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Die Lasten sind ungleich verteilt

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Der Sozialrechtsexperte Theodor Tomandl mißt die jüngste Pensionsreform an den Vorschlägen, die das Kummer-Institut gemacht hat. Sein Urteil: Gute Ansätze, aber auch deutliche Mängel.

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Der Sozialrechtsexperte Theodor Tomandl mißt die jüngste Pensionsreform an den Vorschlägen, die das Kummer-Institut gemacht hat. Sein Urteil: Gute Ansätze, aber auch deutliche Mängel.

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Der eben bekanntgewordene Entwurf einer 40. ASVG-Novelle enthält die endgültigen Vorschläge Sozialminister Dallingers zur sogenannten „Pensionsreform". Er unterscheidet sich in vielem von dem, was Alfred Dallinger zuvor in die Diskussion geworfen hatte.

Vordergründig scheint es lediglich um die finanzielle Entlastung des Staatshaushaltes zu gehen. Darauf zielen vor allem die kurzfristig wirksamen Maßnahmen, wie die Erhöhung des Beitragssatzes in der Pensionsversicherung von 21,7 auf 22,7 Prozent, der Aufschub der 2. und 3. Etappe zur Erhöhung der Witwerpension um jeweüs vier Jahre, die auf drei Jahre befristete Senkung des Krankenversicherungsbeitrages für die Pensionisten um ein halbes Prozent sowie einige, der Vorgangsweise in den letzten Jahren entsprechende, finanzielle Umschichtungen innerhalb der Sozialversicherung.

Sie sollen 1985 Einsparungen für den Bund in Höhe von fast 7 Milliarden Schilling bringen. Die Summe dieser Einsparungen wird allerdings bis 1990 annähernd gleichbleiben. Insoweit sind auch keinerlei Reformansätze sichtbar.

Anders sieht es bei den langfristig wirksamen Maßnahmen aus, bei der Neuberechnung der Pensionen und der Dämpfung der Pensionsanpassung. Ihre Wirkung setzt nicht zuletzt wegen verschiedener Ubergangsbestimmungen zunächst nur schwach ein.

So erwartet man aus diesen

Maßnahmen 1985 Einsparungen in der Höhe von 180 Millionen Schilling. Bis zum Jahre 1990 wird die jährliche Einsparung gegenüber 1984 allerdings bereits 7,4 Milliarden Schilling ausmachen und in den Folgejahren weiter anwachsen.

Auf diesem Gebiete geht es zudem keineswegs nur um eine Entlastung des Staatshaushaltes, hier enthält die Novelle vielmehr echte reformatische Ansätze. Am bedeutsamsten erscheint die allmähliche Ausdehnung der Berechnungsgrundlage für die Pensionen vom Durchschnitt der letzten fünf auf jenen der letzten zehn Jahre. Dadurch wird ebenso wie durch die neue Pensionsformel das Versicherungsprinzip gestärkt.

Zudem wird das Leistungsrecht zwischen Arbeitern und Angestellten weiter angeglichen, wobei Vorteile für manche Arbeiter Nachteilen bei vielen Angestellten gegenüberstehen werden.

Für zwei Problembereiche wird besondere Vorsorge getroffen: Wer vor dem 50. Lebensjahr invalid wird, soll im wesentlichen so gestellt sein, als hätte er bis zum 50. Lebensjahr gearbeitet. Frauen, die Kinder auf die Welt bringen, sollen — allerdings sehr geringe — Zuschläge zur Pension erhalten. Ein voller Ausgleich für den Entfall des Grundbetrages wird dadurch häufig nicht bewirkt werden.

Erfreulich ist, daß ab 1991 niemand mehr befürchten muß, daß ihm erworbene Versicherungszeiten wieder verloren gehen, sofer-ne er es einmal auf 15 Versicherungsjahre gebracht hat. Damit entfällt auch die aufwendige Prüfung der Dritteldeckung und der Halbdeckung.

Erstmalig werden arbeitsmarktpolitische Entwicklungen einen unmittelbaren Einfluß auf das Leistungsrecht ausüben. Eine Nichtmathematikern kaum verständliche Formel soll bewirken, daß das Ausmaß der Pensionsanpassung entsprechend der jeweiligen Rate der Arbeitslosigkeit reduziert wird. Die in Zeiten von Arbeitslosigkeit allgemeine Wohlstandsminderung soll auf diese Weise auch auf die Pensionisten durchschlagen.

Die Formel erscheint allerdings revidierungsbedürftig, da sie nur bei null Prozent Arbeitslosigkeit zur vollen Aufwertung führen würde, bei zwei bis zweieinhalb Prozent Arbeitslosigkeit aber erfahrungsgemäß bereits Vollbeschäftigung herrscht.

Würdigt man diese Ansätze, so liegen sie zum Teil in derselben Richtung, die vor kurzem auch vom Kummer-Institut vorgeschlagen wurde (FURCHE, II 1984).

Der entscheidende Mangel des Entwurfes besteht allerdings darin, daß er die Lasten ungleich verteilt. Belastet werden vor allem die Erwerbstätigen, insbesondere jene, die in den nächsten Jahren in die Pension gehen werden.

Die Belastungen erfolgen fast immer generell, das Problem des Abbaues übertriebener Leistungen bei einzelnen Personengruppen wurde bewußt zur Seite geschoben. Benachteiligt werden vor allem Frauen, die Kinder erzogen haben.

Der Entwurf bringt keine Neuordnung der Hinterbliebenenvorsorge — bekanntlich der eigentliche Anstoß für alle Reformbemühungen der letzten Jahre —, er schweigt zum Problem der unterschiedlichen Behandlung von Mann und Frau ebenso wie zum Wunsch nach größerer Flexibilität beim Pensionsalter.

Der Entwurf enthält somit zwar Ansätze zu einer Pensionsreform, die man in ihrer langfristigen Bedeutung nicht unterschätzen darf, schiebt aber wichtige offene Probleme weiter vor sich hin, was zur Folge haben muß, daß die Reformdiskussion nicht abreißen wird.

Der Autor ist Professor und Vorstand des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien.

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