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Schatten über den Renten

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Die finanzielle Lage unserer Rentenversicherungsträger ist derzeit durchaus unerfreulich. Zum 30. September 1962 gab es bei einer Gesamtbevölkerung von etwa sieben Millionen 1,1 Millionen Rentenempfänger — 1945 waren es erst 300.000 —; rechnet man die Familienangehörigen hinzu, so lebt etwa ein Drittel der Bevölkerung von Renten, wobei noch zu berücksichtigen ist, daß bei der ständig zunehmenden Lebenserwartung sich die Situation noch weiter verschlechtern wird. Im Jahre 1962 hatten die Rentenanstalten 18 Milliarden Schilling auszuzahlen, und durch die Durchführung der 5. Etappe der Rentenreform ab 1. Jänner 1963, die die Renten von rund 500.000 Sozialpensionisten erhöht, werden diese Ausgaben um eine weitere Milliarde Schilling ansteigen. Von dieser 3. Etappe der Rentenreform erhofft sich aber die österreichische Wirtschaft eine zusätzliche Nachfrage nach Konsumgütern, ohne daß, wie etwa im Falle von Lohnerhöhungen, sich gleichzeitig die Kosten der Unternehmungen erhöhen.

Die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vermochte, obwohl sie einen ständig steigenden Bundesbeitrag erhält - er belief sich 1962 auf 1178 Millionen Schilling —, bisher nicht mehr als die Rentenauszahlung für einen einzigen Monat zurückzulegen. Auch die Gebarung der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, die bisher vom Bund keine Unterstützung in Anspruch nahm, wird

1962 erstmalig einen Abgang aufweisen, nachdem sie noch 1959 einen Gebarungsüberschuß von 113 Millionen Schilling zu verzeichnen hatte. Im laufenden Jahr 1963 wird sich dieser Abgang dadurch erheblich erhöhen, daß dem durch die 3. Etappe der Rentenreform entstehenden Mehraufwand keinerlei neue Einnahmen gegenüberstehen.

Auch bei der Versicherungsanstalt des österreichischen Bergbaues gehen die Beitragseingänge seit der Kohlenkrise von 1957 und der seither erfolgten Abwanderung von 5000 Arbeitskräften aus dem Kohlenbergbau tändig zurück. Eine Mehrbelastung von etwa 77 Millionen Schilling brachte allein die notwendige vorzeitige Pensionierung älterer Bergarbeiter mit sich; es hat sich aber auch seit der durch die Rentenreform durchgeführten Erhöhung der Renten der Bundesbeitrag für die Empfänger von Ausgleichszulagen vermindert und sich gleichzeitig damit die Belastung der Anstalt erhöht. So rechnet man denn in der knappschaftlichen Pensionsversicherung für 1963 mit einem Defizit von 103 Millionen Schilling, während noch 1960 ein geringfügiger Gebarungsüberschuß von 6,4 Millionen vorhanden war.

Am kritischesten aber erscheint die Lage bei der 1 a n d- und forstwirtschaftlichen Sozialversicherungsanstalt, wo derzeit schon auf einen Versicherten ein Rentner entfällt und wo allein ein Zuschuß von 282 Millionen Schilling notwendig wäre, um die bisher aufgelaufenen Schulden abdecken zu können. Wie in der knappschaftlichen Pensionsversicherung so liegt auch hier der Grund für diese üble finanzielle Situation in der Abwanderung der Versicherten, in der Landflucht; der Anteil der landwirtschaftlichen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung sinkt eben dauernd. Die Durchführung der Rentenreform mit ihren drei Etappen hat der Anstalt überdies eine Mehrbelastung von 150 Millionen Schilling gebracht. Um die Differenz zwischen den Beitragseingängen und den Rentenauszahlungen auszugleichen, wird für

1963 ein erhöhter Bundesbeitrag von 718 Millionen Schilling notwendig sein; für 1962 betrug er 589.5 Millionen Schilling.

Ist jetzt Zeit für „Dynamik“?

Bei allen diesen enormen Ausgaben der Rentenversicherungsträger sind die auf den einzelnen Rentner im Durchschnitt entfallenden Leistungen auch heute noch gering. Im Dezember 1960, also unmittelbar vor der mit dem 1. Jänner 1961 einsetzenden 1. Etappe der Rentenreform, betrug die monatliche Durchschnitts altersrente: bei Arbeitern 783 Schilling, bei Landarbeitern 717 Schilling, bei Angestellten 1287 Schilling, und bei Bergarbeitern 1281 Schilling. Hingegen belief sich die monatliche Durchschnittswitwenrente bei Arbeitern auf 454 Schilling, bei Landarbeitern auf 434 Schilling, bei Angestellten auf 568 Schilling, und bei Bergarbeitern auf 514 Schilling.

Im heurigen Jahr werden sich nach Durchfühung der dritten und letzten Etappe der Rentenreform die Durchschnittsbeträge der Altersrente um etwa 350 Schilling monatlich, die der Witwenrente um etwa 175 Schilling erhöhen. Erreicht die einzelne Witwenrente nicht die durch den Richtsatz festgesetzte Höhe von 750 Schilling, so wird sie allerdings durch die vom Bund aufgebrachte Ausgleichszulage auf diesen Betrag aufgestockt, aber nur dann, wenn kein sonstiges Einkommen vorhanden ist. Daß die Rentenreform in einzelnen Fällen — es fand ja bei den Angestelltenrentnern eine individuelle Durchrechnung der Sozialpensionen statt — den Rentner viel besser stellte, als der Durchschnitt zeigt, vermag natürlich das Gesamtresultat nicht zu verbessern.

Aber selbst dann, wenn es zu keinen weiteren Leistungsverbesserungen kommen sollte, werden die Ausgaben der Versicherungsträger rasch weiter ansteigen, weil der sogenannte B e-harrungszustand, das heißt jene Phase, in der der Abfall an Renten sich mit dem Neuzuwachs von solchen die Waage hält, noch keineswegs erreicht ist. Entfielen im Jahre 1957 auf 100 Versicherte noch 35,8 Rentner, so waren es 1961 schon 37,1 Rentner und für 1975 sieht man bereits 44 Rentner voraus, die durch die Beiträge von 100 Versicherten erhalten werden müssen.

In Etappen ansteigend

Und unter solchen Umständen, bei einer solchen kritischen finanziellen Lage unserer Rentenversicherung möchte man nun die dynamische Rente, die tatsächlich ihre Krönung und die Vollendung des gToßen Werkes der sozialen Sicherheit darstellen würde, einfuhren. Ein diesbezüglicher Initiativantrag der SPÖ liegt seit Jahresfrist in der Einlaufstelle des Nationalrates. Aber die Erfahrungen mit ihr in der Deutschen Bundesrepublik — solche aus Frankreich, wo sie gleichfalls existent ist, liegen nicht vor —

zwingen zur höchsten Vorsicht. In Deutschland wird man wahrscheinlich schon zum 1. Jänner 1964, soferne man noch eine weitere Rentenanhebung durchführen will, den Beitragssatz auf 18 bis 20 v. H. vom Arbeitslohn oder Gehalt hinaufsetzen. Im übrigen sollten wir nicht vergessen, daß unser Rentensystem einiges vor dem deutschen voraus hat. Bei uns erhält der Sozialpensionist seine Rente vierzehnmal, in der Bundesrepublik hingegen nur zwölfmal, und bei uns wird in die Bemessungsgrundlage der Rente eine Sonderzahlung einbezogen, was dortzulande unbekannt ist. Gar so sehr hinkt also unser Rentner dem deutschen keineswegs nach. Heute schon von einem Sozialbeirat zu sprechen, der unserer Regierung in dieser Frage zur Seite zu stehen hätte, ist natürlich völlig verfrüht; es wäre eher zu empfehlen — von Graz aus wurde es kürzlich angeregt —, ein Team von Fachleuten kurzfristig in die Bundesrepublik und nach Frankreich zu senden, das dann der Regierung über die von ihm gemachten Beobachtungen zu berichten hätte. Nun, der SPÖ-Sozialversicherungsexperte, Nationalrat und Direktor der Sozialversicherungsanstalt der Arbeiter in Wien, Robert U h 1 i r, ist in dieser Frage gleichwohl sehr optimistisch, er sieht keine Gefahren, wenn man vorsichtig kalkuliert. Ob er recht hat?

Ruhe sanft in der Einlaufstelle

Und nun noch eine berechtigte Frage: Was ist jetzt eigentlich mit den Ruhensbestimmungen des A S V G, deren Ausdehnung . auf die selbständig erwerbstätigin Rentner zu Beginn des Vorjahres geradezu eine Volksbewegung j dagegen ins Leben rief, und die damals Bundeskanzler Dr. Gorbach veranlaßte, einen Koalitionsunterausschuß unter dem Vorsitz Dr. Pittermanns mit Ider Entschärfung dieses Problems zu beauftragen? Die beiden Koalitionspartner einigten sich wohl damals über eine Milderung der Ruhensbestimmungen und nahmen zahlreiche weitere Verbesserungen in der PensionsVersiche-rung in Aussicht, so die Erhöhung des Hilflosenzuschusses und der Ausgleichszahlungen, die Nachzieb-ung der Pensionen usw. Das einsetzende Wahlfieber ließ aber diesen sogenannten Pittermann-Plan nicht mehr zur Regierungsvorlage ausreifen. Er wurde dann als Initiativantrag der SPÖ kurz vor Auflösung des Nationalrates eingebracht und liegt seither gemeinsam mit dem Initiativantrag der gleichen Partei über die Einführung d«Jr dynamischen Rente in der Einlaufstelle des Nationalrates. Angesichts der vorgeschilderten kritischen finanzielljen Lage der Rentenversicherung ist j jedoch kaum anzunehmen, daß sich jemand ■ bereitfinden wird, die“ für die Realisierung des Pittermann-Planes erforderlichen 890 Millionen Schilling bereitzustellen.

Wird nun also die Ruhen: bestim-mung des § 94 ASVG bei seil «tändig erwerbstätigen Rentnern in de:' Praxis angewendet oder nicht, nachdem man sich doch von Anfang an darül)er klar war, daß sie undurchführbar sei? Mit Ausnahme der Pensjonsversicherungsanstalt der Angestellten haben sich alle übrigen Rentenviersiche-rungsträger darauf beschränkt, in einem Rundschreiben ihre Rentner über die neue Rechtslage zu informieren. Weiter wurde nichts getan Lediglich die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten stellt bei Rantenzu-erkennungen an selbständig Erwerbstätige „vorsorglich“ einen völlig willkürlich festgesetzten Betrag ruhend, ein Vorgang, der im Gesetz Keinerlei Deckung findet. Sie unterläßt es hierbei, bescheidmäßig zu entscheiden, wozu sie nach dem ASVG verpflichtet wäre, und gibt, um eine Klage vor dem Schiedsgericht zu vermeiden, lediglich eine Verständigung heraus. Sie übersieht dabei geflissentlich die diesbezügliche Rechtssprechung der Gerichte, die in solchen Fällen der bloßen Verständigung alle Rechtswirkungen eines Bescheides zuerkennt. So wird sich denn das Obergeticht in Wien in Kürze mit einem dei artigen Testfall zu befassen haben.

Frohe Kunde kommt uns nur aus dem Justizministerium. Dort Jiat der so geschäftige Minister Dr. Broda alle Vorbereitungen für eine Neu 5 r g a-nisation unserer Sozialgerichte getroffen. Vor allem sollen aber trotz des Richtermangels die Schiedsgerichte der Sozialversicherung mit dort hauptberuflich tätigen Richtern besetzt werden. Es soll in Hinkunft nicht mehr vorkommen, daß die an sich schon überbelasteten Richter noch nebenberuflich bei den Schiedsgerichten amtieren. Das macht ein Eingehen auf die Problematik des Einzelfalles vielfach unmöglich und wirkt sich oft zum Nachteil des meist nicht rechtsfreundlich vertretenen Klägers, des Rentenwerbers, aus. Es ist hohe Zeit, daß hier Abhilfe geschaffen wird.

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