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Nach der Ausbildung rat- und arbeitslos?

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Bis 1990 werden zwar 995.000 Österreicher wegen Pensionierung, Tod oder Invalidität aus dem Erwerbsleben ausscheiden, dafür drängen aber rund' 1,1 Millionen Personen neu auf dem Arbeitsmarkt nach. Das ergibt einen Fehlbestand von 145.000 Arbeitsplätzen, die in diesem Jahrzehnt zusätzlich geschaffen werden müssen. Das Problem verschärft sich noch weiter durch zwei Tatsachen: Erstens genügen nicht irgendwelche Arbeitsplätze, sondern sie werden von Akademikern, Maturanten und Facharbeitern nachgefragt werden. Und zweitens werden 123.000 neue Arbeitsplätze schon bis 1985 gebraucht.

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Bis 1990 werden zwar 995.000 Österreicher wegen Pensionierung, Tod oder Invalidität aus dem Erwerbsleben ausscheiden, dafür drängen aber rund' 1,1 Millionen Personen neu auf dem Arbeitsmarkt nach. Das ergibt einen Fehlbestand von 145.000 Arbeitsplätzen, die in diesem Jahrzehnt zusätzlich geschaffen werden müssen. Das Problem verschärft sich noch weiter durch zwei Tatsachen: Erstens genügen nicht irgendwelche Arbeitsplätze, sondern sie werden von Akademikern, Maturanten und Facharbeitern nachgefragt werden. Und zweitens werden 123.000 neue Arbeitsplätze schon bis 1985 gebraucht.

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Der Ansturm auf Schulbänke und Hörsäle seit dem Ende der sechziger Jahre, stolze Bilanz der Bildungspolitiker, stellt Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, da es sich noch dazu um geburtenstarke Jahrgänge handelt, die ins Erwerbsleben eintreten, in allernächster Zukunft vor große Probleme. Probleme, die freilich weder durch Panikmache noch durch Verharmlosung - die beiden beliebtesten Reaktionen aus der österreichischen Mentalität heraus - gelöst werden können.

Die mit Schlagworten geweckten Hoffnungen, daß mit vermehrten Bildungschancen auch die Berufsund damit die Lebenschancen steigen, erfahren eine Ernüchterung.

Werner Clement, Professor an der Wiener Universität für Wirtschaftswissenschaften, hat gemeinsam mit seinen Assistenten Peter Ahammer und Arnold Kaluza in zweijähriger Arbeit auf breiter wissenschaftlicher

Grundlage die Entwicklungen im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt untersucht und ist dabei zu den eingangs zitierten Ergebnissen gelangt. Die vom Institut für angewandte Sozial- und Wirtschaftsforschung (Leiter: Univ.-Prof. Karl Wenger) herausgegebene Studie „Bildungsexpansion und Arbeitsmarkt" zeigt damit umfassend die Probleme auf, vor denen die Arbeitsmarktpolitik heute steht.

„Selbst das zur Verfügung stehende reiche Instrumentarium der aktiven Arbeitsmarktpolitik und der konjunkturellen Beschäftigungspolitik dürfte nicht ausreichend geeignet sein, um die beschäftigungspolitische Sondersituation der frühen achtziger Jahre allein zu bewältigen", folgert daher auch Nationalökonom Clement aus seiner Analyse.

Diese Sondersituation wird nicht

zuletzt durch eine „drastische Umschichtung der Qualifikationsstruktur" (Clement) gekennzeichnet sein, die sich das gesamte Dezennium über vollziehen wird müssen. Unter der Annahme, daß sich die Stellen besetzungsgewohnheiten nicht verändern, fehlen, bei dem erwähnten Zusatzbedarf von insgesamt 145.000 Arbeitsplätzen, in der Dekade von 1980 bis 1990 auf Grund der hypothetischen Berechnungen 53.000 Arbeitsplätze für Akademiker, 99.000 Stellen für Maturanten, 101.000 Posten für Absolventen berufsbildender mittlerer Schulen und 195.000 Plätze für Facharbeiter. Demgegenüber ergibt sich - rechnerisch - bei den „Ungelernten" eine Lücke von 303.000 Arbeitskräften.

Daher werden sich zwangsweise die Stellenbesetzungsgewohnheiten ändern. Das heißt: Arbeitsplätze, die bisher mit ungelernten Pflichtschulabgängern besetzt wurden, müssen -

wohl oder übel - von höherqualifizierten Arbeitskräften eingenommen werden, ein kleiner Teil der Lücke stellt natürlich auch wieder einen Arbeitsmarkt für Gastarbeiter dar.

Von der Vorstellung, daß eine bestimmte Ausbildung einen entsprechenden Arbeitsplatz, womöglich noch bis zur Pensionierung, garantiert, heißt es vorderhand Abschied nehmen: Facharbeiter werden Ungelernte ersetzen müssen, Maturanten werden für Arbeiter eingesetzt werden, die einstweilen von Lehrlingen oder mittel Qualifizierten erledigt werden, und Akademiker werden Stellen einnehmen müssen, für die man heute noch Maturanten heranzieht. Der Zwang zur hohen Arbeitsmobilität wird natürlich für den einzelnen große Probleme bringen.

Dadurch wird sich aber insgesamt auch die Bildungsstruktur der Erwerbstätigen gewaltig verändern: Machte der Anteil der ungelernten Arbeitskräfte an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen 1971 noch fast 52 Prozent aus, wird er bis 1990 - so die Studie - auf knappe 33 Prozent zurückgehen. Der Anteil der Akademiker wird hingegen von 3,1 auf 4,8 Prozent und der der Maturanten von 6,2 auf 9,9 Prozent ansteigen. Absolventen berufsbildender mittlerer Schulen werden dann statt 8 bereits 13,6 Prozent aller Erwerbstätigen stellen und der Anteil der Facharbeiter wird sich von 30,8 auf 38,5 Prozent erhöhen.

Wie all diese Arbeitsmarktprobleme bewältigt werden können,

wird nicht zuletzt vom Wirtschaftswachstum im nächsten Jahrzehnt abhängen. Würde nämlich das Wachstum nur bei rund 2 Prozent jährlich liegen, bedeutete dies, daß nicht einmal alle durch Abgang frei gewordenen Arbeitsplätze nachbesetzt werden können. Aufbauend auf der Sockelarbeitslosigkeit der siebziger Jahre hätte das ab 1988 eine Arbeitslosenrate von über 9 Prozent zur Folge.

Bei einem mittleren Wachstum von durchschnittlich 3 Prozent im Jahr wäre die Arbeitslosigkeit am Ende der achtziger Jahre zwar kleiner, aber mit 5,6 Prozent noch immer groß genug. Zum Vergleich: Für das laufende Jahr prognostizierten die Wirtschaftsforscher ein Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent und ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit - trotz eines angenommenen weiteren Gastarbeiterabbaues - auf 2,3 Prozent.

Erst bei einem Wirtschaftswachstum von 4 Prozent im Jahresschnitt, so die Zukunftsschau der drei Wirt-

schaftswissenschafter, könnte die Arbeitslosigkeit in den bisher gewohnten Größen gehalten werden.

Daß eine Verschlechterung der Beschäftigungslage eintreten wird, dürfte unausweichlich sein. Eine mögliche Akademikerarbeitslosigkeit ist aber nicht das einzige, was droht. Zu leicht übersieht man in den Diskussionen darüber die Schwierigkeiten, von denen vor allem Frauen, ältere oder schwer vermittelbare Arbeitssuchende stehen werden.

Fraglos - und dieser Aspekt kommt in der Studie zu kurz - werden vor allem die regionalen Arbeitsplatzdefizite unterschiedlich sein. Das derzeitige • West-Ost- und auch Stadt-Land-Gefälle auf dem österreichischen Arbeitsmarkt könnte sich noch weiter verstärken.

Die Abkehr von einer reaktiven hin zu einer prospektiven Beschäftigungspolitik ist ein Gebot der Stunde. Und die Bildungspolitik wäre gut beraten, sich über eine effektive Bildungsberatung den Kopf zu zerbrechen. Es gibt, wie man sieht, größere Probleme als die Gesamtschule.

BILDUNGSEXPANSION UND ARBEITSMARKT. Von W. Clement, P. Ahammer und A. Kaluza. Herausgegeben vom Insitutfür angewandte Sozial- und Wirtschaftsforschung, Signum-Verlag, Wien 1980. 440 Seiten, öS 386,-.

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