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Digital In Arbeit

Ab zum „alten Eisen"?

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Die Forderung nach Verkürzung der Arbeitszeit steht nach wie vor auf der Tagesordnung der Gewerkschaften - wie zuletzt beim ÖGB-Kongreß 1991. Sie wird aber derzeit, wie es den Anschein hat, nicht mit besonderem Nachdruck betrieben.

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Die Forderung nach Verkürzung der Arbeitszeit steht nach wie vor auf der Tagesordnung der Gewerkschaften - wie zuletzt beim ÖGB-Kongreß 1991. Sie wird aber derzeit, wie es den Anschein hat, nicht mit besonderem Nachdruck betrieben.

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Dazu mag die Unsicherheit, wie sich EWR und später EG auswirken werden, beitragen. Daß die Gewerkschaften grundsätzlich an der Forderung festhalten, ist ebenso berechtigt, wie ihre derzeitige Zurückhaltung.

Die schärfere Konkurrenzsituation und der damit verbundene Verdrängungswettbewerb werden zu Rationalisierungen und Automatisierungen und in der Folge zu weiterer Arbeitszeitverkürzung zwingen, wenn nicht die Zweidrittelgesellschaft traurige Wirklichkeit werden soll.

Solche Automatisierungen werden auch technisch möglich sein. Die Leute, die jetzt von den Fachmessen kommen, berichten, daß die Automatisierung rasant voranschreitet. Die meisten Produktionsbetriebe werden, wenn diese neuen technischen Entwicklungen das Versuchsstadium hinter sich haben und zum Einsatz gelangen werden, mit wesentlich weniger Personal das Auslangen finden können, ohne daß die Produktion reduziert werden müßte. Vielmehr wird der Ausstoß trotzdem steigen, in vielen Fällen sogar recht kräftig.

Der kürzlich verstorbene Jesuitenpater und Nestor der Katholischen Soziallehre, Oswald von Nell-Breuning, dessen Visionen sehr oft kopfschüttelnd und ungläubig registriert worden sind -heute sind viele davon bereits Wirklichkeit -schrieb vor einigen Jahren, „daß wir dahin kommen werden, daß zur Deckung des gesamten Bedarfs an Konsumgütern ein Tag Arbeit in der Woche mehr als ausreicht." Wenn es auch vorerst noch Utopie ist, auf lange Sicht gesehen wird die durch den Konkurrenzkampf erzwungene Automatisierung eine deutliche Reduzierung der Arbeitszeit erfordern, um möglichst vielen Arbeitswilligen den Willen zur Arbeit zu Ermöglichen.

Harter Verdrängungsprozeß

Zwar wird in Österreich und etlichen anderen Industriestaaten in den nächsten Jahren infolge der demografischen Entwicklung die Zahl der Erwerbstätigen zurückgehen. Aber in einem integrierten Europa, in dem Niederlassungsfreiheit und Freiheit der Arbeitsplatzwahl garantiert sind, ist auch der Arbeitsmarkt großräumig zu sehen und deshalb mit einem Einwanderungsdruck aus den wirtschaftlich schwächeren Ländern zu rechnen. Wenn auch vermutet wird, daß Österreich nicht besonders stark davon betroffen sein wird, ganz ausbleiben wird er dennoch nicht. Es werden aber auch Produktionszweige aus Standortvorteilen in andere Länder auswandern.

Zudem scheint der widersprüchliche Trend, daß trotz guter Beschäfti-gungs- und Wirtschaftslage, die Arbeitslosigkeit (besonders unter den älteren Arbeitnehmern) weiter ansteigt, nicht gestoppt oder gar umgedreht werden zu können. Nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch am Arbeitsmarkt wird der Verdrängungsprozeß immer härter. Immer größer wird die Zahl derer, die, weil sie zu alt, zu wenig qualifziert oder zu teuer sind, ausgegrenzt werden.

Die berufsspezifische Ausbildung wird in Zukunft immer mehr zu einer Voraussetzung für einen sicheren

Arbeitsplatz werden, obwohl auch sie keine Garantie für eine dieser Qualifikationen entsprechende Verwendung ist. Aberauch diesbezüglich gibt es bei den älteren Arbeitnehmern Probleme: die langsamere Lerngeschwindigkeit und die kürzere betriebliche Nutzungsdauer der erworbenen Qualifikation führen dazu, daß die Ausbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten eher jüngeren Mitarbeitern angeboten werden.

Freilich wird auch zu untersuchen sein, wie mehr Arbeitslose wieder in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden können und die Dauer der Arbeitslosigkeit verkürzt werden kann. Die derzeitige Situation, daß einerseits die Zahl der Arbeitslosen steigt, andererseits auch in Branchen, die nicht besonders hohe Qualifikationen erfordern, akuter Arbeitskräftemangel besteht, ist auf Dauer nicht tragbar und bei allseitigem guten Willen zumindest zu einem beträchtlichen Teil vermeidbar. Wer die Aussage, daß die Arbeitslosigkeit die schlimmste Form der Arbeitszeitverkürzung sei, ernst nimmt - und das tun hoffentlich alle Verantwortlichen - muß ernstlich überlegen, was organisatorisch, schulisch und legistisch getan werden kann und muß, um diese Situation zu ändern.

Aber noch eine andere bedenkliche

Art der Arbeitszeitverkürzung, die neue Probleme entstehen läßt beziehungsweise alte Probleme verschärfen wird, vollzieht sich, ohne daß ihr die nötige Beachtung geschenkt wird: Während einerseits das Pensionsalter deutlich absinkt, kommt es andererseits zu einer zunehmenden Überalterung der Erwerbstätigen.

Von 100 Männern zwischen 60 und 64 Jahren sind in Österreich bereits 79 in Pension. In den USA sind es 44 und in der Schweiz nur 17.

Es ist kaum anzunehmen, daß in der Schweiz (und in vielen anderen Ländern) die Arbeitsbedingungen um so viel besser oder umgekehrt der Streß in Österreichs Betrieben um so viel größer ist, daß diese Unterschiede daraus zu erklären wären.

Nun könnte man erwarten, daß dies insofern positive Auswirkungen hat, als dadurch am Arbeitsmarkt wieder Platz geschaffen wird für die nachrückende Generation. Das ist leider nicht oder nur zum Teil der Fall. Vielmehr ist festzustellen, daß die Erwerbsbevölkerung zusehends überaltert. Das Zusammentreffen frühzeitiger Pensionierungen bei gleichzeitiger Überalterung der Erwerbsbevölkerung stellt angesichts der Schwierigkeiten bei der Finanzierung des Pensionssystems ein großes Problem dar. Manche Experten sehen darin das „Jahrhundertproblem".

Seit 1970 ist das durchschnittliche Pensionsalter in Österreich von rund 62 auf 58 Jahren gesunken, ohne daß die Altersgrenze im Gesetz geändert worden wäre. 1970 war nur jeder

sechste Neupensionist jünger als 60, 1989 schon jeder zweite. Das ist einerseits auf eine starke Zunahme der Invaliditätspensionen, andererseits auf die immer häufigeren Frühpensionierungen zurückzuführen. Aber auch in Österreich müßte es möglich sein - in anderen Ländern gelingt es scheinbar -, Voraussetzungen zu schaffen, die die Bereitschaft und die Möglichkeit zu einer längeren Erwerbstätigkeit fördern. Dazu gehören die Reduzierung gesundheitsschädlicher Arbeitsbedingungen, die Verbesserung der Situation älterer Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt und altersgerechte Arbeitsplätze ebenso wie ein verbesserter Arbeitnehmerschutz und ein genereller Vorrang der Prävention im Gesundheitswesen.

Es gibt zweifellos nicht wenige Arbeitnehmer, die die Möglichkeit einer früheren Pensionierung von sich aus nutzen, weil sie nach einem langen und anstrengenden Berufsleben ausgelaugt und verbraucht sind. Aber nicht immer ist es der freie Wille des Arbeitnehmers, das Dienstverhältnis möglichst früh zu beenden. Nach einem Bericht im FCG/GPA-Infor-mationsblatt (Nr. 78/20. Jg.) gibt es viele Betriebe, „in denen es Beschlüsse gibt, daß Dienstnehmer mit der Erreichung des Alters für die vorzeitige Alterspension bei langer Versi-

cherungsdauerund dem Vorliegen der Voraussetzung eines Pensionsanspruchs das Dienstverhältnis beenden müssen."

Auch die Betriebsräte berichten, daß in immer mehr Betrieben im Zuge von Rationalisierungsmaßnahmen den Arbeitnehmern die Inanspruchnahme der vorzeitigen Alterspension oder des Sonderunterstützungsgesetzes (Beendigung des Dienstverhältnisses bereits mit vollendetem 59. Lebensjahr bei Männern und 54. Lebensjahr bei Frauen) empfohlen oder gar befohlen wird. Die verstaatlichen Betriebe gehen diesbezüglich vielfach mit schlechtem Beispiel voran. Dieses Suggerieren der Meinung, mit Sechzig zum alten Eisen zu gehören, führt dazu, daß das Arbeiten über diese Altersgrenze hinaus zur Abnormität und die Frühpensionierung zum Normalfall wird.

Während also gegen die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit von der Unternehmerseite Widerstand geleistet wird, kommt es durch die hohe Arbeitslosigkeit besonders unter den älteren Arbeitnehmern und die immer zahlreicheren, von den Betrieben verordneten Frühpensionierungen zu einer nicht unbeträchtlichen Verkürzung der Lebensarbeitszeit, die einerseits die Arbeitslosenversicherung und andererseits die ohnedies schwach dotierten Pensionskassen belastet. Lange werden wir uns diese Art der Rationalisierung nicht leisten können.

Der Autor ist Präsident des Vorarlberger Landtages und Mitherausgeber der FURCHE.

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