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Bürokratie-Chaos - und keiner ist verantwortlich

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„Gerade jetzt, wo ich meine Diplomarbeit mache, haut mir der Staat ein Hackl ins Kreuz", ärgert sich Student Gottfried S. über die saftige Erhöhung der Krankenkassenbeiträge für Studierende über 27 Jahre. Mißbräuche sollen verhindert werden. Bürokratie droht aber die erhofften Einsparungen aufzufressen.

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„Gerade jetzt, wo ich meine Diplomarbeit mache, haut mir der Staat ein Hackl ins Kreuz", ärgert sich Student Gottfried S. über die saftige Erhöhung der Krankenkassenbeiträge für Studierende über 27 Jahre. Mißbräuche sollen verhindert werden. Bürokratie droht aber die erhofften Einsparungen aufzufressen.

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Gottfried S. wurde Mitte August von „seiner" Krankenkasse mit der „verschärften" Studentenversicherung konfrontiert: Wer ein Einkommen von über 50.000 Schilling jährlich beziehe, oder das Studium im Sinne des Studienförderungsgesetzes gewechselt oder die Mindeststudiendauer ohne wichtige Gründe um mehr als vier Semester überschritten habe oder bereits ein Studium abgeschlossen habe, erhalte nicht mehr den begünstigten Studententarif von 162 Schilling monatlich.

Gottfried wurden drei Möglichkeiten offeriert: die Studentversicherung auf eine allgemeine Versicherung um-zumelden, der dann vorgeschriebene Höchstbeitrag von 2.232 Schilling könne auf Antrag reduziert werden, aber nicht unter 540 Schilling, oder austreten und nicht versichert sein, oder die Studentenselbstversicherung zu 2.232 Schilling im Monat weiterzuführen. Je ein Formular lag bei.

Gottfried S. sollte selbst bis 11. September entscheiden, ob die Bedingungen des Studienförderungsgesetzes, die er selbst nicht kannte, auf ihn zuträfen, da ansonsten die Krankenkasse annehme, „daß die Beitragsgrundlage nicht mehr vorliege"

und den Höchstbeitrag von 2.232 Schilling vorschreibe.

Wie kam es zum Paukenschlag? Bisher konnten Studierende, die nicht mehr bei ihren Eltern mitversichert waren, sich bis zum 35. Lebensjahr zum Studententarif von 324 Schilling versichern, der zur Hälfte vom Wissenschaftsministerium gezahlt wurde. Weil, so ÖVP-Sozialsprecher Gottfried Feurstein, vermehrt selbständig Erwerbstätige nur wegen des begünstigten Studententarifs inskribieren würden, beschloß das Parlament, zu den bisherigen einschränkenden Kriterien nicht abgeschlossenes Studium und kein Einkommen im Sinne des Studienförderungsgesetzes auch die Einhaltung der Mindeststudiendauer plus vier Semester.

Diese Novelle trat nie in Kraft, da sie in der letzten Sitzung des Parlaments vor dem Sommer „nachgebessert" wurde. Grund war die Änderung der Familienbeihilfe, die wieder einheitlich bis zum 27. Lebensjahr gewährt wird, aber nun an einen Leistungsnachweis gebunden ist. Außerdem sollen Härten für Waisenkinder vermieden werden. Da der Leistungsnachweis über Prüfungen von acht Semesterwochenstunden „von den Sozialversicherungsträgern jeweils im Einzelfall zu überprüfen wäre, was einen unzweckmäßigen Verwaltungsaufwand bedeuten würde und zu unzähligen Sozialgerichtsverfahren führen könnte", so das Protokoll des Sozialausschusses, sollen die Finanzämter den Krankenkassen Name, Adresse und Sozialversicherungsnummer jener Studierenden mitteilen, für die Familienbeihilfe bezogen wird. Nicht in der Erläuterung steht, daß - durch einen kleinen Zusatz -verschärfend die Beschränkung der Studienwechsel aus dem Studienförderungsgesetz übernommen wurde.

Da der Herbst-Umstellungstermin blieb und sich die meisten Studierenden - wie auch viele Kassenbeamte -nicht mit den komplizierten Regeln auskennen, steigt der Verwaltungsaufwand zusätzlich zu den Feststellungsverfahren durch zahllose Einsprüche der 30.000 betroffenen Studierenden. Nur die Hälfte der in den Sommerferien Angeschriebenen reagierte bis Ende September, den anderen wurden 2.232 Schilling vorgeschrieben. Einsprüche gegen diese Vorschreibungen sind die Folge. Jene, die sich umgemeldet hatten, bekamen - je nach Bundesland - nach dem Antrag auf Ermäßigung bis zu 600 Schilling vorgeschrieben, obwohl der Hauptverband der Sozialversicherungen der Hochschülerschaft gegenüber einen Mindesttarif von 324 Schilling zugesagt hatte. Mittlerweile schreiben alle Bundesländer problemlos 324 Schilling vor, nur Wien hält bei 540 Schilling. Wem das zuviel ist, muß nochmals zur Krankenkasse pilgern und um weitere Ermäßigung ansuchen. Viele Studierende haben sich umgemeldet, obwohl sie noch Anspruch auf den Studententarif hätten. Auch diesbezüglich werden noch viele Studierende reklamieren.

Immerhin wird bei der Studiendauer für jeden Abschnitt noch ein Toleranzsemester zusätzlich gewährt, damit wenigsten jene, die nicht wesentlich über der durchschnittlichen Studiendauer liegen, noch Chancen auf den ermäßigten Tarif haben.

Auch mit den Studienwechsel gibt es Probleme, weil bisher der formale Studienablauf wenig Bedeutung hatte, die neuen Regeln aber rückwirkend gelten. Inskribierte jemand zwei Studien und hat das zuerst begonnene abgebrochen, so hat er schon zwei Studienwechsel. Mehr als zwei Wechsel im ersten Abschnitt führen nun zum Verlust des Studententarifs. Ist der Student beim Abbruch des zweiten Studium mit dem ersten bereits im zweiten Abschnitt, so hat er keine Chance mehr, denn im zweiten Studienabschnitt darf er sein Studium kein einziges Mal mehr ändern. Weitere Detailprobleme sorgen für viel Arbeit und könnten noch die Gerichte beschäftigen.

Besondere Härtefälle gibt es unter Studenten, die mit Werkverträgen ihren Unterhalt verdienen müssen. Sie bekommen den Mindestbeitrag für selbstständig Erwerbstätige von 792 Schilling vorgeschrieben, was einem Lohn von 13.500 Schilling entspräche. So soll nun ein Architekturstudent, der jährlich 30.000 Schilling per Werkvertrag verdient, fast ein Drittel seines Einkommens für die Krankenkasse zahlen.

Für die Politik ist der Fall erledigt - die Krankenkassen sind Selbstverwaltungskörper. Elisabeth Theufl von der Beitragsabteilung der Wiener Gebietskrankenkasse beteuert, bloß beschlossene Gesetze umzusetzen. Der Hauptverband der Sozialversicherung wiederum kann zwar Empfehlungen geben, diese aber nicht zwangsweise durchsetzen. Kurz: niemand fühlt sich verantwortlich.

Sogar für die unter 27 Jahre alten Studenten scheint die Rechnung noch nicht aufzugehen, denn weder hat das Finanzamt ihre Sozialversicherungsnummer noch kann es sie bereits haben: die erste Übermittlung ist nämlich erst im nächsten Jahr fällig.

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