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Digital In Arbeit

S 10,- pro Zeile für Dante

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Daß sich am Bezahlungsmodus des ORF für seine freien Mitarbeiter etwas geändert hat, bemerkten die Betroffenen zunächst an einem neuen bürokratischen Zwischenspiel: während früher ein grüner Zettel im ORF-Briefumschlag zugleich Urheberrechtsvertrag und Benachrichtigung über den erfolgten Überweisungsauftrag war, darf der Autor derzeit zwischen Ablieferung und Geldauszahlung einen weiteren Zettel unterschreiben, welche Unterschrift erst die Ausfüllung des bisherigen und weiterhin grünen Zettels seitens der ORF-Bearbeiter bewirkt. Fazit: zwischen Aufnahme und Bezahlung haben sich weitere vierzehn Tage des Bürokratieumlaufes geschoben.

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Daß sich am Bezahlungsmodus des ORF für seine freien Mitarbeiter etwas geändert hat, bemerkten die Betroffenen zunächst an einem neuen bürokratischen Zwischenspiel: während früher ein grüner Zettel im ORF-Briefumschlag zugleich Urheberrechtsvertrag und Benachrichtigung über den erfolgten Überweisungsauftrag war, darf der Autor derzeit zwischen Ablieferung und Geldauszahlung einen weiteren Zettel unterschreiben, welche Unterschrift erst die Ausfüllung des bisherigen und weiterhin grünen Zettels seitens der ORF-Bearbeiter bewirkt. Fazit: zwischen Aufnahme und Bezahlung haben sich weitere vierzehn Tage des Bürokratieumlaufes geschoben.

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Die dann ausgewiesene Summe ist allerdings gegenüber dem Jahresbeginn etwas gestiegen: seit dem 1. März 1976 gibt es erstmals offizielle Mindesthonorare für die freien Mitarbeiter in Hörfunk und Fernsehen. In langen Verhandlungen setzte man die möglichen Spielarten frejer Mitarbeit fest, wobei vor allem als Pioniertat die Beschreibung journalistischer und schöpferischer Betätigung unternommen wurde (technisches Presonal, aber auch Schauspieler und Sprecher sind in Österreich gewerkschaftlich schon seit längerem gut vertreten und daher bei Honorarverhandlungen ernst zu nehmendere Verhandlungspartner als die „Kreativen“, in deren Namen unzählige Vereine — von der Künstlerunion bis zur Journalistengewerkschaft — mit den ORF-Gewaltigen ihre Gagen aushandeln).

Das Thema wird seitens des ORF als „heikel“ bezeichnet: während ein Regisseur oder ein Schauspieler seinen Marktwert hat, ist bei Gestaltern und Autoren der Rundfunk der einzig mögliche Arbeitgeber. Ob aber der Rundfunk von den Autoren oder die Autoren vom Rundfunk abhängen — das ist allemal eine Frage des längeren Astes.

Die entscheidende Monstersitzung auf dem Küniglberg tagte vom 9. Jänner; 14 Uhr, bis zum 10. Jänner, 10 Uhr. Danach wurden auf elf eng beschriebenen Seiten alle Varianten freier Mitarbeit beim Fernsehen, auf zehn Seiten jene des Rundfunks festgehalten und mit entsprechendem Honorar ausgewiesen.

Wichtigste Neuerung: Gestalterhonorare wurden stärker angehoben als die übrigen, sagt der ORF. Die Sache ist freilich nicht leicht zu überprüfen, weil es bisher zumin-des offiziell keine Honorarlisten gab. „Unter der Hand“ allerdings hatten freie Mitarbeiter sie doch auch schon vorher. Da gab es den Punkt „Interviews und Reportagen“, wofür pro Minute 35 Schilling (mindestens 400 Schilling bis zu fünf Minuten) vorgesehen waren. Neuer Tarif: Interview nach Anweisung trägt bis fünf Minuten 250 Schilling; darüber pro Minute 30 Schilling (also weniger als vorher); ein selbständiges Interview bringt jetzt bis fünf Minuten 400 Schilling, darüber pro Minute 50 Schilling (also etwas mehr als bisher). Nachrichtensammler erhalten nach wie vor pro Nachricht 50 Schilling.

Die Liste ließe sich mit dem Ergebnis fortsetzen, daß im großen und ganzen die bisher geltenden Honorare weiterhin gezahlt werden. Allerdings: die festgehaltenen Sätze sind Mindesthonorare; im Einvernehmen mit dem jeweiligen Abteilungsleiter können bessere Zahlungen ausgehandelt werden und es gibt dafür auch Grundlagen — so etwa erhöhte Beträge bei „Sendungsteilen oder Sendungen mit erhöhtem Gestaltungsaufwand“, die statt mit 500 Schilling mit 600 Schilling pro fünf Minuten honoriert werden. Es hängt von der Geschicklichkeit des Autors ab, ob er seinen Beitrag als besonders schwierig darstellen kann — und natürlich vom Wohlwollen des Redakteurs.

Auch wenn laut offiziellen Mitteilungen die Gestalter bei den neuen Honorarsätzen besser abgeschnitten haben als das technische Personal, wird die geistige Arbeit immer noch relativ niedrig eingeschätzt:

Die Kosten bei einem Fernsehspiel oder Fernsehfilm setzen sich folgendermaßen zusammen: der Ori-?inalautor erhält pro Minute 500 Schilling (bei einer Stunde also 30.000 Schilling). Der Regisseur des nämlichen Stückes erhält bis 60 Minuten 50.000 Schüling (bei Märchen allerdings nur 20.000 Schilling); der Schauspieler in der Hauptrolle erhält dasselbe wie der Autor, nämlich 30.000 Schilling.

Ähnlich liegt die Sache bei der Musik. Für einen Operndirigenten werden 75.000 Schilling zur Verfügung gestellt, der Komponist erhält pro Minute 800 Schilling. Bei einer Dauer von 90 Minuten also ein ähnliches Honorar wie der Dirigent, nämlich 72.000 Schilling.

Der Regisseur erhält also jetzt doppelt soviel wie der Autor, der Dirigent gleichviel wie der Komponist: liegt es da nicht nahe, wieder einmal vom Dichter als dem Clown der Gesellschaft zu sprechen? Denn es kommt noch etwas hinzu. Während Regisseur und Dirigent eine Pauschalsumme erhalten, die auch bei kürzeren Sendungen voll ausgezahlt wird, muß der Autor oder Komponist in Minuten rechnen — eine durchaus problematische Vorgangsweise.

Interessant auch ein Vergleich zwischen Fernsehen und Hörfunk: für dieselbe Minute, für die ein Drehbuchautor im Fernsehen 500 Schilling erhält, bekommt der Hörspielautor nur 245 Schilling pro Minute honoriert, also weniger als die Hälfte.

Nun sind gerade die Gestalter der vielen kleinen Sendungen und Sendungsteile wirtschaftlich dem ORF als dem einzig möglichen Brötchengeber ausgeliefert. Anders als in der Bundesrepublik, haben nur wenige freie Mitarbeiter die feste Anstellung eingeklagt: man befürchtet, daraufhin zwar zunächst angestellt, bei der nächsten Gelegenheit jedoch auf Nimmerwiedersehen gekündigt zu werden. Viele tägliche Kleinigkeiten erregen die Gemüter der Mitarbeiter, erreichen aber den Verhandlungstisch wohlweislich nicht, um nicht Gelegenheit zu willkommener Ablenkung zu bieten. So etwa das Anrecht auf einen Parkplatz, das ein freier Mitarbeiter nicht erreicht: oder der absurde Zwang, Essensmarken für die Kantine auf fremde Namen kaufen zu müssen, weil diese Marken nur an feste Angestellte ausgegeben werden. 1 >

Wesentlicher ist schon der kleine Unterschied zwischen dem „E“ und dem „L“ auf den Kassazetteln: „E“ bedeutet „Einkommensteuer', „L“ „Lohnsteuer“. „E“ erhalten alle Gestalter, die damit als „Freiberufler“ gelten — und auch bei fast voller Wochenstundenzahl im ORF nicht in den Genuß sozialer Leistungen kommen. Hat man ein „L“, wie etwa eine Cutterin, so erwirbt man sich mit einer bestimmten Stundenzahl auch das Anrecht auf Krankenkasse und Urlaubsgeld. Was es für die „E“-Leute nicht gibt...

Aber auch die Honorare halten „E“-Leute für dieses Minus nicht schadlos. So erhalt ein Autor wissenschaftlicher oder literarischer

Arbeiten bis fünf Minuten 500 Schilling; der Sprecher aber, der diese Arbeit liest, kassiert pro Sendung 510 Schilling. Liest der Autor selber — was er zur Unlust der Gewerkschaft manchmal tut, etwa um sein Einkommen aufzubessern und in der Einbildung, nur er. selbst könne den rechten Tonfall finden) —, so kassiert er nur um 100 Schilling mehr. Dafür, daß er die Idee gehabt, recherchiert, interviewt, getippt, beim Schneiden aufgepaßt und womöglich auch der Aufnahme beigewohnt hat, ist das Honorar einigermaßen mager.

Ein Stiefkind sei abschließend zitiert: die Lyrik. Obwohl das Prinzip angestrebt wird, die Gesamtleistung und nicht die Maßeinheiten zu honorieren, wird im Hörfunk für Lyrik ein Beitrag von 10 Schilling pro Zeile ausgewiesen. Legt man Dantes ■ „Inferno“ in Hörfunkzeilen um, dann umfaßt es 4720 Zeilen; Dante hätte also im ORF 47.200 Schilling für ein Drittel seiner „Göttlichen Komödie“ kassieren können. Auch die Fernseh- und Hörfunkgewaltigen wissen es: schöpferische Leistung läßt sich eben schwer in Minuten umsetzen.

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