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Abschied nehmen Hoffnungen von gefährlichen und Visionen

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1956 hat der Wohlfahrtsstaat im ASVG ausdrücklich versprochen: „dem Versicherten das beruhigende Gefühl zu geben, daß beim Übertritt in den Ruhestand kein unerträglicher Abfall seines Lebensstandards eintritt.“ Mit dem ASVG wurde die Verantwortung für die Altersvorsorge an den Staat übertragen - im Gegensatz zu fast allen anderen Staaten Europas.

Unser Pensionsversicherungs-System signalisiert dem österreichischen Wohlfahrtsbürger, daß er sich um seine Altersvorsorge nicht zu kümmern braucht und vor allem, daß Eigenvorsorge überflüssig sei. Eigenvorsorge sei ausschließlich nur für jene interessant, die über die vom Wohlfahrtsstaat gezogene Grenze (Höchstbeitragsgrundlage) hinaus versorgt sein wollen.

Es war daher leicht, die Eigenvorsorge als eine Art „Luxusbedürfnis“ — vor allem steuerlich -zu diskriminieren. So haben auch die Österreicher die Botschaft verstanden: Die Lebensversicherung liegt beim Prämienaufkommen - hinter Malaysien! - mit 1,3 Prozent vom BIP an letzter Stelle in Westeuropa. Bezeichnet man nach internationalem Sprachgebrauch die soziale Pensionsversicherung als „Erste Säule“ der Altersvorsorge und die betriebliche als „Zweite Säule“, die individuelle Eigenvorsorge als „Dritte Säule“, so werden 93 Prozent aller Altersvorsorgeleistungen durch die Erste Säule erbracht.

Aber was heute unter „Pensionsreform“ verhandelt wird, sind eher Randthemen. Die grundlegende Problematik einer Pensionsreform wurde überhaupt noch nicht zur Diskussion gestellt. Dabei sind sich die Experten einig, daß das versprochene Pensionsniveau auf die bisherige Weise in Zukunft nicht mehr finanziert werden kann. Dafür gibt es mehrere Gründe:

Die soziale Pensionsversicherung (PV) ist nach dem Umlageprinzip aufgebaut: Dieses setzt als selbstverständlich voraus, daß immer genügend Kinder da sind, ihre Elterngeneration zu erhalten und vor allem, daß sie dazu bereit und auch fähig sind. Im Umlagesystem finanziert kein Schilling, den ein Versicherter an Beiträgen oder Steuern zahlt, seine eigene Pension: diese sind schneller als Pensionen an die jeweiligen Pensionisten ausbezahlt als das Geld hereinkommt. Es gibt daher im Umlagesystem keine „wohlerworbenen Rechte“: das Umlagesystem kennt nur „moralische Rechte“, das heißt durch nichts gedeckte Ansprüche an die nächste Generation als durch den ungeschriebenen Generationenvertrag in der Hoffnung, daß diese Generation bereit sein wird, diese

Ansprüche auch zu honorieren.

Es ist aber eine gefährliche Illusion zu glauben, daß ein Gesetz allein diese nächste Generation verpflichten könnte, diese Ansprüche unbeschränkt anzuerkennen. Im Gegenteil: jede Generation wird nach eigener Interessenlage selbst bestimmen, wieviel ihr die Erhaltung der Elterngeneration wert ist, und kein Gesetz kann sie dazu zwingen. Nur die Zumutbar-keit und moralische oder ethische Verpflichtungen sind die Bestimmungsgrößen, die die Sicherheit der Pensionen der heutigen Generation beeinflussen.

Besorgniserregend ist vor allem, daß die unabdingbare Grundlage jedes PV-Systems, das Vertrauen, dahinschwindet. Das Vertrauen darauf, daß nach 40j ähriger Beitragszahlung einmal durch zirka 20 Jahre hindurch jene Pensionsleistungen auch erbracht werden können, die ja erst die Beitragszahlungen rechtfertigen. Dieser Erosionsprozeß des Vertrauens ist deutlich durch Umfrageergebnisse nachgewiesen: waren 1983 noch 75 Prozent aller Österreicher von der Sicherheit ihrer Pensionen—im derzeitigen, versprochenen Ausmaß — überzeugt, sank dieser Anteil auf 25 Prozent im Jahre 1986 und dürfte sich heute auf diejenigen beschränken, die die Realität nicht zur Kenntnis nehmen wollen.

Die Ursachen dieses Vertrau-ensschwundes sind objektiv gegeben:

• Zunächst sind wir mit einer dramatischen Entwicklung der Geburten konfrontiert. Waren es noch 1963 135.000 Geburten, so sank diese Zahl 1985 auf 87.000 und wird im Jahre 2000 weiterhin auf 71.000, im Jahre 2030 auf 51.000 sinken, also auf zirka 40 Prozent der Ausgangszahl.

• Die Zahl der Pensionisten dagegen steigt weiterhin an; zudem werden die Pensionisten nicht nur mehr, sondern auch immer älter. Betrug die Lebenserwartung eines 60jährigen Mannes 1950 15 Jahre, ist sie derzeit 17 und wird 2020 auf 19 Jahre ansteigen!

• Sinkende Geburtenzahl und höhere Lebenserwartung führen zu jener Uber alter ung, die sich durch die „Altenbelastungsquo-te“ messen läßt: Auf 1000 „Erwerbsfähige“ (20 bis 60 Jahre) kommen „Alte“ (über 60): sche und biologische Entwicklung bedroht unser PV-System. Auch strukturelle Entwicklungstendenzen kommen dazu. So erwerben immer mehr Frauen — neben den Witwenpensionen — Doppelpensionen. Heute sind es 160.000 solcher Doppelpensionen, bald werden es mehr als 600.000 sein. Dazu kommt der immer spätere — durch längere Ausbildung — Beruf sbeginn.

Die Altenbelastungsquote zeigt allerdings an, daß die Entwicklung erst ab 2010 wirklich gefährlich wird. Bis dahin verdecken die

„Nur Zumutbarkeit und moralische Verpflichtung sichern die Pensionen“ ins Berufsleben eintretenden Babyboomkinder die wahre Situation. Das ist deshalb so gefährlich, weil die Meinung aufkommen könnte, wir hätten mit einer Pensionsreform, das heißt mit einer grundlegenden Änderung unseres Systems noch Zeit. Ein PV-System ist ein höchst langfristiges System, und jeder Eingriff erfordert eine entsprechend lange Vorlaufzeit. 20 Jahre - vor dem kritischen Jahr 2010 — würden vielleicht gerade ausreichen, um soziale Härten vermeiden zu können.

Wir haben aber gar nicht 20 Jahre Zeit, denn bereits in den neunziger Jahren wird unser PV-System - nicht aus den obgenannten, sondern aus systemimmanenten Gründen - in Schwierigkeiten kommen. Jedes Jahr sind wir bereits jetzt bei der Budgeterstellung mit dem Faktum konfrontiert, daß wir zirka sechs Milliarden Schilling mehr an Bundeszuschüssen für die Pensionen brauchen (siehe Kasten Seite 13).

Dieser jährliche Mehrbedarf ist systemimmanent durch das „Reifen“ des Systems bedingt.

Das Ansteigen des „Reifegrads“ legt offen, daß unser PV-System von Anfang an ein viel zu hohes — auf Dauer unfinanzierbares -Pensionsniveau versprochen hat. Wir zahlen derzeit im Durchschnitt nur zirka 30 Jahre lang Beiträge - 22,8 Prozent vom Bruttoverdienst — ein, unser PV-System verspricht aber im Durchschnitt — inklusive Invaliditätspension — ein Pensionsniveau von zirka 60 Prozent. (Bei einem durchschnittlichen Bruttoverdienst von zirka 15.000 Schilling war 1987 die durchschnittliche

Blick in die eigene Zukunft

Nach Meinung der Österreicher soll man mit „Vorsorgen für das Alter“ schon in jüngeren Jahren, vor allem zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr, beginnen. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Institutes Fessel + GfK für die österreichische Bevölkerung zwischen 20 und 54 Jahren.

Wenig Gedanken machen sich aber die Versicherten über die exakte Höhe der eigenen Pension. Allerdings glauben — laut Versicherungsverband — drei Viertel der Österreicher, daß sich Pensionisten in Zukunft immer weniger leisten können.

(Grafik: Genossenschaftliche Zentralbank AG)

Neupension 9.000 Schilling brutto.)

Mit Beiträgen - 30 Jahre lang eingezahlt - ä 22,8 Prozent sollen Pensionsleistungen - derzeit 23 Jahre lang, das ist heute die durchschnittliche Pensionsbezugsdauer, inklusive Witwenpension — ä 60 Prozent finanziert werden. Dazu müßte aber 2 X 2 = 10 sein. Die „Pensionswahrheit“ ist leider, daß das durch Beiträge gedeckte — und daher finanzierbare - Pensionsniveau zirka die Hälfte von dem beträgt, was unser System verspricht.

Der Autor ist freier Journalist. Bücher: „Adam Riese schlägt zurück. Die programmierte Krise der Pensionsversicherung“, Signum-Verlag, 1984.

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