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Eltern, laßt euch nicht alles gefallen

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Die Altersstruktur der Industrieländer durchläuft derzeit eine gravierende und nachhaltige Veränderung, die in der Menschheitsgeschichte ihresgleichen sucht. Uber Jahrtausende hatte die Alterspyramide tatsächlich die Form einer Pyramide, so wie man sie heute noch in vielen Entwicklungsländern findet. Es gab viele Kinder und junge; Menschen, schon weniger junge Erwachsene und ganz wenige ältere Menschen. Inzwischen hat die Alterspyramide bei uns eher die Form einer bauchigen Flasche bekommen und wird sich immer mehr in Richtung einer auf dem Kopfstehenden Pyramide entwickeln.

Für die Projektion der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung müssen Annahmen über die zukünftige Fertilität, Mortalität und Migration getroffen werden. Unlängst am IIASA im Rahmen einer Studie des Europarates durchgeführte Berechnungen zeigen, daß auch unter sehr extremen alternativen Annahmen der Alterungsprozeß der Bevölkerung irreversibel ist und aller Voraussicht nach weiter zunimmt. Die Berechnungen bis zum Jahr 2050 zeigen, daß der Anteil der über 60jährigen in der Bevölkerung im wahrscheinlichsten Fall auf 36 Prozent ansteigen wird; die Unsicherheitsvarianten bewegen sich von 26 Prozent im niedrigsten Fall (was immer noch wesentlich höher als heute ist) bis zu 48 Prozent im höchsten Fall. Dieser letzte Fall bedeutet, daß fast die Hälfte der österreichischen Bevölkerung über 60 Jahre alt sein wird. Die Annahmen, die zu dieser extremen Alterung führen, sind gar nicht so absurd: Fertilität geringfügig niedriger als heute (1,3 Kinder), weitere Zunahme der Lebenserwartung wie in den letzten 20 Jahren beobachtet und keine Zuwanderungsgewinne.

Aufgrund dieser demographischen Entwicklung gerät der Generationenvertrag aus dem Gleichgewicht. Spätestens wenn die starken Geburtenjahrgänge der frühen sechziger Jahre (Babyboom) ins Pensionsalter kommen - das wird je nach Pensionsalter zwischen 2020 und 2030 der Fall sein -, steht unser auf der Grundlage eines Umlageverfahrens basierendes Pensionssystem vor dem totalen Zusammenbruch. Da helfen auch keine Beteuerungen des Sozialministers, der letztlich auch zugeben mußte, daß der Fall, daß ein Erwerbstätiger einen Pensionisten erhalten muß, „nicht unrealistisch" ist (siehe Graphik).

Bei der Diskussion des Generationenvertrages wird häufig auf die dritte involvierte Generation, nämlich auf die Kinder, vergessen. Die derzeitige erwerbstätige Bevölkerung muß ja nicht nur die Pensionen finanzieren, sondern zum Teil auch die nächste Generation. Und das Erhalten von Kindern ist ja nicht nur ein „Privatvergnügen", sondern auch ein ganz wichtiger Dienst an der Gesellschaft. Wer sonst sollte die zukünftigen Pensionen bezahlen. Das ist auch in der österreichischen Variante des Generationenvertrages berücksichtigt worden, wo es seit den fünfziger Jahren neben der Pensionskasse auch den Familienlastenausgleichsfonds gibt, der zumindest einen kleinen Teil der von den Eltern getragenen Kinderlasten ausgleichen soll. Dieser zumindest partielle Kinderkostenaus-gleich ist ein unverzichtbarer und logisch notwendiger Bestandteil des Generationenvertrages. Seit den siebziger Jahren ist in Österreich jedoch das Verhältnis zwischen Pensionskasse und Familienlastenausgleichsfonds vollständig aus der Balance geraten. Nicht nur werden die Pensionen inzwischen massiv (fast zu einem Drittel) direkt aus Steuergeldern gestützt - was heißt, daß die hohen Pensionen viel stärker subventioniert werden als die kleinen -, sondern es wurden in den letzten Jahren auch insgesamt 150 Milliarden Schilling (mehr als alle derzeit diskutierten Sparpakete) direkt vom zweckgebundenen Familienlastenausgleichs-fonds abgezweigt und den Pen -sionen zugeführt.

Auf die unlängst gestellte Frage, warum sich Eltern mit Kindern das gefallen lassen, scheint es mir zwei Antworten zu geben: Entweder sie wissen nicht, was da abläuft, weil sie andere konkretere Sorgen haben, als sich mit staatlicher Finanzpolitik zu beschäftigen, oder sie haben keine entsprechende Lobby und wenig politisches Gewicht.

Auf der Suche nach einer demokratiepolitischen Lösung für dieses zahlenmäßig gestörte Gleichgewicht zwischen den Generationen bin ich auf den nicht ganz neuen Vorschlag des Kinderwahlrechts gestoßen, der bisher aber kaum im Zusammenhang mit dem Generationenvertrag diskutiert wurde. Danach sollte das Wahlalter bei Jugendlichen herabgesetzt werden und Eltern könnten für ihre Kinder (nach einem noch zu bestimmenden Modus) mitwählen. Nach einigem Nachdenken bin ich zu der Einsicht gekommen, daß dieser Vorschlag wirklich den Kern des Generationenproblems trifft.

Ich hoffe zwar sehr, daß in Zukunft die Frage des Alters nicht zum zentralen Thema der Politik wird, daß es keine Pensionistenpartei geben wird, die dann die absolute Mehrheit im Parlament erhält und selbst festsetzt, wie hoch die Pensionen sind, die die Jüngeren bezahlen müssen. Auch wenn man das als absurde Horrorvision abtun kann, bleibt doch die Tatsache, daß in der Realität politischer Entscheidungen und Prioritätensetzung in einem demokratischen System die Zusammensetzung der Wählerschaft und das Gewicht der Stimmen einzelner Wählergruppen ganz entscheidende Bedeutung hat. Nicht zufällig war der letzte Wahlkampf stark auf die Sicherheit der Pensionen zugeschnitten.

Wenn Eltern für ihre Kinder mitwählen dürfen und wenn Jugendliche bereits selbst wählen dürfen, dann wird die Parteienlandschaft vermutlich zunächst kaum verändert werden, aber innerhalb der Parteien und in der Politik insgesamt würden neue Fragen und neue Lösungen auftauchen. Die Kindergartenmilliarde wäre vielleicht nicht so schnell vom Tisch gewischt worden und die Alleinerzieherinnen und ihre Kinder, die derzeit das höchste Armutsrisiko in Österreich haben, würden dann vielleicht auch mehr Beachtung bekommen, wenn sie durch das Kinderwahlrecht zwei- bis dreimal so viele Stimmen hätten.

Univ. Doz. Dr. Wolfgang Lutz

ist Leiter des Populationsprojekts am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg.

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