6668052-1960_46_05.jpg
Digital In Arbeit

Das Erreichte

Werbung
Werbung
Werbung

In Graz fand kürzlich eine Rentnerversammlung statt. Etwa 800 Personen hatten sich eingefunden, stellvertretend für jene Million Rentner, die Österreich gegenwärtig besitzt. Es bleibe unerwähnt, wer die Versammlung einberufen hat, wichtiger ist: Kaum jemals sah man noch so viele alte, dürftig gekleidete, kranke, verhärmte und verbitterte Menschen beisammen. An ihnen, das war nur zu sichtbar, war das österreichische Wunder bisher beharrlich vorbeigegangen, ihnen war der ihnen gebührende Anteil am Nationalprodukt bisher versagt worden. Aber, wie sie dann den Worten des Referenten über die kommende Rentenreform lauschten, da ging ein Leuchten über ihre Gesichter, ein Abglanz jenes nahen Glückes, das ihnen die Monate nach dem 1. Jänner des kommenden Jahres bringen sollen. Und eines wurde uns zur Gewißheit, welche Opfer auch immer die Gesamtheit nunmehr zur Finanzierung der Rentenreform bringen muß: sie müssen gebracht werden, wenn wir vor unserem christlichen Gewissen bestehen wollen.

Wir möchten, wie bereits erwähnt, jede Politik beiseite lassen und uns daher zu den Auseinandersetzungen zwischen den Regierungsparteien, mögen sie jetzt den Inhalt der Rentenreform selbst oder deren Bedeckung betreffen, nicht äußern; hier interessiert nur das, was schließlich für die Rentner erreicht wurde, und da natürlich vor allem die uns zunächstliegende, mit dem 1. Jänner 1961 einsetzende erste Etappe der Rentenreform. Erinnert sei daran, daß die Aufwertung der niedrigsten Renten bereits durch die Erhöhung des Mindestsatzes (Richtsatzes) und der Ausgleichszulagen ab 1. November d. J. vorweggenommen wurde. Die Mindestrenten betragen seither einschließlich der Wohnungsbeihilfe 710 Schilling monatlich für den ledigen und 1030 S für den verheirateten Rentner. Hin-gewiesen sei auch darauf, daß der Inhalt der Rentenreform auf Grund der Parteieneinigung bis heute nur in großen Zügen festgelegt ist und daß der Koalitionsausschuß für Sozialversicherung in diesen Tagen intensivste legistische Kleinarbeit verrichten muß, um die Vereinbarungen in einen Entwurf für die Regierungsvorlage umzugießen. Ministerrat und Nationalrat warten bereits auf die Überreichung, und die Zeit drängt.

Was wird die große Rentenreform den Rentnern also bringen? Zunächst das erste Drittel der in drei Abschnitten vor sich gehenden Aufwertung aller vor dem Jahre 1960 zuerkannten, heute noch laufenden Renten auf das jetzige Rentenniveau, wobei alle bisherigen

Bremsen hinsichtlich der Höchstbemessungs-grundlage — sie soll ab 1. Jänner 1961 in gleicher Höhe mit der Höchstbeitragsgrundlage 4800 Schilling betragen — fallen werden. Diese Nachricht wird vor allem jene Angestellten-rentner aufatmen lassen, die sich seinerzeit auf leitenden Posten befanden und Gehälter in dieser Höhe oder noch darüber bezogen. Abgesehen von diesen Einzelfällen wird nach Durchführung der Rentenaufwertung, deren letzte und dritte Etappe in das Jahr 1963 fällt, eine im Jahre 1944 zuerkannte Rente um etwa 50 Prozent, eine 1956 zugesprochene Rente um 30 Prozent und eine aus dem Jahre 1959 stammende Rente um etwa 6 Prozent erhöht sein. Wir müssen die Rentner allerdings zur Geduld mahnen, vor dem kommenden Juli werden sie kaum das ihnen gebührende erste Drittel der Aufwertung erhalten, gilt es doch, etwa 700.000 Renten zum Teil sogar individuell durchzurechnen.

Mit der D y n a m i k der Rente nach bundesdeutschem Muster, das heißt mit der automatischen Anpassung an das jeweils geltende Lohn-und Preisniveau, ist es einstweilen nichts, das hätte zuviel gekostet; doch sind sich die Parteien darüber einig, daß das Problem weiter im Auge zu behalten ist.

Und jetzt ein ganz großer Erfolg für die Rentner: Die Renten-Ruhensbestim-mungen werden zum Großteil aufgehoben! Es fallen die 91, 92 und 93 des ASVG; das heißt, in Hinkunft vermag eine Rentnerin ungekürzt die Witwenrente neben der selbsterworbenen Rente, ein Unfallsrentner ungekürzt die Rente aus der Pensionsversicherung und ein Bundespensionist ungekürzt eine außerhalb des Staatsdienstes auf Grund einer Privatanstellung erworbene Rente aus der Pensionsversicherung zu beziehen. Nur eines trübt die Freude darüber: Die Koalition hat sich bisher nicht entschließen können, auch die Ruhens-bestimmung des 94 ASVG aufzuheben, die jenen Fall behandelt, wo ein Rentner, um seine prekäre Lage zu verbessern, eine kleine Nebenbeschäftigung antritt und die Rente in dem Moment gekürzt wird, wo er mehr als 500 Schilling monatlich verdient, beziehungsweise die Summe aus Rente und Entgelt 1300 Schilling monatlich überschreitet. Hier soll lediglich der monatliche Freibetrag auf 650 Schilling erhöht werden. Und doch muß auch diese von den Rentnern als besonders drückend empfundene Bestimmung fallen, denn ihre Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof steht vor der Tür. Im Juli dieses Jahres hat die Steiermärkische Landesregierung — man kann ihr dafür nicht genug dankbar sein — gemäß Artikel 140 der Bundesverfassung beim Verfassungsgerichtshof die Über-piüfung des sie zunächst interessierenden 93 ASVG auf seine Verfassungsmäßigkeit beantragt; im Dezember dürfte darüber verhandelt werden. Da dieser Gerichtshof bereits die im Gehaltsüberleitungsgesetz für die Bundesbeamten enthaltenen Ruhensbesrimmungen für verfassungswidrig erklärt hat, dürfte er nicht zögern, auch die analogen Bestimmungen des ASVG in ihrer Gesamtheit aufzuheben. Warum also einen bereits verlorenen Posten grundlos noch bis zum Letzten verteidigen? Prestigefragen sollte es in der Sozialpolitik nicht geben!

Die erste Etappe bringt ferner am 1. Juli 1961 die Auszahlung einer halben vierzehnten Rente; ab 1962 wird diese dann zur Gänze ausbezahlt. Was weiter besonders zu begrüßen ist — die Witwen aller jener Arbeiter, die vor dem 1. Jänner 1939, also vor der Einführung der Arbeiterrentenversicherung in Österreich, starben, die also bisher ohne Witwenrente waren, werden ab 1. Jänner 1961 eine solche erhalten; eine frohe Botschaft für sechstausend alte Frauen, die bis jetzt nur von der Fürsorge lebten. Auch der zu den Renten gebührende Kinderzuschuß wird vom kommenden Jahr an auf mindestens 50 Schilling monatlich erhöht werden.

Als sehr bedeutsam wird sich die stufenweise Herabsetzung des möglichen Anfallalters für die Altersrente bei Männern von 65 auf 60 und bei Frauen von 60 auf 55 Jahre erweisen; das kommende Jahr bringt zunächst die Herabsetzung von 65 auf 64, beziehungsweise von 60 auf 59 Jahre. Den Problemen der Sozialpolitik Fernstehende werden zwar sagen: Wozu denn, heute in der Zeit der Konjunktur? Aber die gegenwärtige Konjunktur hat diese Altersklassen nicht mehr erreicht, sie konnte sie auch gar nicht erreichen, denn hier geht es um nicht mehr voll arbeitsfähige Personen, zu krank für den Arbeitsprozeß, zuwenig krank für die Invaliditätsrente und so nur auf die Arbeitslosenunterstützung angewiesen. Diesen Menschen soll durch die vorerwähnte Maßnahme geholfen werden.

Es wäre wünschenswert, wenn nunmehr alle Zänkereien im Zusammenhang mit der Rentenreform, dieses gegenseitige Beschuldigen und Vorwürfemachen, endlich aufhören würden und wenn jeder Österreicher, der noch im Arbeitsprozeß steht, das Gefühl hätte, hier habe er eine Schuldigkeit beglichen, und sei es auch nur deshalb, weil er selbst einmal Rentner werden' wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung