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Die Lebenserwartung steigt beständig, die Geburtenrate sinkt. Immer mehr ältere Menschen stehen weniger jungen gegenüber. Reformen auf dem Arbeitsmarkt und im Sozialsystem werden dringend nötig.

Im heurigen Jänner verzeichnete das Arbeitsmarktservice Österreich die höchste Arbeitslosigkeit der Zweiten Republik. Fast jeder dritte Arbeitslose ist laut Statistik über 45 Jahre alt. Trotzdem warnten Vertreter der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) bei einer Veranstaltung zum Thema "Aging Society" (Alternde Gesellschaft) vor einem schon heute absehbaren Mangel an Arbeitskräften: Laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstitutes fehlen bereits im Jahr 2008 rund 165.000 Erwerbsfähige.

Während in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Zahl der Geburten stark anstieg ("Babyboomer-Generation") und über der Sterberate lag, ist die derzeitige Geburtenrate von statistischen 1,3 Kindern pro Familie weit von den nötigen 2,1 Kindern entfernt, die langfristig eine Überalterung der Gesellschaft verhindern würden. Die dadurch entstehenden Schwierigkeiten sind nicht nur ein Mangel an Arbeitskräften, sondern damit zusammenhängend auch die schon jetzt problematische Finanzierbarkeit von Pensions- und Krankenversicherung. Denn es werden nicht nur immer mehr Menschen, die immer früher in Pension gehen, die Dauer der Pension verlängert sich zusätzlich noch durch die steigende Lebenserwartung. Betrug im Jahr 1970 die durchschnittliche Dauer der Pension noch 14 Jahre, sind es derzeit schon zehn Jahre mehr, die Verweildauer im Berufsleben sank im selben Zeitraum von durchschnittlich 44 Jahren auf 35 Jahre.

Erwerbsquote erhöhen

Der Mangel an Arbeitskräften, der in rund fünf Jahren entstehen und ab 2020, wenn die Angehörigen der Babyboomer-Generation aus dem Erwerbsleben ausscheiden, nochmals ansteigen wird, sei nur durch eine Reihe von Gegenmaßnahmen zu schließen, warnten der Wirtschaftspolitik-Experte in der WKÖ, Alexander Hofmann, und der Bevölkerungswissenschaftler Thomas Fent vom Demografischen Institut der Akademie der Wissenschaften. Fehlende Arbeitskräfte könnten zwar möglicherweise durch höheren Kapitaleinsatz für eine bestimmte Zeit ausgeglichen werden, dadurch würde sich jedoch die Rendite verringern und somit das Interesse am Wirtschaftsstandort Österreich abnehmen.

Eine der von den Experten geforderten Maßnahmen ist die Erhöhung der Erwerbsquote durch die verstärkte Einbindung der Frauen in den Arbeitsmarkt. Dazu müsse vermehrt in die Vereinbarkeit von Beruf und Familie investiert werden. In einer Modellrechnung geht Fent von der Angleichung der Frauenerwerbsquote auf das Niveau der Männer bis zum Jahr 2050 aus. "Bei dieser Annahme würde bis 2020 die Zahl an Arbeitnehmern steigen, danach konstant bleiben. Bis 2050 würden rund 500.000 zusätzliche Arbeitskräfte zur Verfügung stehen." Zwar sei, schränkt der Wissenschaftler ein, "diese Rechnung ein extremes Szenario", zeige aber, was möglich wäre. Aber natürlich könne auch mit der Hebung der Frauenerwerbsquote das Problem der Altersstruktur nicht gelöst werden, ist sich Fent bewusst. Der Trend gehe klar dahin, dass ältere Arbeitnehmer immer wichtiger für die Wirtschaft werden.

Nötig seien deshalb auch Maßnahmen, um die Weiterbildung älterer Arbeitnehmer zu fördern, denn, so WirtschaftspolitikExperte Hofmann, derzeit sei die Produktivität eines Mitarbeiters im Alter von 40 Jahren am höchsten, danach nehme sie ab. Um bei einer immer älter werdenden Belegschaft die Produktivität aufrecht zu erhalten, sei daher eine verstärkte Ausrichtung der Bildungspolitik auf berufsbegleitendes Lernen nötig. Derzeit würden noch rund 90 Prozent des Bildungsbudgets in die Primärausbildung fließen.

Keine Hoffnung auf eine Lösung der Altersproblematik biete eine mögliche Migration in Folge der EU-Osterweiterung, betont Hofmann: "Wir müssten ab sofort 35.000 Personen im Jahr ins Land holen, um die Lücke ab 2008 zu schließen, aber die Altersstruktur ist in den osteuropäischen Ländern ganz ähnlich wie bei uns, daher würde sich an der Alterspyramide auch durch die Einwanderer nichts ändern."

Auch der Chef der österreichischen Sozialversicherungen und Sozialexperte in der Wirtschaftskammer, Martin Gleitsmann, forderte eine Erhöhung der Erwerbsquote, unter anderem durch eine Lohnnebenkostensenkung für ältere Arbeitnehmer und eine Lockerung des Berufsschutzes für Arbeitslose, um deren Mobilität zu erhöhen. Weiters sei, so Gleitsmann, eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters erforderlich. Allerdings dämpft er zu große Hoffnungen in solche Maßnahmen: "Die Erhöhung der Erwerbsquote ist nur ein Ziel, sie wird auf keinen Fall genügen."

Gerechtere Pensionen

Denn auch die Finanzierung des Pensionssystems, wie es derzeit geregelt ist, sei mit immer mehr immer älter werdenden Menschen nicht mehr möglich. Notwendig sei mehr Gerechtigkeit im Pensionssystem durch eine Änderung des Durchrechnungszeitraumes: Derzeit werden für die Bemessung der Pensionshöhe die fünfzehn besten Verdienstjahre herangezogen, Gleitsmann fordert eine Lebensdurchrechnung. Weiters will der Sozialpolitikexperte höhere Abzüge bei Frühpensionen: "Bei den derzeitigen, viel zu geringen Abzügen lohnt sich immer noch der frühest mögliche Antrittszeitpunkt am meisten."

Auch eine Reform des Gesundheitssystems sei nötig, um seine Finanzierbarkeit auf Dauer zu gewährleisten. Die Alterung bedeute, dass eine wesentlich größere Zahl an Menschen als bisher eine verstärkte medizinische Betreuung brauchen werde. "Man muss bedenken, dass jedes zweite Mädchen, das im Jahr 2000 geboren wurde, das 22. Jahrhundert erleben wird", verdeutlicht Gleitsmann.

Gesundheitskosten senken

Der Gesundheitsökonom Christian Köck bremst jedoch allzu hohe Erwartungen in solche Reformen: "Auch mit Reformen können wir nur ein Zeitfenster schaffen, bis wir uns fragen müssen, welche Leistungen jedem zur Verfügung stehen sollen und welche nicht". Allerdings könne dieser Zeitpunkt weit hinausgeschoben werden, wenn die Reformen bald ansetzen würden. Ein wesentlicher Faktor sei die Einführung von Selbstbehalten bei ärztlichen Behandlungen, wobei "zwanzig Prozent sicher die Untergrenze sind" (Köck). Denkbar wäre eine jährliche Obergrenze von 1.000 Euro und Ausnahmen für Bezieher niedriger Einkommen sowie für chronisch Kranke.

Die Kostenersparnis bestehe vor allem darin, dass die Patienten sich genauer erkundigen würden, welche Untersuchungen wirklich nötig seien und welche nicht. Doppeluntersuchungen würden wegfallen, die Patienten würden sich für die günstigste von mehreren möglichen Behandlungsmethoden entscheiden. Derzeit sei der "Gesundheitsbereich in Österreich einer von denen, in denen am unreflektiertesten gearbeitet wird, daher birgt er große Einsparungspotenziale", betont Köck. "Ein Beispiel von vielen ist die Herzfrequenzmessung des Kindes während der Geburt. Diese Maßnahme erhöht nur die Kaiserschnittrate, bringt aber keine Verringerung des Geburtsrisikos."

Zudem sei die Krankenhauslastigkeit in Österreich extrem teuer. Gibt es im EU-Schnitt ohne Österreich rund 272 Akutbetten pro 100.000 Einwohner, sind es in Österreich 620. Einer Studie zufolge seien 15 Prozent aller Krankenhausaufenthalte unnötig, die Aufenthaltsdauer in den Spitälern könne ohne Gesundheitsrisiko im Schnitt um 36 Prozent gesenkt werden. Einsparungen von rund zwei Milliarden Euro im Krankenhausbereich wären auf diese Weise möglich

Wenn es nach Hauptverbandspräsident Martin Gleitsmann geht, werden die Reformen noch heuer durchgeführt: "Die Pläne liegen fertig in der Schublade. Sobald es eine beschlussfähige Regierung gibt, kann man beginnen, darüber zu diskutieren."

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