Die Alten als Räuber

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Die Debatte um angeblich unmäßige Forderungen der Pensionisten nach höheren Renten ignoriert wichtige Fakten, nämlich wie viel Senioren zur Volkswirtschaft beitragen und dass das Pensionssystem sehr wohl finanzierbar ist.

In Momenten seelischer Schwäche könnte Kritiker des österreichischen Pensionssystems angesichts der Homepage des Österreichischen Pensionistenverbandes schon der eine oder andere neidische Gedanke beschleichen. In Zehn-Minuten-Videos werden da luxuriöse Reiseziele präsentiert, die Schauplätze der „Frühjahrstreffen“ des Verbandes auf Chalkidike oder in Tunesien: Azurblaues Meer, sonnendurchflutete Städte und Strände samt pittoresken Stätten der Antike. Das alles für 735 Euro, Einzelbettzuschlag 75 Euro. Die Idylle schlägt sich etwas mit der Forderung des SPÖ-Seniorenvertreters Karl Blecha an selber Stelle: „Wertsicherung der Pensionen ist notwendig und niemals asozial.“

Das Wörtchen „asozial“ stammt vom Präsidenten der Industriellenvereinigung Veit Sorger und spiegelt eine Position in einer moralisch schrägen Debatte wider, die seit dem Beginn der Diskussion um einen angeblichen Generationenstreit durch die Gazetten wogt – wohl auch befördert durch den schalen Nachgeschmack, den so manche Website hinterlässt.

Der Generationenkonflikt

Da fechten auf der einen Seite die Pensionistenvertreter um 2,1 Prozent Pensionsangleichung. Das bringt ihnen beim Nachrichtenmagazin profil eine Titelgeschichte und auch sonst Schimpf und Schande ein. „Alt, aber gierig ... maßlose Kaste ... bricht den Generationenvertrag am Höhepunkt der Wirtschaftskrise ... stiehlt der Jugend die Zukunft.“ Soweit ein kleiner Auszug der Vorwürfe. Warum die Tiraden? Wegen der Forderung von 2,1 Prozent „am Höhepunkt der Krise“? Das kann nicht sein, haben sich doch die Journalisten vor Kurzem selbst über 2,6 Prozent Gehaltserhöhung gefreut, und das ebenfalls „am Höhepunkt der Krise“. Bleibt also nur noch die Sorge ums Große und Ganze der Gesellschaft: den Generationenvertrag.

Geht er zu Bruch, zahlen die Jungen sozusagen mit dem Blut ihrer Geldbeutel für die Ruheständler am teuren Swimmingpool? Das Problem dramatisiert sich oder verschwindet – je nach verwendeter Statistik. So geistert die Behauptung durch Artikel und Kommentare, über 60-Jährige würden im Schnitt 52.722 Euro Jahreseinkommen haben. Das mutet seltsam hoch an. Die Statistik Austria beziffert das Einkommen eines durchschnittlichen Pensionistenhaushaltes (statistisch gesehen bestehend aus 1,7 Personen) mit 1386 Euro (Stand 2005). Macht in Summe 11.414 Euro pro Person und Jahr. Des Rätsels Lösung: Die oben genannten 52.722 Euro Jahreseinkommen entstammen einer Gehalts-Statistik jener 60- bis 65-Jährige, die noch voll im Berufsleben stehen.

Auch für den Vorwurf, dass die Alten die Volkswirtschaft schädigen würden, findet sich kein Beweis. Im Gegenteil: Von den durchschnittlich jedem Pensionisten zufallenden 930 Euro (lt. WIFO) geben die Pensionisten mehr als 800 Euro sofort wieder aus. Etwa 1,7 Milliarden Euro fließen Monat für Monat in die Wirtschaft zurück. Die Pensionen kommen also mit wenigen Abstrichen dem Wirtschaftsstandort zugute und sichern Jobs in Privatwirtschaft und Industrie.

Kein Beitragskollaps

Auch die dritte These, wonach im Jahr 2060 1000 Arbeitende 506 Pensionisten erhalten müssen, der Kollaps des Systems also nahe sei, erweist sich als wenig stichhaltig. Zum einen entwickelt sich die Bevölkerung weitaus weniger dramatisch, als das gemeinhin dargestellt wird. Ging man 1999 noch von einem Schrumpfen der Bevölkerung bis 2050 um fünf Prozent aus, so hält die jüngste Prognose bei einem Zuwachs von 15 Prozent. Die Zahl der Erwerbstätigen wird also nicht um eine dreiviertel Million sinken, wie angenommen, sondern nur um 270.000. Der Pensionsexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts Alois Guger fasst zusammen: „Ökonomisch wird der Eindruck einer Mangelwirtschaft erweckt, deren Wettbewerbsfähigkeit unter den Kosten des Sozialstaates leidet. In der Realität nimmt aber die Konkurrenzfähigkeit mit jedem Jahr zu.“

Guger verweist auch auf eine Studie, die den Zusammenhang zwischen der Produktivität einer Gesellschaft mit dem Alterssicherungssystem untersucht hat. Demnach reicht ein Produktivitätszuwachs von 0,25 Prozent aus, um die Pensionskosten des Staates auch bei steigenden Rentnerzahlen zu decken – auch bis über 2060 hinaus. Bis 2008 stieg die Produktivität im Schnitt jährlich um 2,1 Prozent.

Was den allgemein konstatierten Generationenkonflikt betrifft, so lässt sich auch dieser nicht in der Realität nachweisen. Die letzte diesbezügliche Umfrage stammt aus dem Jahr 2003 und wurde im Auftrag der Allianz-Versicherung in Deutschland durchgeführt. Dabei stellte sich heraus, dass Alte und Junge statt eines Konfliktes eine „Balance der Generationen“ suchen, also beide die Probleme der anderen Gruppe sehen und vielfach der Versuch unternommen wird, einander gegenseitig zu unterstützen, beziehungsweise Verzicht zu leisten. Laut einer Studie der Wirtschaftsuniversität lassen über 30 Prozent der Senioren ihren Nachkommen regelmäßig Geld zukommen, zusätzlich gehen über zehn Milliarden jährlich durch Schenkung und Vererbung an die jüngere Generation über. Ist der Generationenvertrag also in Gefahr? Vermutlich nicht für die Teilnehmer des Pensionisten-Frühjahrstreffens unter südlicher Sonne. Wohl aber für jene 239.515 Senioren, die von 747 Euro pro Monat leben müssen.

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