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Dunkle Wolken über dem Alter

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Die Koalitionsparteien haben in der Rentenfrage nach stürmischen Vorzeichen, die auf ernste Differenzen schließen ließen, wieder an den Verhandlungstisch zurückgefunden. In einer längeren Sitzung des zuständigen Ausschusses einigten sich die Verhandlungspartner über die Reihenfolge bei der Behandlung der Renten-reformpläne. Zunächst werden die im Sozialministerium eingelangten Stellungnahmen zur 8. Novelle des ASVG besprochen und in der nächsten Sitzung am 30. September die Experten ihre Berichte abliefern. Die Grundlagen sind: der Ministerialentrwurf einer 8. Novelle zum ASVG samt den inzwischen eingelangten Gutachten der Kammern und Behörden, das Forderungsprogramm der Gewerkschaft der Privatangestellten, das von deren Obmann, Abgeordnetem Hillegeist, konzipiert wurde, der sehr detaillierte Rentenreforrnplari der SPÖ, dem“ noch ein Bedeckungsnachweis folgen soll, und ein ganz kurzer Grundsatzplan der ÖVP, der erst nach der Rückkehr ihrer nach Bonn entsandten Expertendelegation näher ausgeführt werden wird. Sehr zu begrüßen ist es, daß diesmal der Finanzminister ausdrücklich seine Bereitschaft zur Mitwirkung im Rahmen des für ihn möglichen betont hat.

Es steht außerhalb jeder Diskussion, daß unsere Rentner lange genug im Schatten der Konjunktur gestanden sind und daß endlich etwas Durchgreifendes für sie geschehen muß, zumal sie in letzter Zeit Regierung und Parteien mit Resolutionen geradezu überschütten, die eheste Maßnahmen zu ihren Gunsten verlangen. Mit solcher halber Natur ist hier also niemandem mehr gedient, und es wird deshalb kaum zu vermeiden sein, daß der Bundesminister für Finanzen sich rechtzeitig über die normalen Haushaltsmittel hinaus nach neuen Möglichkeiten umsieht, um die, wir sagen es ganz offen, sehr bedeutenden Summen (etwa 1,5 Milliarden Schilling) bereitstellen zu können, die für ein so großes Anliegen, wie es eine moderne Rentenreform ist, zusätzlich erforderlich sind.

Was also soll eigentlich im Wesen geschehen? 1. Aufhebung der im ASVG enthaltenen Hemmungsbestimmungen bei der Rentenbemesssung, also Beseitigung der sogenannten Rentenbremse. 2. Angleichung aller Altrenten ohne Rücksicht auf den Anfallszeitpunkt an das gegenwärtige Rentenniveau, allenfalls mit Rückwirkung auf den 1. Jänner 1956, dem Stichtag für das Inkrafttreten des ASVG. 3. Herabsetzung des Anfallsalters für die Altersrente. 4. Beseitigung der Rentenruhensbestim-mungen. 5. Umstellung der bisher starren Rente auf die Dynamik durch Ankettung derselben an die durchschnittliche Lohnhöhe der aktiven Versicherten. 6. Beseitigung der bisherigen Unterversicherung der hohen Einkommensempfänger. 7. Angleichung des Invaliditätsbegriffes der Arbeiter an den der Angestellten 8. Allenfalls Einführung eines 14. Rentenbezuges.

Schon dieser kurze Überblick über das Reformprogramm zeigt, welche gewaltigen Summen zu seiner Verwirklichung notwendig sein werden, und es kann auch im besten Fall nur mit einer etappenweisen Realisierung desselben gerechnet werden. Gehen wir nun d: Programmpunkte im einzelnen durch:

1. Aufhebung der Rentenbremse und Angleichung der Altrenten. Alle Arbeitnehmer mit höheren Einkommen wären durch das ASVG gröblichst enttäuscht worden. Sie durften zwar sofort nach dem 1. Jänner 1956 Beiträge von maximal 3600 S entrichten, sollten die Renten aber erst ab 1. Jänner 1966, zehn Jahre später, von diesem Betrag bemessen erhalten, aber nur dann, wenn sie nicht schon früher in die Rente gegangen waren. Denn die Höchstbemessungsgrundlage für die Rente betrug 1956 nur 2200 S; sie stieg dann jedes weitere Jahr um 100 S an, erreichte 1960 2600 S und sollte dann, nach dem Willen der Schöpfer des ASVG, bis 1966 in dieser Höhe stehenbleiben. Die Folge: jede im Vorjahr unter gleichen Verhältnissen zugesprochene Höchstrente war im Jahr darauf bereits überholt und zur Altrente geworden. Also Altrenten am laufenden Band, wozu dann noch die Masse der eigentlichen Altrenten, das heißt der bereits vor dem ASVG anerkannten, hinzukam. Damit muß also Schluß gemacht, die Rentenbremse aufgehoben und sämtliche Altrenten zu einem bestimmten Stichtag aufgewertet werden.

2. Das Anfallsalter für die Altersrente, das jetzt 65 bei Männern und 60 bei Frauen beträgt, soll auf 60 bzw. 55 Jahre herabgesetzt werden. Der Plan der SPÖ setzt hierfür eine 35jährige Versicherungsdauer voraus. Aber wäre es nicht besser, die bisherige Altersrente unbedingt, ohne Rücksicht darauf, ob der Rentenwerber am Stichtag noch beschäftigt ist odeT nicht, die im Alter herabgesetzte hingegen bedingt unter der Voraussetzung zuzuerkennen, daß derselbe dauernd keiner Beschäftigung rnerrr nachgeht? Hierbei würde sich die bedingte Altersrente nach Ablauf von fünf Jahren automatisch in eine unbedingte verwandeln und den Rentner dann am Antritt einer Nebenbeschäftigung nicht mehr behindern. Warum denn neben der fünfjährigen Wartezeit für die Invaliditätsrente und der bisher 15jährigen für die Altersrente noch eine neue, längere Wartezeit schalten? n' '* rungo?

3. Über die dringend notwendige Aufhebung der Rentenruhensbestim-m u n g e n, die den Rentner bei seinem Streben, seinen Lebensstandard durch Antritt einer Nebenbeschäftigung zu heben, so sehr behindern, weil sie ihm dann sofort mit der Stillegung eines Teiles seiner Rente bedrohen, haben wir an dieser Stelle oft und oft geschrieben. Wir schließen uns hier völlig der Meinung jener Versicherungsfachleute an, die bis heute unwidersprochen diese Bestimmungen als zeitlich überholt, asozial, systemfremd und verfassungswidrig bezeichnen. Es ist völlig unverständlich, warum geradezu krampfhaft an diesen Bestimmungen festgehalten wird, ohne daß man dafür auch nur den geringsten plausiblen Grund angeben kann. Ein finanzielles Moment kommt ja hier gar nicht in Frage. Sache beider Koalitionsparteien muß es also sein, die völlige Aufhebung der Rentenruhensbestimmun-gen trotz allfälliger Einflußnahme etwelcher ..grauer Eminenzen“ zu erzwingen.

4. Das Reformprogramm der SPÖ propagiert die Einführung einer wertbeständigen, dynamischen Rente, die ÖVP ist hingegen der Meinung, daß bei Aufrechterhaltung der Kaufkraft unseres Schillings auch der Wert der Renten hinreichend gesichert sei. Trotzdem hat sie jedoch einige ihrer Versicherungsexperten vor kurzem nach Bonn gesandt, um sich über die dort seit 1957 mit der dynamischen Rente gemachten Erfahrungen zu unterrichten. Da diese gut sind, kann man also annehmen, daß sich auch die ÖVP nach der Rückkehr ihrer Fachleute für die Dynamik einer an den Lohn der aktiven Versicherten geketteten, alle Aufwärtsbewegungen des Lohnniveaus mitmachenden Rente einsetzen wird. Nach der SPÖ soll die Automatik dadurch sichergestellt sein, daß die Rente alljährlich dann, wenn der Durchschnitt der Gehälter und Löhne der Versicherten um mindestens fünf Prozent im vorausgegangenen Jahr gestiegen ist, die analoge Aufwärtsbewegung mitmacht. Nur eines: In der Bundesrepublik wurde für diese Überprüfung' ein eigüher “Sozial^'-beirat geschaffen, bei uns wird das Institut für I hdiofc bau .ttttifiji. Kttisdi&tistint Msfyrlif-.'tt Wirtschaftsförderung dieser Aufgabe sicher auch gewachsen sein. Nur keine neuen, überflüssigen Behörden!

5. Zur Beseitigung der bisherigen Unterversicherung der hohen Lohn- und Einkommensempfänger soll die Erhöhung der bisherigen Höchstbeitragsgrundlage von 3600 auf 4800 S dienen. Sehr schön, aber was werden die Betroffenen sagen, wenn sie hören werden, daß die Höchstrenten gleichwohl nur von 3600 S bemessen werden. Sollte man es aber versuchen, die Höchstbemessungsgrund-lage dann in den nächsten Jahren an 4800 S etappenweise heranzuführen, dann haben wir wieder dieselbe unmögliche Misere mit den Altrenten, wie wir sie jetzt haben. Hier ist also guter Rat teuer, zumal sich auch die Arbeitgeber bereits gegen die Forderung auf Hinaufsetzung der monatlichen Höchstbeitragsgrundlage energisch ausgesprochen haben.

6. Eine Angleichung des noch aus der Reichsversicherungsordnung ( 1254) übernommenen und nicht mehr zeitgemäßen Invaliditätsbegriffes der Arbeiter an den der Angestellten, der von der Berufsunfähig-k e i t ausgeht, ist dringend nötig. Damit würde ein langgehegter Wunsch der fachlich gebildeten und technisch geschulten Arbeiter in Erfüllung gehen.

Noch eine ganze Reihe weiterer Probleme wird vom Ausschuß für die Rentenreform zu behandeln sein, wie die Erhöhung der Witwen-und Waisenrenten, der Kinder- und Hilflosen-zuschüsse, die Erhöhung der Leistungen in der Unfallversicherung, der Verzicht auf die Eindritteldeckung beim Rentenanfall, die Erhöhung des Bundesbeitrages, Einführung einer 14. Monatsrente, Einsetzung einer Kommission für Berufskrankheiten und noch vieles andere mehr.

Das Programm der Ausschußberatungen für die Rentenreform ist also, wie man sieht, sehr umfangreich. Dazu wäre aber noch eines zu bemerken: Die Vertreter der beiden Parteien im Ausschuß haben sich fachmännische Berater zugesellt, die teils Beamte, teils Funktionäre der Versicherungsträger sind. Das hat seine Vor-, aber auch seine Nachteile. Vorteile deshalb, weil die betreffenden Experten sich sofort über die Tragbarkeit und Durchführbarkeit neuer Bestimmungen äußern können. Nachteile hingegen deshalb, weil die Interessen der Versicherungsträger sich leider nicht immer mit denen der Versicherten decken; die Renten-ruhensbestimmungen sind das deutlichste Beispiel dafür. Aber sollte die Sozialversicherung nicht doch in erster Linie für die Versicherten geschaffen worden sein?

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