derer, die sich zu einem bestimmten Studium nicht hingezogen fühlte, hier den günstigsten Weg zur akademischen „Reife” gefunden zu haben glaubte. So wurde die juridische Fakultät zum Sammelbecken aller nüchtern Überlegenen und Wägenden neben dem Häuflein leidenschaftlicher Vollblutjuristen, die keine Statistik exakt zu erfassen vermag. Andererseits erklären die Professoren übereinstimmend, bei den Kriegsteilnehmern großen Eifer gefunden zu haben und keine Anzeichen von Gleichgültigkeit und Resignation. Steckt doch in jedem der Wille, endlich einen Beruf zu erlangen und für seinen Unterhalt selbst zu sorgen, ja oft nicht nur für seinen Unterhalt, denn etwa jeder sechste Student der älteren Jahrgänge ist verheiratet.

Dem Bemühen nach rascher Absolvierung des Studiums wurde durch Einführung der Kriegssemester verständnisvoll entgegengekommen: je nach Länge der durch Kriegsdienst verlorenen Zeit wurde Kürzung des Studiums bei Aufrechtbleiben aller vorgeschriebenen Prüfungen zugestanden, wobei etwa für mindestens drei verlorene Jahre ein Semester gewährt wurde, für vier Jahre zwei Semester und für fünf oder sechs Jahre höchstens drei Semester, so daß im günstigsten Falle das Jusstudium tatsächlich nur fünf Semester umfaßte. Für die Rußlandheimkehrer sind noch weitgehendere Erleichterungen vorgesehen: zu den Prüfungen kann der Kandidat antreten, sobald er sich dazu geeignet findet; praktisch dürfte das aber keine weiteren Kürzungen mehr ergeben, weil ansonst das Risiko, eine Prüfung nicht zu bestehen, zu groß wird und eine etwaige Reprobationszeit bösen Rückschlag bedeutet, ganz abgesehen von der Unmöglichkeit weiteren Kürzens, ohne die Ausbildung ernstlich zu gefährden.

Diese Kriegssemester wurden meist gleichmäßig auf die drei Studienabschnitte verteilt. Wer zwei Semester zur Verfügung hatte — dies war für die Mehrzahl der Kriegsteilnehmer der Fall —, verwendete sie für den zweiten und dritten Abschnitt.

Wenn eine Regel sagt, für den rechtshistorischen Abschnitt benötige man von den vorgesehenen zwei Semestern fünf Monate zur Prüfungsvorbereitung, von den drei judiziellen Semestern acht Monate und statt der drei staatswissenschaftlichen nur drei Monate (jeweils angestrengtes Studieren), so handelt es sich um eine erprobte Angabe, die zumindest Verhältniszahlen gibt. Gerade der rechtshistorische Abschnitt bereitet Schwierigkeiten, weil ja noch alle Grundbegriffe fehlen und nach diesen erst der umfangreiche eigentliche Stoff verarbeitet werden kann. Hingegen sind drei Semester für den staatswissenschaftlichen Abschnitt reichlich bemessen und in dieser Richtung werden stets Wünche nach Reform des Studienplanes laut. Ein Vorschlag wäre, es dem Studierenden zu überlassen, wie er sechs Semester auf den zweiten und dritten Studienabschnitt aufteilen will. Auch der Studierende versteht voll die Bedeutung des „Romanums”, das schließlich die einzelnen Stücke des Studiums zum einheitlichen Gebäude fügen soll. Wäre es nicht auch angebracht, der Rechtsphilosophie mehr Bedeutung zuzumessen, die gerade geeignet ist, Jus zu mehr als einer Technik zu machen? Viele Hörer vermissen unmittelbar die Praxis vorbereitende Vorlesungen nicht rein rechtlicher Natur. Der Jurist muß auch Psychologe sein, ein noch kaum berücksichtigter Umstand. Welch Interesse für Vorlesungen dieser Art besteht, zeigte der starke Anklang, den eine im vorigen Semester in Innsbruck gehaltene Vorlesung „Die Redekunst des Juristen” fand.

Um in der kurzen Zeit doch alles notwendige Wissen zu erhalten und teils auch aus Bequemlichkeit, besuchte die überwiegende Zahl der Studierenden Rechtskurse. Für Innsbruck liegt die Quote derer, die 1947 sich auf die judiziellen Prüfungen ohne Besuch eines solchen Kurses vorbereiteten, unter 10 Prozent! Aber das war eine typische Nachkriegs- ersebeinung, die bereits im Verblassen begriffen ist.

Diese Studenten, deren Leitsatz „Zeit sparen” heißt, nehmen sich aber doch fast alle am Abend die Stunde frei zum Kochen. Ein Zeichen der Zeit! Das Mittagessen wird in einer der Mensen eingenommen, Frühstück und fast ausnahmslos auch Abendbrot bereitet man sich selbst daheim, um zumindest einmal im Tag satt zu werden. Auch hier ist eine leichte Veränderung infolge der allgemeinen Verbesserung der Lebensbedingungen zu vermerken. Manchesmal werden Spenden aus dem Ausland an die inländischen Hörer verteilt (bestenfalls einmal im Semester), und dieses Semester führt Schweden in Innsbruck eine großzügige und umfassende Frühstücksaktion für Tbc- Gefährdete durch.

Das Studium ist gegenüber früher wesentlich teurer geworden. Ein Monatsbudget des Studenten von 300 Schilling ermöglicht keine besonderen Vergnügungen: Miete 50 bis 70 Schilling, Mittagessen 80 bis 110, Lebensmittelaufrufe (die Menschen sind bestrebt, ein Minimum an Marken abzuverlangen; jeder Studierende erhält die Zusatzkarte B, Kliniker A), pro Semester zirka 100 Schilling Kollegiengelder, Prüfungstaxen (je 35 bis 48 Schilling); dazu noch Straßenbahn und kleinere Ausgaben, manchesmal ein Studienbehelf — das alles summiert sich erschreckend.

Aber die Forderung, allen Begabten das Studium zu ermöglichen, ist überholt. Wer Fähigkeit und Willen zum Hochschulstudium besitzt, wird sich nicht abhalten lassen. Ein hoher Prozentsatz finanziell ungünstig Gestellter (davon gar nicht wenige weibliche Studierende) behelfen sich mit den verschiedensten nebenberuflichen Tätigkeiten, während eine Anzahl von Stipendien bei gutem Studienfortgang und in großzügiger Weise Kollegiengeldbefreiung zur Verfügung stehen. Den Zugang zur Hochschule noch mehr erleichtern, wäre schon deswegen großer Irrtum, weil Österreich ohnedies bereits zu viele Akademiker besitzt und ein Begabter sich bei den heutigen Gegebenheiten keinesfalls abhalten läßt. Schon hier soll das Laue und Mittelmäßige abgehalten werden, während ein hohes Prüfungsniveau die eigentliche Trennung der Spreu vom Weizen zu bringen hat. Mancher auch hat nach dem Krieg sich auf die Universität begeben, um, ohne zu arbeiten, auf Sperrkonto zu leben; freilich, die Währungsreform mit dem Streichen der Sperrkonten praktisch aller Studenten brachte manche ausgleichsbedürftige Härte.

Bei allen kleinen und großen Sorgen bleibt als größte: Was wird nach dem Studium, welche Berufsaussichten öffnen sich? Noch hat die erste größere Gruppe ihr Jusstu- dium nicht beendet und schon sind im Oberlandesgerichtssprengel Linz sämtliche entlohnten Gerichtspraktikantenstellen besetzt. Ein Jahr lang unentgeltlich arbeiten? Gewiß, bei Gericht wird einiger Nachwuchs benötigt und vor allem in der personalmäßig überalteten Verwaltung. Hier nun die Besorgnisse durdi das Beispiel der jüngsten Vergangenheit: am Ende auf die Straße gestellt, ohne sich eines Vergehens bewußt zu sein. Die Konjunktur der Rechtsanwälte verebbt bereits. Die Wirtschaft zeigt wenig Interesse an jungen Kräften. Und doch bald das übergroße Angebot.

Nun ist die Zeit des Rennens um den Stuhl am Schreibtisch, noch sind Plätze frei, noch gibt es so etwas wie Wahl des Berufes.

Die Parole: „Sitzen, nur irgendwo sitzen”, ehe der große Ansturm junger Juristen kommt! Aber was wird aus diesen? Sehen die verantwortlichen Stellen den drohenden Schatten eines geistigen Proletariats?

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